Pierre Laurant: Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert des Kampfes für einen neuen postkapitalistischen Entwicklungsmodus sein

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pierre laurent fest humanite 201723.09.2017:

Rede von Pierre Laurent, Nationalsekretär der PCF, bei einem Treffen mit Vertretern sozialer Bewegungen, Gewerkschaftern, Politikern und Kulturschaffenden auf dem diesjährigem Fest der „Humanité“ am 17. September 2017

Vorbemerkung:

Neben der traditionellen Rede auf einem großen Meeting zum Abschluss des jährlichen Huma-Festes am letzten Sonntag (17.9.) hat Pierre Laurent, Nationalsekretär der PCF, dieses Jahr eine weitere Rede am Samstag (16.9.) bei einem breit zusammengesetzten Treffen mit eingeladenen Gästen und teilweise führenden Personen aus sozialer Bewegungen, Gewerkschaften, Politik und Kulturschaffenden auf dem Fest gehalten. Diese Rede war im Stil eines partnerschaftlichen Meinungsaustauschs und einer offenen Debatte mit den Partnern gehalten, in der P.L. auch eine Reihe von persönlichen Vorstellungen zur Weiterentwicklung und Zukunft der PCF darlege und damit zur Debatte stellte.

Diese Rede, aus der ich nachfolgend einige mir wesentlich erscheinende Auszüge wiedergebe, ist meiner Ansicht nach in zweifacher Hinsicht auch für uns von Interesse:

Erstens ermöglicht sie einen Einblick über die gegenwärtigen politischen Entwicklungen in Frankreich nach den Umbrüchen in der politischen Landschaft im Ergebnis der Wahlen in Frühjahr und über die aktuelle politische Orientierung, die die französischen Kommunisten in dieser Situation verfolgen.

Zweitens enthält sie m. E. eine ganze Reihe von Denkanstößen, die auch uns in Debatten über Strategiefragen Stoff zum Nachdenken bieten können. Das gilt m.E. auch dann, wenn man nicht in allen Punkten und von Laurent benutzten Formulierungen mit ihm übereinstimmt und das von ihm entwickelte Konzept für den Übergang zu einem neuen nachkapitalistischen Gesellschaftssystem kritisch sieht, Es verdient aber allemal, zur Kenntnis genommen und als ein Ergebnis der Diskussion unter den französischen Kommunisten und ihres Führungsteams respektiert zu werden. Denkanstöße in Richtung möglicher Aktionsformen für heute sind darin auf jeden Fall zu finden, ohne dass man damit automatisch auch das Gesamtkonzept des „Übergangs“ übernehmen müsste.

Georg Polikeit


 

Auszüge - aktualisierte Arbeitsübersetzung

Wir leben in einer tumultuösen Epoche, die von unserer Seite Kampf verlangt. Ich werde morgen um 16 Uhr bei dem großen Meeting auf dem Fest unsere Aktionsschwerpunkte darstellen. Ich möchte deshalb diese Begegnung nutzen, um etwas weiter auszuholen und Ihnen von der Vorgehensweise sprechen, die uns anlässlich dieses bereits erneut sehr gelungenen Festes bewegt.

Niemand kann behaupten, die Wahrheit ganz allein zu besitzen. Diese zeitlose Realität ist heute von ganz besonderer Aktualität in einer Welt in ständiger Entwicklung, fähig zu glänzenden Fortschritten der Wissenschaft und Technik, wo die Entwicklung der digitalen Technologien neue Horizonte für die Menschheit eröffnet und wo dennoch ungeheure Ungleichheiten sich anhäufen, wo Unsicherheit (Prekarität) in der Arbeit und im Leben unsere Gesellschaften vergiftet, wo das Risiko von Kriegen sich vergrößert, wo die Klimaerwärmung, verbunden mit der Verantwortungslosigkeit der Führer dieser Welt, ob sie Politiker oder Aktionäre großer multinationaler Unternehmen sind, den Bewohnern, besonders den ärmsten, Risiken und Leiden aufbürden, von denen wir meinen, dass die Menschheit im 21. Jahrhundert sie nicht mehr kennen sollte…

