06.03.2018: Diskussionsbeitrag von Thomas Hagenhofer, DKP Saarland, auf dem 22. Parteitag der DKP
Liebe Genossinnen und Genossen,
wenn, wie Frank Zappa einmal sagte, die Politik die Unterhaltungsabteilung der Wirtschaft ist, dann steht es um den Unterhaltungswert derselben derzeit schlecht. Auch in den beteiligten Personen spiegelt sich immer deutlicher die Dauerkrise eines Gesellschaftssystems wieder, das nur noch Abziehbilder, Parteisoldaten und keine echten Persönlichkeiten mehr hervorzubringen vermag.
Wenn nun schon die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Hoffnungsträgerin für die CDU wird, dann wird deutlich, wie dünn die Luft um Kanzlerin Merkel geworden ist. AKK steht für den sogenannten wertkonservativen Teil der CDU – erzkatholisch und dem Kapital als weltlicher Herrscher treu ergeben, wenn es nicht gar zu sehr über die Stränge schlägt. Gleichzeitig ist sie eine verjüngte Version von Merkel selbst. Ihr Erfolgsrezept: Netzwerken zum Ausbau der eigenen Macht bis zum Abwinken wird gepaart mit einer oft burschikosen Umarmungsstrategie gegenüber Kontrahenten. Die „Saarländische Lösung“ für die Umsetzung der Schuldenbremse mit der folgenden Kaputtsparpolitik durch Einbindung fast aller Gewerkschaften ist vor allem ihr Werk. Sie ist nicht die reaktionärste personelle Lösung und sie ist in sozialen Fragen auch druckempfindlich. Sie bedient viele Profile und Rollen und ist damit die ideale Kompromisskandidatin, die ein Auseinanderdriften der CDU verhindern soll. Aber sie ist schnell austauschbar für andere noch reaktionärere Varianten, wenn es denn noch schneller nach rechts gehen soll.
Nicht nur in der CDU nimmt die Labilität des politischen Systems aktuell neue Größenordnungen an. Eine SPD, die ihr Führungspersonal so schnell verschleißt wie nie vorher. Eine CSU, die vor lauter Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit eine „konservative Revolution gegen die herrschenden 68er“ proklamiert und die AfD zu verbalen Ausfällen Goebbels‘scher Dimensionen provoziert.
Was sind die tieferen Ursachen für diese Labilität? Im Kern ist es die durch Jahrzehnte andauernde neoliberale Politik und durch Krisen verschärfte Spaltung der Gesellschaft. Die Erfahrung von Millionen Menschen abgehängt zu sein von der prosperierenden Entwicklung führt zu Abstiegsängsten insbesondere in der Mitte der Gesellschaft, also auch in großen Teilen der Arbeiterklasse. Es gibt eine alte Erfahrung in solchen Situationen: Wenn in Krisenzeiten keine fortschrittliche Alternative erreichbar erscheint und die Gesellschaft zumindest mit prägen kann, kann Protest nach rechts gewendet werden. Diese Entwicklung muss uns alarmieren. Sie muss uns aber nicht resignieren lassen.
Die Frage, wie linke Politik in unserem Land und in Europa wieder attraktiv, wieder anziehend werden kann, muss uns umtreiben. Auch wir als kleine Kraft haben hier Verantwortung. In nahezu allen linken Organisationen ist angesichts der Rechtsentwicklung die Diskussion darüber entfacht, wie wir aus diesem Schlamassel rauskommen. Ich meine: Diese Frage kann keine Kraft alleine beantworten, sie kann nur in einem gemeinsamen Diskussions- und Arbeitsprozess, in und mit den Kämpfen gelöst werden.
Die Herausforderungen durch die Rechtsentwicklung sind sehr komplex und können nicht durch eine einzige Antwort bekämpft werden.
Die wachsende Labilität birgt immer zweierlei, Risiken und Chancen. Die Risiken liegen auf der Hand: Weitere Rechtsentwicklung gepaart mit dynamisierter neoliberaler Politik drohen zu einer weltweit eingesetzten Antwort auf die Krise zu werden. Die Regierungen in den USA und Frankreich sowie viele andere stehen dafür. Möglicherweise ist die Kurz-Regierung in Österreich aktuell die gefährlichste Form mit Auswirkungen auch für unser Land.
Es braucht eine breite Bewegung gegen Rassismus bis weit in bürgerliche Kreise hinein genauso wie eine Antwort durch soziale Kämpfe, die die wahren Gegner der arbeitenden Menschen sichtbar machen, wie in der Pflege. Es braucht breite Bündnisse wie „Aufstehen gegen Rassismus“ genauso wie kluge entschlossene antifaschistische Aktionen gegen die Nazis auf der Straße. Wir mit unseren Erfahrungen als Kommunistinnen und Kommunisten tun gut daran, diese verschiedenen Komponenten gegen rechts nicht gegeneinander auszuspielen, sondern im Gegenteil als verbindendes Element agieren. Zu den Risiken sollten wir auch einen kompletten Niedergang der SPD zählen, denn dies würde eine weitere Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses nach rechts bedeuten.
