Einige Überlegungen zum Rechtsruck in Europa und den Herausforderungen für kommunistische Politik

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Referat von Thomas Hagenhofer auf der Tagung "Europa und die Rechtsentwicklung" am 24./25.11.18

Liebe Genossinnen und Genossen.

Ich möchte meinem Beitrag, der gemeinsam mit weiteren saarländischen Genossen entwickelt wurde, einige Grundüberlegungen zu herangereiften Fragen und Herausforderungen voranstellen.

Worum geht es nach unserer Einschätzung jetzt aufgrund der fortschreitenden Rechtsentwicklung?

  • Es geht immer mehr um fundierte und nachhaltige strategische und taktische Überlegungen und Konzeptionen, die die globalen, EU-europäischen und nationalen Herausforderungen auf den berühmten Punkt bringen sollen.
  • Es geht heute zugespitzt um Friedenssicherung, die Beseitigung von Kriegsgefahren, gegen Kriege, für Abrüstung und die Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen und einer Umverteilung von oben nach unten.
  • Die Verhinderung und Überwindung reaktionärer Auswege aus den kapitalistischen Krisenentwicklungen, dem geostrategischen Konkurrenzkampf, der zunehmenden Rechtsentwicklung sind Dreh- und Angelpunkt.
  • Strategische und taktische Aufgabe für uns Kommunist*innen ist der Stopp der Rechtsentwicklung. Wir sollten diskutieren, ob dies inzwischen als eine eigene Kampfetappe definiert werden sollte. Wir wirken für das Zusammenfinden und Bündeln aller Kräfte, die sich gegen solche reaktionären Entwicklungen stellen.
  • Inwieweit diese schon Anläufe zu weitergehenden, grundlegenden Veränderungen und Entwicklung von Potentialen in Richtung einer anderen Gesellschaftsordnung hervorbringen kann, ist offen, aber auch jetzt nicht Bedingung für unser Handeln.
  • Das Hauptkampffeld ist dabei das eigene Land. Fortschritte im Kräfteverhältnis in der BRD können das Kräfteverhältnis in der EU verändern und haben auch Einfluss auf geostrategische Perspektiven.
  • Unsere Kritik an der Konstruktion dieser EU und an dem unsozialen, undemokratischen, ausgeprägt neoliberalistischen Zuständen und Zukunftskonzeptionen richten wir an die Verantwortlichen und an die ökonomisch für diese EU dominierenden Kräfte und den entsprechenden Kräften im Überbau im eigenen Land. Dabei müssen wir aber die globale Perspektive strategisch und taktisch konkreter definieren. Dies gilt nicht nur für offene Grenzen und die Solidarität mit den Flüchtenden. Dies gilt auch für die EU-Wahl und im EU-Wahlkampf.
  • Es geht um sozialen und demokratischen gesellschaftspolitischen Fortschritt im eigenen Land. Erfolge für die Verbesserung des Lebens sind möglich und können erkämpft werden.
  • Wir sind für Reformen, die das Leben und Arbeiten auch in diesem System verbessern können. Immer mehr rückt dabei die Dialektik mit der Erhaltung der ökologischen Lebensgrundlagen in den Mittelpunkt. Mit entsprechenden alternativen Forderungen müssen wir die Herrschenden herausfordern.
  • Wir müssen nach unseren Kräften dabei helfen, die Gewerkschaften zu aktiveren und zu durchsetzenden Elementen zu machen. Die Erfolge in der Pflege sind schon ein Signal.
  • Wir sind für einen radikalen Politikwechsel, der offensichtlich nur in einem langwierigen Prozess möglich sein wird. Wir unterstützen Bewegungen und Initiativen, die dieses Ziel verfolgen und bringen uns dort konstruktiv ein.
  • Die gesellschaftspolitischen Widersprüche entwickeln sich aktuell im eigenen Land in neuer Qualität. Das zeigen die breiten Widerstandsaktionen gegen reaktionäre Lösungen und Wege, wesentlich schwächer auch bei Wahlen. Es gibt also nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen der Rechtsentwicklung etwas entgegen zu setzen und sie zu stoppen!

