
Militarismus und Krieg
Unter dieser Überschrift stand das Treffen des Netzwerks Kommunistische Politik in Solingen Ende September.
Mehr Teilnehmer/innen als angemeldet und gleichzeitig viele Absagen aus Termingründen zeigten das große Interesse, darüber und, am zweiten Tag, über Entwicklungen in der DKP zu diskutieren. Auch über weitere „Marxisti-sche Ratschläge“ wurde beraten.
Das inhaltliche Thema wurde mit zwei Beiträgen eingeleitet. Der erste befasste sich vor allem mit der nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgerufenen militärischen Zeitenwende, der zweite mit der damit einhergehenden „autoritären Zeitenwende“ (s. Datei). Dabei stellten beide Referenten heraus, dass die Zeitenwende schon weit vor dem Februar 2022 begonnen hatte.
Im wirtschaftlichen Bereich ist sie, wie Franz Garnreiter im jüngsten isw-Report darlegt, seit den 2010er Jahren deutlich erkennbar, als USA und EU sich genötigt sahen, ihre wirtschaftliche Vormachtstellung abzusichern. Vor allem gegen das aufsteigende China wollten sie ihre „regelbasierte interna-tionale Ordnung absichern, wollten weiter die Mächte bleiben, die die Regeln setzen, gegen eine sich abzeichnende multilaterale Welt.
Während Tobias Pflüger in einem ND-Beitrag schreibt, dass die deutsche Außenpolitik schon seit 1990 immer militärischer geprägt wird, wird die militärische Zeitenwende sehr deutlich etwa ab der Jahrtausendwende. Einige Stichworte dafür sind die Ausweitung der NATO in verschiedenen Wellen nach Osten ab 1999, die Kündigung von Rüstungsverträgen durch die USA (schon unter George W. Bush), ein Anstieg der Rüstungsausgaben weltweit (Schluss mit der „Friedensdividende“); während beispielsweise der deutsche „Verteidigungshaushalt“ (nur der sog. Einzelplan 14) 2005 noch 23.9 Mrd. € betrug, war er bis 2014 schon um mehr als 1/3 auf 32,4 Mrd gestiegen und erreichte 2022 über 50 Mrd. €. Die NATO hatte bereits beschlossen, dass ihre Mitgliedsstaaten mindestens 2% des BIP für Rüstung ausgeben sollen. Das EU-Parlament beschloss im März 2021 erstmals einen seit 2017 vorbereiteten „Verteidigungsfonds“, gefolgt von einer sog. „Friedensfazilität“ im April, mit der Auslandseinsätze ihrer Mitgliedsstaaten mitfinanziert werden sollten.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 sprachen deutsche Politiker, u.a. Bundespräsident Gauck davon, dass „Deutschland mehr Verantwor-tung übernehmen muss, andere Länder erwarten das.“ Pläne für eine Aufrüstung lagen in den Schubladen der deutschen Regierung bereit, der Einmarsch Russlands war dann der „Schubladenöffner“, um, wie der CSU-Politiker Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion im EU-Parlament, eine „Dynamik der Aufrüstung zu entesseln.“ Der „Weg in die Militärrepu-blik“ war damit geöffnet, wie Tobias Pflüger und Jürgen Wagner vom Tübinger IMI feststellen.
Eine Einpeitscherrolle spielen dabei die meisten Medien, die die Regie-rungspolitik nicht nur wohlwollend begleiten und propagieren, sondern sie aggressiv Richtung „Kriegstüchtigkeit“ treiben.
Ein geheimer „Operationsplan Deutschland“, der ständig erweitert und aktualisiert wird, wurde erarbeitet, gefolgt von einem „Grünbuch 4.0 zur zivil-militärischen Zusammenarbeit“. In beiden wird untersucht, wie „kriegstüchtig“ die deutsche Gesellschaft ist ( sehr ungenügend) und vor allem, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um sie dazu machen. Aufgeschlüsselt werden staatliche, wirtschaftliche, institutionelle Bereiche, die „Zivilgesellschaft“ und welche Aufgaben sie dazu leisten müssen. Deutlich schreiben die Autoren (und auch Autorinnen) des „Grünbuchs“, dass es „handlungsleitend für Entscheidungsträger/innen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft“ ist. (Mit beiden Papieren müssen wir uns viel mehr beschäftigen.)
Autoritäre Wende
Die militärische Zeitenwende wird flankiert von einer autoritären Zeiten-wende, einem autoritären Staats- und Gesellschaftsumbau. Damit wird aber auch auf die ökonomische Krise des Kapitalismus reagiert (schwa-ches bis gar kein Wachstum, Abbau von v. a. Industriearbeitsplätzen, wachsende Arm-Reich-Polarisierung) und damit einhergehend EU-weite Krise des politischen Systems. Das Dilemma: Der Staat muss einerseits demokratisch erscheinen, andererseits aber die unsozialen und unsicheren Verhältnisse aufrechterhalten.
