Folgender Offener Brief sowie zwei Leser*innenbriefe zur Bewertung der Verbrechen in der Stalin-Zeit wurden von der uz-Redaktion nicht veröffentlicht. Deshalb dokumentieren wir sie hier:
DKP Braunschweig
c/o Werner Hensel
38104 Braunschweig
Braunschweig, 21. August 2025
Offener Brief an Parteivorstand der DKP
Liebe Genossinen und Genossen,
im Artikel von Kurt Baumann „Heran an die Massen“, UZ vom 18. Juli 2025 heißt es u.a.: „Die Definition und die wesentlichen Werke, in denen die Inhalte des Marxismus-Leninismus zusammengefasst wurden – Josef Stalins „Grundlagen des Leninismus“ und die späteren „Fragen des Leninismus“ – sind bis heute eine grundsätzliche Orientierung.“ Und: „Die „Thesen über die Bolschewisierung der Parteien der Kommunistischen Internationale“ des Exekutivkomitees (EKKI) erklärten diese Prinzipien zur Grundlage der Massenarbeit der Partei. Das ist bis heute die gültige Form, die der demokratische Zentralismus in der DKP annimmt.“
Zu diesen Aussagen erwarten wir eine Äußerung des Parteivorstandes. Teilt der Parteivorstand die Auffassung Kurt Baumanns? Wird die Organisationspolitik der DKP auf Grundlage der Werke Stalins entwickelt? Das halten wir für falsch, es widerspricht dem aktuellen Statur und dem Parteiprogramm.
Im anliegenden Dokument der Geschichtskommission der DKP „Zur Geschichtsdiskussion. Letzte Fassung nach Diskussion in parteiöffentlicher Sitzung der Geschichtskommission am 12.5.94 in Leverkusen“ wird ausführlich auf die Folgen einer solchen Orientierung eingegangen. Es scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Sollte der Parteivorstand nicht zur einer Stellungnahme in der Lage sein, empfehlen wir die Veröffentlichung des o.g. Dokumentes der Geschichtskommission.
In der UZ vom 25. Juli 2025 heißt es im Artikel „Multipolarität und Imperialismus“ von Conny Renkel: „Russland führt einen gerechten Krieg. In der Ukraine besteht die Aufgabe der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten darin, das Kompradorenregime zu stürzen und die Imperialisten aus dem Land zu treiben.“ Auch diese Position halten wir für falsch. Wir sind der Auffassung, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands handelt, zu dem es bei aller Verantwortung der NATO-Kriegstreiber eine Alternative gegeben hätte – kein Krieg! Die Aussage Conny Renkels fällt auch weit hinter den Beschluss des 24. Parteitag zum Thema zurück. In diesem heißt es: „Russland hat die Ukraine angegriffen. Wir sehen dabei allerdings zwei Ebenen. Einmal die Anerkennung der beiden Volksrepubliken, das entsprechende Beistandsabkommen und die militärische Unterstützung der beiden Volksrepubliken im von der Ukraine gegen sie geführten Krieg.
Dies ist aus unserer Sicht völkerrechtlich gedeckt und stellt für die Bevölkerung des Donbass vor allem die Hoffnung auf die Beendigung des achtjährigen Kriegs dar. Die andere Ebene sind die weitergehenden Angriffe auf die Ukraine. Hier gibt es bei uns unterschiedliche Beurteilungen. Diese reichen von der Einschätzung, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt, bis zur Bewertung, dass es ein Verteidigungskrieg sei, der der Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs diente und der damit völkerrechtlich gedeckt wäre. Dazu wollen wir künftig unsere kollektive Diskussion verstärken.“
Wir erwarten eine Klarstellung des Parteivorstandes zu der Aussage, dass Russland einen gerechten Krieg in der Ukraine führt. Unsere Glaubwürdigkeit als Friedenskraft und unser Arbeit in der Friedensbewegung stehen auf dem Spiel.
Mit solidarischen Grüßen
Werner Hensel, im Auftrag des Kreisvorstandes der DKP
Wir senden diesen Brief an die Redaktion der UZ und an Parteigliederungen unserer Bezirksorganisation.