Frieden

Die sich zuspitzenden Widersprüche in Wirtschaft und Gesellschaft führen zu großen Veränderungen im Bereich der internationalen Politik. Dabei sind die wachsende militärische Konfrontation zwischen den NATO-Staaten und Russland und die Eskalation zwischen USA/Israel und Iran gefährliche Entwicklungen, die zu neuen großen kriegerischen Auseinandersetzungen führen können. Der wichtigste Grund für diese Veränderungen ist der Bedeutungsrückgang der USA angesichts der aufstrebenden Staaten China und Indien. Die zwischenzeitlich letzte Supermacht wehrt sich in allen Bereichen gegen das Ende ihrer alleinigen Vormachtstellung. Mit der von Trump geführten Regierung hat sich dieses Ziel nicht geändert, aber die eingesetzten Methoden. Man setzt nicht mehr um jeden Preis auf den politischen Gleichklang mit der EU sondern versucht, auf eigene Rechnung Veränderungen herbeizuführen. Die seit 2008 von Deutschland klar dominierte EU wird als Konkurrent definiert, dessen Interessen nicht immer mit denen der USA übereinstimmen. Sehr deutlich wird dies im Bereich der sogenannten Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in Europa. Die Trump-Administration fordert von Europa eine steigende Beteiligung an der militärischen Einkreisung und am Aufbau einer strategischen militärischen Überlegenheit gegenüber Russland. Der Militär-Industrielle-Komplex bestimmt wieder deutlicher die aktuelle US-Politik, die Aggressivität in der Militärpolitik hat sich nicht erst seit der Trump-Administration gesteigert, jetzt scheint sie unmittelbaren Durchgriff auf die Regierungspolitik zu haben. Offensichtlich wird mit der angedrohten Aufkündigung des INF-Vertrages eine qualitative Verschärfung eingeleitet. Zu gerne springt der Militär-Industrielle-Komplex in Deutschland auf den hierdurch in Fahrt kommenden Aufrüstungsschub auf und fordert die Übernahme von mehr „globaler Verantwortung“. Die Russische Großmachtpolitik und das Ringen um den Status als ernstzunehmende Weltmacht im Interesse ihres nationalen russischen Kapitals müssen als Begründung herhalten für die enormen Steigerungen der Rüstungshaushalte, in Deutschland soll er fast um das Doppelte ansteigen.

Gleichzeitig wird mit Pesco auch strukturell eine neue Qualität der Militarisierung der EU angestrebt. Die Stärkung der Friedensbewegung und die Fortführung der Unterschriftensammlung „Abrüsten statt Aufrüsten“ sind von grundsätzlicher Bedeutung für die zukünftige politische Entwicklung.

Rechtsentwicklung europaweit und national

Mit dem Antritt der neuen Regierungen in Österreich und Italien ist eine Zäsur in der politischen Entwicklung der EU verbunden. Der europaweit stattfindende Rechtsruck führt zu einem politischen Gewicht der sogenannten "Neuen Rechten" in bislang nicht stattgefundener Qualität.

Es sind nicht mehr nur die osteuropäischen Staaten, in denen National-konservative gemeinsam mit faschistischen Parteien die Regierung stellen. Wir haben es mit einer gefährlichen Veränderung des politischen Systems europaweit zu tun. Im Zuge der Renationalisierung fallen die Hemmschwellen für eine Zusammenarbeit mit der "Neuen Rechten" endgültig. Die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts werden schlichtweg ignoriert.

Dies ist die eigentliche Ursache für das CSU-Sommertheater 2018, welches die bisherige Asylpolitik nach rechts putschen sollte, was in wichtigen inhaltlichen Teilen gelungen ist. Angesichts der Form der Auseinandersetzung hatte sie allerdings negativen Folgen für den Wählerzuspruch für die Union. Trotz verbaler Abrüstung gegenüber der Unionsmehrheit bleibt der Seehofer/Söder-Flügel unzufrieden mit der Gesamtsituation. Sie sehen sich aufgrund der politischen Mehrheiten eingepresst in das Korsett einer Großen Koalition, in der sie ihre postulierte „konservative Revolution“ aus ihrer Sicht nicht konsequent umsetzen können. Die CSU sucht ihren Ausweg aus der GroKo und dabei kann das Österreichische Vorbild eine Variante sein.