Ausdrucksformen sind verschärfte Länder-Polizeigesetze, Präventivhaft, in jüngerer Zeit Verbot palästinasolidarischer Veranstaltungen und das Vorgehen gegen „Rheinmetall entwaffnen“. Ingar Solty: „Die Erosion der Hegemonie nach innen macht den Kapitalismus auch innergesellschaftlich extrem illiberal.“
Dabei können die USA, auch mit ihrem „Verbot der Antifa“, durchaus als Blaupause dienen.
Die politische Funktion ist klar: Antwort der Herrschenden auf ihre Krise, Sicherung der Macht- und Eigentumsverhältnisse gegen (potentiell) wach-senden Widerstand; dabei spielt die AfD eine unterstützende Rolle.
Was können/müssen wir dagegen tun? Über diese autoritäre Entwicklung reden , ihre Funktion klarmachen; alternative Vorstellungen einer solida-rischen Gesellschaft entwickeln; auf die Straße gehen und oppositionelle Bewegungen miteinander verbinden.
Die beste Antwort auf die autoritäre Zeitenwende ist eine solidarische, demokratische und marxistische Bewegung, die sich nicht einschüch-tern lässt. (Das ganze Referat als PDF zum Download)
Eine lebhafte Diskussion vertiefte viele Aspekte: Das Tempo der Kriegsvor-bereitung beschleunigt sich, Rolle der Gewerkschaften in der Friedens-bewegung schwach; auch juristisch verschärftes Vorgehen gegen „die Antifa“, willkürliche Konstruktion „verfassungsfeindlicher“ Gruppen, Wie-dereinführung der Berufsverbote, Vernebelung des Faschismusbegriffs („Putin ist ein Faschist“), Auflösen des Zusammenhangs von Faschismus und Kapitalismus; gibt es einen „Deep State“ – oder beschreibt es unsere Begrifflichkeit „Staatsmonopolistischer Kapitalismus“ nicht besser? Eine längere kontroverse Diskussion wurde über die Rolle und Verfasstheit Russlands geführt – wichtig ist, sich ein realistisches Bild des heutigen Russland zu erarbeiten, auch über seinen Platz in der widersprüchlichen internationalen Entwicklung. (Hilfreich dabei auch der „Russland-Reader“ auf der Seite der Marx. Blätter zu wichtigen Themen, die in russischen Publikationen diskutiert werden.) Durch die zunehmende Internationali-sierung der Belegschaften in den Betrieben ergeben sich auch aufgrund unterschiedlicher Informationsquellen sehr unterschiedliche Vorstellungen der Weltsituation; gibt es eine Qualitätsveränderung des Imperialismus? (Das „Tricontinental Institute“ spricht von Hyper-Imperialismus, s. MASCH-Skript, Neue Impulse Verlag); bezugnehmend auf die kontroverse Debatte auf dem DKP-Parteitag regte Heinz Stehr an, sich unser Programm und unsere neuen Analysen im „Katastrophenpapier“ dazu anzuschauen, wo viele der benannten Widersprüche und Konflikte schon behandelt wurden.
Allein der teils durchaus kontroverse, aber immer solidarische Austausch zeigt die Bedeutung des Netzwerks für die Meinungsbildung; wichtig wird es sein, unsere Diskussionen weiterzuführen, dafür Möglichkeiten zu finden und sie auch produktiv für die ganze Partei zu machen.
DKP-Parteitag, Marxistische Blätter, Ratschlag
Der zweite Tag begann mit einer Einschätzung des DKP-Parteitags von vier Delegierten. Vom Äußeren her beeindruckend und als „Jubelparteitag“ an-gelegt, stellte der Parteivorstand eine „Stabilisierung auf niedrigem Niveau“ fest, d.h., die Partei hat weiter Mitglieder verloren. Zu vermissen ist weiter-hin eine wirkliche Rechenschaftslegung des Parteivorstands, der ja vor Jahren mit dem Anspruch angetreten war, ein „zurück zum Marxismus-Leni-nismus“ würde die Partei endlich wieder nach vorne bringen. Dabei werden kleine örtliche Erfolge überbewertet, die es durchaus gibt. Das Durch-schnittsalter der Delegierten war mit 46 Jahren deutlich niedriger als bei den letzten Parteitagen, viele Delegierten kamen aus den Reihen der SDAJ. Es gab lebhaftere und kontroverse Diskussionen, vor allem zur Einschät-zung des Imperialismus, zur Rolle Russlands, aber auch zur von der Partei-führung gewünschten Überbetonung des Zentralismus; nicht die Stärkung der Grundeinheiten (viele sind nicht mehr arbeitsfähig) und ihrer Fähigkeit zur Politikentwicklung soll im Mittelpunkt stehen: die zentralen Organe und das Sekretariat sollen gestärkt werden, um die Politik von Oben nach Unten besser um- und durchsetzen zu können. Gerechtfertigt wird diese Herange-hensweise mit dem Ziel, ein einheitliches Auftreten der Partei zu erreichen. Ob das allerdings gelingen wird, ist eher zweifelhaft. Ein konstruktiver Um-gang mit gesellschaftlichen Bewegungen wurde vermisst. Auch Umbrüche in der Arbeitswelt werden kaum reflektiert.