„Das Publikum war tief bewegt.“
Jenny Farrells Artikel zu Schostakowitschs 13. Sinfonie in der UZ vom 8. August: Anmerkungen zu dem Leserbrief von David Hoeck, UZ vom 29.08. und der Anmerkung der Redaktion
Nach dem Lesen des Beitrages von J. Farrell war mir bewusst, so hatte ich diese Sinfonie noch nie gehört. Der Beitrag erschloss mir ein beeindruckendes Verständnis. Dass die redaktionelle Überschrift „Die Internationale als Prüfstein“ unpassend ist, hat mich nicht weiter beschäftigt – bis zu dem Leserbrief von David Hoeck. Zwei Probleme wurden mir deutlich: das reaktionär-stalinistische Geschichts- und Sozialismus- Verständnis des Genossen Hoeck und die Billigung dieses Verständnisses durch die Anmerkung der Redaktion der UZ und letztlich des Herausgebers der UZ, des Parteivorstandes meiner Partei.
Jetzt im Nachhinein, durch die Anmerkung zum Leserbrief, gewinnt die Überschrift für mich mehr als nur eine fragwürdige Nachlässigkeit. Im Artikel von J.F. heißt das Zitat: »Die Komposition benennt die „Internationale“ als Maßstab wahrer Menschlichkeit: „Die Internationale tönt und gellt, / wenn keine Menschenseele mehr besessen / von Judenfeindschaft hier auf dieser Welt.“« Die Internationale, sie erkämpft das Menschenrecht – das ist ein Anspruch, deutlich von J. Farrell herausgearbeitet. Ein Prüfstein? – wofür? Dies findet sich nirgends als Kriterium. Auch bezieht sich dieses Thema nur auf den ersten Satz der Sinfonie „Babi Jar“.
J. Farrell schreibt zum wesentlichen Inhalt der Sinfonie: „Die Komposition ist eine Bestandsaufnahme der sowjetischen Gesellschaft Anfang der 1960er Jahre. Ihr weltanschauliches Fundament ist der Anspruch, eine wahrhaft sozialistische Gesellschaft zu sein. Immer wieder wird im Text deutlich, dass weder Jewtuschenko noch Schostakowitsch diese Gesellschaft ablehnen. Vielmehr wollen sie durch die Thematisierung schwieriger Themen ihr Publikum zum Nachdenken anregen.“
… „Doch bei der Uraufführung im Moskauer Konservatorium herrschte eine feierliche, ergreifende Atmosphäre – das Publikum war tief bewegt.“
Das hätte die Grundlage einer Überschrift sein können.
Zu der Anmerkung der Redaktion: „An der besagten Stelle wurde eine Korrektur nicht berücksichtigt. „Stalinistischer Terror“ gehört nicht zum Sprachgebrauch der UZ.“
Was besagt diese Anmerkung?
Zum einen, die Redaktion maßt sich an, Beiträge entsprechend ihrem Sprachgebrauch zu „korrigieren“. Jetzt wissen alle Autor*innen, die nicht hundertprozentig dem „Sprachgebrauch“ entsprechen, was sie erwartet.
Und inhaltlich? Die Redaktion distanziert sich nicht nur von einem Begriff. Sie distanziert sich von der Sicht der Autorin auf die sowjetische Gesellschaft, auf die Sicht Schostakowitschs und Ehrenburgs auf die sowjetische Geschichte. In dem Satz: „Ebenso reflektiert die Sinfonie die Nachwirkungen des stalinistischen Terrors und die Ängste der im Krieg so heldenhaft kämpfenden Menschen vor Denunziation.“ hat J. Farrell dies zusammengefasst.