Der SPD wird realistischer Weise kaum Einflussmöglichkeiten zugeschrieben, weil sie nicht mehr in der Lage ist, Alternativen zur GroKo zu entwickeln. Sie ist daher in dieser Auseinandersetzung völlig gelähmt und handlungsunfähig, droht zu zerfallen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir in einem Jahr eine komplett neue Parteienkonstellation bekommen. Wir sind auf dem Weg in eine andere Republik – leider nicht in die richtige Richtung.

Insofern ist die Asylpolitik erst der Anfang, wie uns die Entwicklungen in Österreich und Ungarn zeigen. Regierungskonstellationen wie in Österreich sind zu einem Vorbild für breite Teile des konservativen Spektrums geworden. Die Krise des Neoliberalismus, ausgelöst durch die große Weltwirtschaftskrise 2008, löst eine nahezu globale Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses nach rechts aus. Der Kitt der bürgerlichen Gesellschaft in hochentwickelten kapitalistischen Staaten, der früher durch Versprechen auf Aufstiegschancen und einem gewissen Grad an sozialer Teilhabe für jede/jeden Einzelnen bestand, ist durch die Verheerungen des Neoliberalismus weggebrochen. Teile der politisch Herrschenden versuchen diesen zu ersetzen durch einen Rollback in Richtung: Nationalismus und Abschottung. Sündenböcke stehen in Form von geflüchteten Menschen und des Islam zur Verfügung. Durch regelrechte Angstkampagnen wird die Achse ständig weiter nach rechts verschoben. Eine besonders unrühmliche Rolle spielen hierbei die Massenmedien. Ihre Bedeutung lässt sich gut an einem Vergleich zwischen heute und 2015 erfassen. Auf der Höhe der sogenannten „Willkommenskultur“ in Deutschland gab es kaum ein Medium, inklusive der Bild-Zeitung, das nicht für einen solidarischen Umgang mit den Geflüchteten, von Empathie gegenüber den zu uns kommenden Menschen geprägt war. Kaum wurden die Probleme sichtbarer, die vor allem durch mangelnde Finanzierung von Wohnraum, Integrationsangeboten und Bildung ausgelöst wurden, ergriffen die Rechten von AfD bis CDU/CSU ihre Chance.

Natürlich hing der Zeitpunkt der Seehoferschen Eskalation auch mit den Landtagswahlen im Herbst 2018 in Bayern zusammen, aber es steckt wie oben bereits beschrieben mehr dahinter. In der definitiv letzten Amtszeit von Merkel geht es um eine langfristige Strategie zur Veränderung der politischen Verhältnisse – und zwar nach rechts. Und das ist mehr als eine Episode. In allen Staaten, in denen bisher konservativ-nationalistische Regierungen etabliert wurden, wurden systematisch Änderungen oder Umbaumaßnahmen zum Demokratieabbau vorangetrieben – ob durch Versuche der Gleichschaltung von Medien, der Justiz oder des Wahlsystems. Die Zustimmung des Kapitals wird durch weiteren Sozialabbau wie in Österreich mit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 60 Stunden und Steuererleichterungen für Unternehmen erkauft. Im Juni titelt der Focus einen Beitrag mit „Standortvorteil: Kurz“. Das Kalkül ist, dass die neue Österreichische Regierung, leichter die dortigen vergleichsweise hohen Sozialstandards senken kann als andere Regierungen vorher, weil sie weite Teile der arbeitenden Menschen durch Nationalismus und Abschottungsversprechen die Augen zukleistert und von den wahren Problemen und deren Verursachern ablenkt.

Nichts anderes versuchte nun die CSU: Ein zum Popanz aufgebauschter sogenannter BAMF-Skandal, eine neue Grenzpolizei in Bayern, noch mehr Überwachung und Gesetze in Richtung Polizeistaat sollen vermitteln: Die CSU schafft in unruhigen Zeiten Sicherheit. Das Konzept ist so alt wie die römischen Kaiser. Bei den Landtagswahlen hat es nicht gezündet, weil die Menschen in Bayern in der CSU nicht die Lösung sondern Verursacher/Verschlimmerer ihrer Probleme sahen und zusätzlich stramm rechts gleich zwei Parteien (FW und AfD) wählbar waren.

Die Wirkungen dieser Politik sind fatal. Außenpolitisch wird der schon vorhandene Abschottungskurs der EU weiter verschärft. Rettungsschiffe werden am Einsatz gehindert. Tausende Menschen ertrinken oder verenden beim Marsch durch die Wüste, nehmen sich das Leben in Libyschen Gefängnissen. Die Sklaverei hält dort wieder Einzug, weil anscheinend alles erlaubt ist, was die Menschen von einer Weiterreise nach Europa abhält.