Aber auch die Chancen werden deutlicher sichtbar. Eine wachsende Zahl von Menschen, die sich nicht mehr mit dem Weiter-so abfinden wollen, die sich der negativen Wirkung einer GroKo bewusst werden und einen Politikwechsel, mehr demokratische Mitwirkung fordern. Deutliches Zeichen hierfür ist die NoGroKo-Bewegung in und außerhalb der SPD. Im Aufruf von Gewerkschafter/innen: FÜR EINE SOZIALE ALTERNATIVE ZUR POLITIK DER GROSSEN KOALITION, der bislang von 1.300 Kolleginnen und Kollegen unterstützt wird, heißt es: „Die Umsetzung des GroKo-Vertrages wäre ungeeignet, die realen gesellschaftlichen Probleme, insbesondere die Armuts- und Reichtumsentwicklung, zu lösen. Statt den Koalitionsvertrag zu bejubeln, müssen die Gewerkschaften ihre inhaltlichen Anforderungen an die Koalition und die Regierung bekräftigen und diese durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen untermauern. Die Gewerkschaften müssen konsequent ihre Aufgabe als parteipolitisch unabhängige Interessenvertretung der von Lohnarbeit abhängigen Menschen wahrnehmen. Eine soziale Alternative, ein Politikwechsel für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit und für Frieden ist und bleibt notwendig.“ Zitatende
Vielen dieser Initiativen liegt ein Prinzip zugrunde: Neben einem gemeinsamen inhaltlichen Nenner ist die Demokratisierung der eigenen Strukturen eine Grundvoraussetzung. Aufgrund der Veränderungen im Bewusstsein der arbeitenden Menschen ist dies zu einer generellen Aufgabe für die Organisationen der Arbeiterklasse geworden. Ganz so wie in der Pflege, wo mit einem Netz von Streikberaterinnen und -beratern bis auf Stationsebene eine neue Struktur geschaffen wurde, die eine enge Rückkopplung mit der Basis und ihren Wünschen ermöglicht.
Leider spiegeln sich die Entwicklungstendenzen sowohl von ihren Gefahren aber vor allem ihren Chancen aus meiner Sicht auf unserem Parteitag zu wenig wieder. Die aktuelle Frage in unserer Politikentwicklung ist die: Haben wir den richtigen Fokus auf solche Entwicklungen und möglichen Prozesse? Nicht nur der Leitantrag befasst sich ausschließlich in der Theorie mit der Wende zu Frieden, demokratischem und sozialen Fortschritt statt Schlussfolgerungen aus den heutigen Kämpfen gegen rechts und gegen Neoliberalismus zu ziehen und Chancen wahrzunehmen. Es fehlen strategische und taktische Überlegungen und Konzeptionen für eine Veränderung des Kräfteverhältnisses in diesem Land heute. Vorhandene Erfahrungen in der Partei werden nicht abgerufen. Es gibt eine Inflation von Versuchen das Parteiprogramm, das immer noch konkrete und brauchbare Ansätze dafür liefert, auszuhebeln und zu entsorgen. Dies widerspricht doch der Notwendigkeit, effektiv und vielfältig in diese Auseinandersetzungen und Prozesse eingreifen zu können. Und: Genossinnen und Genossen, die gerade mit solchen Ansätzen und Überlegungen verbunden sind, sollen mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen das Netzwerk diszipliniert und sogar aus der Partei gedrängt werden. Das ist doch geradezu der Boden für weitere Mitgliederverluste und für den Rückzug aus der aktiven Parteiarbeit. Die Chance wird leider nicht genutzt aus den politischen Kämpfen mehr Gemeinsamkeiten für unsere Partei zu entwickeln.
Das Trennende wird wieder zur Ikone gemacht und in den Vordergrund gerückt. Um nicht missverstanden zu werden, theoretische Debatten über lang- oder mittelfristige Strategien sind wichtig. Aber jetzt ist doch entscheidend, mit welcher strategischen Orientierung wir mithelfen wollen, aktuell etwas zu verändern, damit sich unser Sofortprogramm umsetzen lässt. Darauf sollten wir uns alle mit unseren Fähigkeiten konzentrieren, wenn wir die Existenzkrise der Partei erfolgreich bekämpfen wollen. Die Weiterentwicklung der innerparteilichen Demokratie sehe ich dabei als eine große Chance. Warum die Erfahrungen aus erfolgreichen Bewegungen, wie die Pflege, nicht auch für uns nutzbar machen?