Viele Themen wurden angerissen, jedoch nicht ausgeführt. Es gab eine Ausweitung vorbereiteter Erfahrungsberichte, was aber dazu führte, dass sie sich nicht aufeinander bezogen. Beachtenswert die Beiträge aus der Umweltkommission, was darauf hindeuten könnte, dass diese Thematik künftig eine größere Rolle spielen könnte.
Ein Antrag aus unseren Reihen, die Marxistischen Ratschläge zu unter-stützen, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie von unserem Netz-werk initiiert worden seien. Ansonsten gab es, anders als bei vorangegan-genen Parteitagen, keine Angriffe auf das Netzwerk (was sich unterschied-lich interpretieren lässt).
Geplante Satzungsänderungen werden damit begründet, dass sich die Partei verändert habe; dahinter kann aber auch der Versuch stecken, die Rechte der Grundorganisationen und der Mitglieder zu schmälern und den Zentralismus zu stärken (Polemisch: „Die Weisheit liegt bei der Zentrale“). Ein solches Herangehen wurde in der Diskussion über die Berichte als Zeichen der Schwäche des PV gewertet: der Demokratische Zentralismus ist kein Gängelband, an dem die Partei geführt wird.
Festzustellen ist, dass sich erfreulicherweise die Widersprüche entwickeln, Entscheidungen und Einschätzungen „von oben“ nicht ohne Widerspruch hingenommen werden. Die Beteiligung junger Genossinnen und Genossen und auch ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, steigt. Gleich-zeitig gibt es aber nach wie vor Zerfallsprozesse.
Ein weiteres Thema der Diskussion waren die Angriffe des Sekretariats gegen die Marxistischen Blätter (spielte auf dem Parteitag jedoch keine Rolle); offensichtlich ist dem PV / dem Sekretariat die Unabhängigkeit der MB als marxistische Theoriezeitschrift, wie es auch im Statut der MB fest-geschrieben ist, ein Dorn im Auge. Unserer übereinstimmenden Ansicht nach muss diese Unabhängigkeit bewahrt werden; sie hat nicht zuletzt da-zu beigetragen, dass die Zeitschrift unabhängig von allen Turbulenzen und Konflikten in der DKP eine anerkannte marxistische Zeitschrift ist. Leider nimmt ein Großteil der DKP-Mitglieder die Zeitschrift nicht wahr; in der Politikentwicklung und der Bildungsarbeit spielt sie kaum eine Rolle.
Zeitlich bedingt nur kurz wurde über die Zukunft der „Marxistischen Rat-schläge“ und über die weitere Arbeit unseres Netzwerks gesprochen.
Der „Ratschlag“ soll auf eine neue Grundlage gestellt werden: Veranstalter sollen marxistische Zeitschriften sein. Bisher haben schon Besprechungen mit und zwischen den Marxistischen Blättern, der Zeitschrift „Z-Marxisti-sche Erneuerung“ und „Sozialismus“ stattgefunden. Ergebnis war der Ent-schluß, im April kommenden Jahres einen Ratschlag mit dem Arbeitsthema „Was heißt eigentlich Rechtsentwicklung, und wo gibt es Anknüpfungs-punkte für Gegenbewegungen?“ durchzuführen. Angeregt wurde zu über-legen, ihn nicht nur in Form von Vorträgen und Diskussion durchzuführen, sondern auch Workshops einzubauen.
Dass wir am Netzwerk Kommunistische Politik als Mittel zur solidarischen Diskussion, Verständigung und Politikentwicklung festhalten wollen, war allgemeiner Konsens. Zu überlegen sind Videokonferenzen zu bestimmten Themen, da Präsenztreffen doch sehr aufwendig sind. Unsere Internetseite www.kommnet.de wird gerade umgebaut, um sie auch vom Erscheinungs-bild her attraktiver zu machen. Sie soll künftig eine größere Rolle mit mehr Artikeln und Meinungsäußerungen spielen. Unterstützung für Thomas, der die Seite betreut, wäre dabei sehr wünschenswert!
Schreibe einen Kommentar