Innenpolitisch legitimiert die CSU förmlich den noch radikaleren Kurs der AfD, die im Zuge dieser Entwicklung noch weiter nach rechts rückt und mehr und mehr die Maske fallen lässt.

Die AfD ist Protestpartei der gesellschaftlichen nach rechts gerückten Mitte geworden. Sie hat aber mittlerweile, vor allem seit dem Zusammenschluss mit Pegida, auch den Charakter einer faschistoiden, nationalistisch-rassistischen Sammlungsbewegung angenommen. Kurz gesagt: Teile der AfD macht den modernen Faschismus, wie wir ihn schon aus anderen Ländern kennen, bei uns salonfähig.

Gleichzeitig setzt die Regierung Macron in Frankreich ebenfalls an, wichtige Errungenschaften der französischen Arbeiterbewegung zu kippen. Hier wird nicht so sehr die nationale Karte gespielt, der FN isoliert, sondern es wird der vermeintliche Sachzwang zu Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit gepredigt. Vorbild dabei ist im Wesentlichen die Agenda 2010. Aber Macron will mehr als nur Frankreich aufhübschen fürs Kapital, er will das politische System der EU konkurrenzfähig machen im weltweiten Wettbewerb zwischen Trumps USA und China. Die EU soll handlungsfähiger werden in allen politischen und wirtschaftlichen Fragen, auch auf militärischem Gebiet. Er und der Bundesaußenminister Maas schwimmen dabei auf derselben Wellenlänge. Dabei werden taktisch geschickt die Eskapaden Trumps als Begründung für einen schnelleren Kurs der Aufrüstung und für eine mächtigere EU ins Feld geführt.

Zwei Hauptvarianten

Wir haben es also mit zwei verschiedenen Typen einer vermeintlichen Krisenbewältigung im Interesse des Kapitals zu tun. Die eine setzt auf eine noch stringenter an Profitinteressen ausgerichtete, in allen Belangen durchsetzungsfähige EU. Sie setzt auf die ökonomische Stärke der führenden europäischen Staaten allen voran Deutschlands in Kombination mit weitweiten freien Märkten. Mit der fortgesetzten Exportorientierung soll das Kapital in Deutschland und in der EU in Konkurrenz zu den USA und China weiter punkten. Die Innovationskraft insbesondere der Industrie soll weiter gesteigert, die Konzernprofite sollen durch günstige Rahmenbedingungen (Zugang zu billigen Rohstoffen, größer werdender Euroraum, hoher Bildungsgrad, zielgerichtete Forschungsförderung, im Kapitalinteresse optimierte Migrationspolitik) abgesichert werden. Dazu gehören dann logischerweise die weitere Militarisierung der EU und die gemeinsame Abschottung vor ungewünschter Migration. Die extremen Rechten sollen wie in Frankreich von der Regierungsbeteiligung fern gehalten werden.

Diese Fortsetzung der herrschenden EU-Politik verstärkt die krisenhafte Entwicklung weiter. Die dominierenden Staaten bauen ihre Stellung weiter aus, nicht nur in Konkurrenz zu den USA und China sondern auch innerhalb der EU. Fachkräfte verlassen die ausblutenden Regionen Süd- und Osteuropas und suchen ihre Chance in Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland, die Exportstärke der Industrie in Deutschland lässt den Staaten Südeuropas keine Luft, um die Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren und damit aus der Krise zu kommen. Ihre Ausgangssituation bei Beginn der nächsten zyklischen Krise ist denkbar schlecht.

Die andere Variante setzt auf eine patriotisch-nationalistisch aufgeladene Renationalisierung, die eine höhere Geschwindigkeit des neoliberalen Umbaus ermöglichen soll. Dabei werden der EU und den Geflüchteten die Schuld für so gut wie alle gesellschaftlichen Probleme zugeschoben. Also müsse man nur die Rolle der EU zurückfahren und die Grenzen dicht machen, um Kriminalität, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot zu beseitigen.