Ignoriert wird die Aufarbeitung der Stalinzeit durch die KPdSU, „Geschichte der KPdSU“, Original Moskau 1969, Verlag MB 1971, S. 553: „Indessen stellte J.W. Stalin auf dem Februar/März Plenum des ZK im Jahr 1937, als der Sozialismus in der UdSSR bereits gesiegt hatte, die falsche Thes auf, dass sich der Klassenkampf im Lande mit der Festigung der Positionen des Sozialismus und dem weiteren Vormarsch des Sowjetstaates immer mehr verschärfen werde. In Wirklichkeit hatte der Klassenkampf im Sowjetland die größte Schärfe in der Periode erreicht, als die Frage „Wer – Wen?“ zur Entscheidung stand und die Grundlagen des Sozialismus geschaffen wurden. Doch nachdem der Sozialismus gesiegt hatte, die Ausbeuterklassen liquidiert waren, und in der Sowjetgesellschaft die sozialistische Einheit hergestellt war, erwies sich die These von der unvermeidlichen Verschärfung des Klassenkampes als falsch. In der Praxis diente sie zur Begründung von Massenrepressalien gegen namhafte Partei- und Staatsfunktionäre, Mitglieder und Kandidaten des ZK, bedeutende sowjetische Truppenführer und viele andere Kommunisten und Parteilose, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen. Die Verantwortung dafür tragen auch Molotow und Kaganowitsch. Gröblich verletzt wurden das Parteistatut und die sowjetischen Gesetze. Die auf Anweisung Jeschows und Berijas von Organen des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten willkürlich gegen Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees erhobenen Anschuldigungen wurden auf den Plenartagungen des ZK nicht behandelt.
…. Die Organe der Staatssicherheit hatten sich zweifellos um den Schutz der Errungenschaften der Revolution verdient gemacht und genossen großes Vertrauen. Doch das änderte sich, nachdem die Kontrolle der Partei und Regierung über diese Organe durch die persönliche Kontrolle Stalins ersetzt worden war und die übliche Ausübung der Rechtsprechungsnormen nicht selten seinen persönlichen Entscheidungen Platz machte. Auf seine Weisung hin wurde zuerst Jeschow und später Beria zum Volkskommissar für innere Angelegenheiten ernannt. Diese fügten mit ihrer verbrecherischen Tätigkeit der Partei und dem Volk besonders schweren Schaden zu. Unter ihrer aktiven Mitwirkung wurden viele ehrliche Sowjetmenschen, Kommunisten und Parteilose, verleumdet und schuldlos Repressalien ausgesetzt.“
UZ Redaktion, Parteivorstand und Geschichtskommission haben sich ihr eigenes Bild der „Stalin-Zeit“ geschaffen. Die Geschichte wird nicht wiedergespiegelt, sie wird nach den eigenen Vorstellungen interpretiert. Wir, als DKP, waren schon weiter. Nur auf einen Beitrag will ich hinweisen: Marxistische Blätter 2007/05, Robert Steigerwald: Koba, wozu brauchst DU meinen Tod? – Zu den Moskauer Prozessen 1936/38
2025-08-31 Rainer Dörrenbecher
Liebe Genossinnen und Genossen,
vielen Dank für den hervorragenden Artikel von Jenny Farrell, der mich die 13. Symphonie von Schostakowitsch ganz anders hören und verstehen läßt; bewundernswert, wie sie Zeit, Geschehen, das Leben in der Sowjetunion und deren Verarbeitung in dem Musikstück miteinander in Verbindung bringt und verständlich macht.
In der UZ vom 29.8. gab es dazu einen Leserbrief, zu dem ich mich nicht weiter äußern will; er zeugt entweder von Unwissen oder vom Willen, für unangenehme Wahrheiten seltsame Begründungen weiterzugeben.
Stutzig gemacht hat mich Eure redaktionelle Anmerkung, dass „stalinistischer Terror“ nicht zum Sprachgebrauch der UZ gehört. (Nebenbei: Hättet Ihr Jennys Artikel einfach „redaktionell korrigiert“?)
Wie ist denn der „Sprachgebrauch der UZ“ für die ungezählten Morde an (nicht nur) Kommunistinnen und Kommunisten in der 1930er und 1940er Jahren? Die DKP-Geschichtskommission hat sich nach 1990 lange damit auseinandergesetzt und sich nicht gescheut, den Begriff „Terror“ dafür zu verwenden. Anscheinend versucht Ihr, hinter diesen Erkenntnis-stand zurückzugehen; leider ist das nicht der einzige Hinweis für solche Versuche.
Mit sozialistischen besorgten Grüßen,
Norbert Heckl, Stuttgart
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