Beide Varianten haben aber in Wahrheit viele Gemeinsamkeiten, wahrscheinlich ist, dass sich Mischformen herausbilden bzw. Kompromisse auf europäischer Ebene notwendig werden. Sie setzen auf weitreichende Deregulierungen und rassistisch verschleierten Sozialabbau, ähneln sich trotz aller Polemik also stark in ihren Zielen. Beide Entwicklungen sind eine Herausforderung für alle linken Kräfte, denn sie verstärken die bereits vorhandene europaweite Rechtsentwicklung. Erkämpfte Standards, ob bei demokratischen und sozialen Rechten, bei der Migration oder im Umweltschutz, werden zurückgeschraubt und diese Veränderungen werden langfristig abgesichert. Beide Modelle kämpfen derzeit um Hegemonie und um die Gunst des Kapitals. Sollte die Regierung Kurz in Österreich erfolgreich die letzten Errungenschaften des österreichischen Sonderwegs seit 1945 zur Profitsteigerung schleifen können, werden wir Nachfolger in weiteren kapitalistischen Zentren erleben. Die Einbeziehung faschistischer Kräfte in Regierungsbildungen wird zur Normalität, zu einer tolerierten Variante der Durchsetzung neoliberaler Politik. Auch die AfD wird dann mittelfristig die Weihen der Regierungsfähigkeit erhalten. Victor Orban spricht gar vom Ende der liberalen Phase in den europäischen Staaten. Ziel aller Varianten ist die Weiterentwicklung und damit Sicherung des neoliberalen Gesellschaftsmodells in der EU.

Egal welche Variante oder Mischform sich am Ende durchsetzen wird, die Veränderungen sind massiv. Sie sind darüber hinaus begleitet vom weiteren selbst verschuldeten Niedergang der Sozialdemokratie in Europa. In allen Varianten spielt sie keine Rolle mehr, sie wird verzichtbar für den weiteren neoliberalen Umbau. Mit dem Neoliberalismus wurde dem Sozialreformismus die ökonomische Basis entzogen, die Sozialdemokratie versuchte mit einer eigenen Konzeption (Schröder/Blair; Agenda 2010) zu überleben und dem Finanzkapital eine erfolgversprechende Variante zu bieten. Es gibt einige wenige Gegentendenzen in der Sozialdemokratie. Aber Jeremy Corbyn, Bernie Sanders u.a. haben bisher „nur“ Wähler/Innen mobilisiert. Welche Chancen hätte eine sozialreformerische Regierung, selbst in einem der führenden EU Länder?

Gegenkräfte

Die oben beschriebene Rechtsentwicklung bleibt aber gesellschaftlich nicht unbeantwortet. Wir haben es mit bedeutenden Gegentendenzen sowohl in der Arbeiterbewegung (vor allem in der Pflege) und durch neue Bewegungen zu tun. Neue gesellschaftliche Allianzen entstehen aus den Solidaitätsinis mit Geflüchteten, der Mieterbewegung, von Umweltaktivisten und Sozialverbänden. Allen voran die Massenaktionen von #unteilbar in Berlin und #ausgehetzt in München haben die Mobilisierungsfähigkeit dieser neuen antirassistischen Bewegung gezeigt. Insbesondere im Aufruf zur Berliner Großdemo wird die Allianz von antirassistischer mit sozialen Bewegungen deutlich.

Hier Zitate aus dem Aufruf: „Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden. Wir halten dagegen, wenn Grund- und Freiheitsrechte weiter eingeschränkt werden sollen.

Das Sterben von Menschen auf der Flucht nach Europa darf nicht Teil unserer Normalität werden. Europa ist von einer nationalistischen Stimmung der Entsolidarisierung und Ausgrenzung erfasst. Kritik an diesen unmenschlichen Verhältnissen wird gezielt als realitätsfremd diffamiert.

Während der Staat sogenannte Sicherheitsgesetze verschärft, die Überwachung ausbaut und so Stärke markiert, ist das Sozialsystem von Schwäche gekennzeichnet: Millionen leiden darunter, dass viel zu wenig investiert wird, etwa in Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Bildung. Unzählige Menschen werden jährlich aus ihren Wohnungen vertrieben. Die Umverteilung von unten nach oben wurde seit der Agenda 2010 massiv vorangetrieben. Steuerlich begünstigte Milliardengewinne der Wirtschaft stehen einem der größten Niedriglohnsektoren Europas und der Verarmung benachteiligter Menschen gegenüber. (…)

Ob an den Außengrenzen Europas, ob vor Ort in Organisationen von Geflu¨chteten und in Willkommensinitiativen, ob in queer-feministischen, antirassistischen Bewegungen, in Migrant*innen-Organisationen, in Gewerkschaften, in Verbänden, NGOs, Religionsgemeinschaften, Vereinen und Nachbarschaften. ob in dem Engagement gegen Wohnungsnot, Verdrängung, Pflegenotstand, gegen Überwachung und Gesetzesverschärfungen oder gegen die Entrechtung von Geflüchteten – an vielen Orten sind Menschen aktiv, die sich zur Wehr setzen gegen Diskriminierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung.“

Das alles macht Hoffnung, dass die Bäume der Rechten nicht in den Himmel wachsen und eine wirksame Bewegung gegen rechts entstehen kann. Die Zurückhaltung teilweise Ablehnung der DKP gegenüber dieser neuen Allianz ist bezeichnend und beispielhaft für die wachsende Isoliertheit der Partei.

Fragen und Antworten aus kommunistischer Sicht

Welche Antworten geben wir auf diese Veränderungen als Kommunist*innen? Was bedeutet dies für unsere Bündnispolitik?

Aus meiner Sicht muss unser bündnispolitischer Ansatz tendenziell breiter werden. Drei Beispiele: 1) Die wirksamste Gegenwehr gegen den Kreuz-Erlass in Bayern kam aus den Kirchen. 2) Die größte Kundgebung gegen die Atomwaffen in Büchel fand dieses Wochenende mit 600 TN aus dem Umfeld der beiden großen Kirchen statt. 3) Es bildet sich, wie oben ausgeführt, eine neue Bewegung gegen Rassismus heraus, die unterschiedlich ausgeprägt auch soziale Fragen aufgreift und Massen mobilisiert.

Leider erleben wir in der DKP oftmals das genaue Gegenteil. Lucas Zeise in der uz und Björn Schmidt im Referat der vorletzten PV-Tagung, in dem die oben beschriebenen Umbrüche nicht mal angerissen werden, legitimieren die neue italienische Regierung als Ausdruck des Kampfs gegen die EU durch Renationalisierung.

Es scheint so, dass mittlerweile im PV alles als Fortschritt angesehen wird, was zum Auseinanderbrechen der EU führt. Das ist fast schon Maoismus in Reinform. Hauptsache Zusammenbruch, egal welche Kräfte dadurch gestärkt werden, wie sich das politische Klima verändert. Wird denn wirklich alles vergessen, was wir seit Dimitroff gelernt haben?

Wir brauchen gerade angesichts der aktuellen Entwicklung dringend eine Neuausrichtung der Bündnispolitik der DKP. Deshalb sollten wir als erstes Zeichen endlich den Aufruf „Aufstehen gegen Rassismus“ unterstützen!

Und natürlich muss sich dies in der Wahlpolitik kommunistischer Parteien widerspiegeln. Mit dem Austritt der Partie de Gauche aus der EL erleben wir eine erneute Spaltung der Linken auf europäischer Ebene, während rechte Parteien ihre neu errungenen Positionen in den Wahlkampf führen werden. Es ist zu befürchten, dass sich auf nationaler Ebene in Deutschland eine ähnliche Entwicklung abzeichnen wird.

In einer solchen Situation müssten Kommunistische Parteien vehement für ein Zusammenwirken aller linken Parteien werben und selbst mit gutem Beispiel voran gehen. Eine Herangehensweise, die die oben beschriebenen Veränderungen außer Acht lässt und trotz vorprogrammierter, ja erwarteter Erfolgslosigkeit die Eigenkandidatur vorantreibt, ist verantwortungslos. Sinnvoller wären stattdessen Initiativen für Wahlbündnisse zum Schutz von Geflüchteten, für Umverteilung durch eine Millionärssteuer und für gemeinsamen Widerstand gegen Aufrüstung europaweit und national. Die DKP-Eigenkandidatur ist nur noch reiner Selbstzweck, die „Partei“ auf die Straße zu bringen mit den eigenen politischen Forderungen, völlig losgelöst von gesellschaftlichen politischen Erfordernissen.

Renationalisierungsdiskussion

Innerhalb der linken Kräfte Europas mehren sich die Stimmen, die in einer Renationalisierung von links einen Ausweg aus der Dominanz neoliberaler Politik sehen. Dabei wird angenommen, dass auf nationaler Ebene ein Politikwechsel im Interesse der arbeitenden Menschen leichter durchsetzbar sei als im europäischen Maßstab. Aus meiner Sicht ist spätestens mit der Erpressung der Syriza-Regierung deutlich geworden, dass dieser Ausweg für kleine abhängige Staaten Europas nicht gilt. In dominierenden Staaten wie Deutschland ist nicht erkennbar, warum eine Änderung des Kräfteverhältnisses auf nationaler Ebene leichter durchsetzbar sein sollte als auf europäischer. Gerade die europaweite ökonomische Dominanz des Kapitals in Deutschland (nicht des deutschen Kapitals) macht deutlich, dass nur der gemeinsam geführte international Kampf einer breit vernetzten Bewegung solche Veränderungen herbeiführen kann. Dabei geht es nicht darum, die Bedeutung des Kampfes für Veränderung auf nationaler Ebene kleinzureden. Natürlich bleibt der Nationalstaat der wichtigste Rahmen für die Klassenauseinandersetzungen. Er reicht aber aufgrund der neuen Qualität der Internationalisierung des Kapitals (siehe Beitrag von Uwe) nicht mehr aus und muss ergänzt werden durch eine enge Vernetzung der Akteure auf internationaler Ebene und eine Erweiterung unseres Politikansatzes. Das Gesamtinteresse der Arbeiterklasse kann nicht mehr nur national definiert werden.

Wir sollten deshalb bei unserer grundsätzlichen Position aus dem EU-Wahlprogramm der DKP von 2009 bleiben, sie ist noch aktuelle geworden:

Ein anderes Europa ist möglich! Eine fortschrittliche Alternative zur heutigen Europäischen Union kann unserer Meinung nach nicht in einer Rückkehr zur nationalstaatlichen Abschottung und zum [durch die EU nicht überwundenen, aber modifizierten d.V.] Gegeneinander der kapitalistischen und imperialistischen Nationalstaaten der Vergangenheit liegen. „Die weitere Entwicklung der Europäischen Union wird davon abhängen, inwieweit es der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung, der globalisierungskritischen Bewegung, den demokratischen Kräften gelingt, im gemeinsamen Handeln die Beherrschung der EU-Institutionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese Institutionen zu demokratisieren und selbst Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen.

Der imperialistische Charakter der EU-Konstruktion macht jedoch die Erwartung illusorisch, diese Europäische Union könne ohne einen grundlegenden Umbruch in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen zu einem demokratischen, zivilen und solidarischen Gegenpol zum US-Imperialismus werden. Nur ein Europa, das gegen den Neoliberalismus und für den Frieden in der Welt arbeitet, würde das internationale Kräfteverhältnis entscheidend verändern. Dazu muss die Macht der Transnationalen Konzerne gebrochen und müssen die Kämpfe auf nationaler und europäischer Ebene miteinander verbunden werden.“ (Programm der DKP)

Der losgebrochene Handelskrieg kann zu einem Auslöser für die lange hinausgezögerte Rezession werden. Große Unsicherheit herrscht an den Finanzmärkten auch aufgrund der oben beschriebenen Krisen, erste Bremsspuren werden sichtbar. Die starke Exportabhängigkeit der deutschen Industrie lässt nichts Gutes erwarten, wenn der Weltmarkt in Turbulenzen gerät. Wie werden die bereits heute von den oben beschriebenen Angstkampagnen verrohten und nach rechts radikalisierten Teile der Arbeiterklasse reagieren, wenn erst eine Rezession losbricht?

Liebe Genossinnen und Genossen,

aus all dem ergibt sich aus unserer Sicht die Verstärkung der politisch kreativen Debatte um die am Anfang aufgeworfenen Fragen. Dies wäre aus unserer Sicht eine nachhaltige Weiterentwicklung kommunistischer Politik auf diesem Politikfeld.

 

Veranstaltungshinweis

Einladung zum Dritten Ratschlag marxistische Politik
Gewerkschaften zwischen Integration und Klassenkampf
Samstag, 20. April 2024
bei medico international, Lindleystraße 15, 60314 Frankfurt am Main (Nähe Ostbahnhof)
11:00 Uhr bis 16:30 Uhr
Wir laden Euch herzlich ein zum dritten Ratschlag marxistische Politik.
Die multiple Krise des Kapitalismus, Veränderungen in den Klassenstrukturen und die sozial-ökologische Transformation sind große Herausforderungen für Gewerkschaften und Arbeiter*innenbewegung. Der Widerspruch zwischen Systemeinbindung einerseits und notwendigen gesellschaftspolitischen Veränderungen anderserseits wird in der Krise immer deutlicher. Gleichzeitig fordern neue Angriffe auf Löhne und soziale Rechte gewerkschaftliche Gegenmacht geradezu heraus.
Auf dem Ratschlag wollen wir uns ein Bild zur aktuellen Lage machen und über Antworten aus marxistischer Sicht diskutieren.

Es referieren:
Nicole Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie von Arbeit, Unternehmen, Wirtschaft, Göttingen

Frank Deppe, emer. Professor für Politikwissenschaft, Marburg

Zu diesem Ratschlag laden ein:
Bettina Jürgensen, Frank Deppe, Heinz Bierbaum, Heinz Stehr, Ingar Solty

Anmeldung aufgrund begrenzter Raumkapazität bis spätestens 13.04.24 erforderlich unter:
marxlink-muc@t-online.de
Bitte beachtet, dass es auf der Veranstaltung nur ein eingeschränktes Essensangebot geben wird.


Aufruf “Partei erhalten und gemeinsame Perspektiven entwickeln !“

Liebe Genossinnen und Genossen,

in den ökonomisch stärksten Zentren der Welt hält die Rechtsentwicklung an. Damit verbunden ist in Deutschland wie in anderen imperialistischen Ländern auch der Versuch einer noch rigoroseren Durchsetzung des Neoliberalismus. Die Angriffe maßgeblicher Kapitalkreise auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Bevölkerung führen zu weiterem Abbau sozialer und demokratischer Errungenschaften. In dieser Situation tragen Kommunistinnen und Kommunisten weltweit eine große Verantwortung dafür,  Alternativen zur neoliberalen Kriseneskalation aufzuzeigen. Die Suche nach Lösungswegen macht einen längeren Diskussionsprozess erforderlich, in dem unterschiedliche Auffassungen etwas vollkommen Normales sind. Notwendig ist aber ein solidarisches Miteinander ohne Denkschablonen oder gar administrative Maßnahmen.

Die politischen Schlussfolgerungen aus dieser Entwicklung sind klar: Wir müssen und wollen diese Herausforderungen annehmen und kommunistische Politik entwickeln. Zu einer anhaltenden Auseinandersetzung um den richtigen Kurs der Partei und zu einem gleichzeitigen Bemühen, trotz der Differenzen Möglichkeiten des aktuellen gemeinsamen Eingreifens in die heutige Politik zu suchen und zu finden, gibt es keine brauchbare und wirkungsvolle Alternative.

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Offener Brief des Netzwerkes kommunistische Politik an die Mitglieder der DKP

25.06.2016: „Aktuelle Herausforderungen annehmen – Kommunistische Politik entwickeln“, so lautet die Überschrift eines Offenen Briefes an die Mitglieder der DKP, der im Juni des letzten Jahres durch die 8 Initiatoren an den DKP-Parteivorstand übergeben wurde.
Über 250 Mitglieder der DKP haben diesen Offenen Brief unterschrieben.

 
Aktuelle Herausforderungen annehmen – Kommunistische Politik entwickeln
 
Liebe Genossinnen und Genossen,
wir sind als Kommunistinnen und Kommunisten Mitglieder in der DKP auf der Basis der politischen Inhalte unseres Programms und der innerparteilichen Demokratie.
Wir verstehen uns als Diskussionsplattform, als Netzwerk, um unsere Erfahrungen in der politischen Arbeit in Gewerkschaften, Bewegungen, Initiativen für die Partei nutzbar zu machen. Wir bringen diese Hinweise, Anregungen und Erkenntnisse dort ein, wo wir aktiv sind, egal ob in Betriebsgruppen, Stadtgruppen, Bezirks- oder dem Parteivorstand.
Wir sind durch die aktuelle Vorgehensweise der Mehrheit im Parteivorstand an den Rand gedrängt. Nicht wenige langjährige Mitglieder haben u.a. aus diesem Grund unsere Partei verlassen. Das sehen wir mit großer Sorge.
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