Diese Hurrikans (Anm. vorher erwähnt wurden die jüngsten, die Antilleninseln, Kuba und den Südwesten der USA verwüsteten) werfen auch ein grelles Licht auf das Ausmaß der Ungleichheit. Auf eine Welt, die die Besitztümer der Milliardäre von Saint-Barth trennt von den Barackenvierteln von Haiti. Diese Welt wird unerträglich für alle Humanisten. (Anm.: Saint Barth = gemeint ist die Insel Saint-Barthélemy der Kleinen Antillen, ein zu Frankreich gehörendes Überseegebiet, auf der superreiche Bankiers, Konzernchefs, Sport- und Filmstars Luxus-Ferienvillen besitzen.)

Diese Hurrikans fanden ihre ungeheure Kraft in der Erwärmung der Ozeane. Sie besagen mit aller Brutalität, dass der Kampf für die Verhinderung eines weitergehenden planetaren Temperaturanstiegs eine erstrangige Priorität für die Zukunft der Menschheit ist.

Für uns verweist diese Periode in der Geschichte der Menschheit mit Nachdruck auf die unhaltbar gewordene Scheidung zwischen den Bedürfnissen der Bewohner, der Zukunft des Planeten und einem ultra-konkurrenzorientierten, nur auf den kurzfristigen Profit ausgerichteten kapitalistischen System, das unfähig ist, den Planeten für das universelle gemeinsame Wohl zu vereinen.

Ein neues Zeitalter der Menschlichkeit, eine Welt der Solidarität, der Kooperation, der Gleichheit und Gerechtigkeit für jedes menschliche Individuum wie für alle Völker zu eröffnen, ist mehr denn je ein dringliches Anliegen und ein Projekt.

Wir wollen dazu beitragen, ein neues Zeitalter für die menschliche Zivilisation zu eröffnen. Wir wollen die „Erbauer des Gemeinsamen“ sein. Das geht über vielfältige Dialoge, über im Respekt für jeden der Akteure entwickelte Aktionen. (Anm.: Im Französischen ist hier ein Wortspiel gegeben mit der Verwandtschaft der Worte „commun“ = gemeinsam, das Gemeinsame, und „communisme“).

Heute die Welt verändern – das kann nicht mehr allein durch den Anschluss an ein Projekt, an eine Idee, noch weniger an eine Persönlichkeit geschehen, sondern geht über geduldig aufgebaute Brücken zwischen all jenen, die für den menschlichen und sozialen Fortschritt agieren, ob sie Akteure in Vereinigungen und Bewegungen, Gewerkschafter, Mitglieder von NGOs oder Politiker sind.

Diese Brücken sind hier drei Tage lang auf dem Fest der „Humanité“ gebaut worden. Und das ist meine geistige Verfasstheit, die der Kommunisten, bei diesem Treffen mit Ihnen: eine Einladung zum gemeinsamen Erfinden und gemeinsamen Aufbauen im gegenseitigen Respekt dessen, was wir, die einen wie die anderen, jeweils sind.

Niemand ist ganz allein im Besitz der Wahrheit, sagt ich schon eingangs. Wir haben alle das Interesse, eine gemeinsame Front zu bilden, denn ein Tornado antisozialer und antidemokratischer Natur bedroht unser Land.

Das politische Kräfteverhältnis, wie es aus den Wahlterminen des Frühjahrs hervorgegangen ist, ist bereits dabei, in Stücke zu zerspringen. Die Maske, die sich Macron verschafft hat, die des „Neuen“, des „weder rechts noch links“, bekommt Risse. Die Ankündigungen, die sich seit dem Sommeranfang häufen, lassen ein Projekt der Rechten und sogar ein äußerst rechtes Projekt erkennen. Von daher verflüchtigt sich das angekündigte „Neue“ von Tag zu Tag mehr.

Und eine Realität wird sehr schnell sichtbar werden: Wenn der Präsident eine Mehrheit von Abgeordneten im Parlament hat, hat er doch keine Mehrheit in der Bevölkerung für die Zerschlagung des Arbeitsrechts per Ordonnanzen, für die Senkung der Wohnbeihilfen, für die Erdrosselung der lokalen Gemeinschaften und die Abschaffung von geförderten Arbeitsverträgen.

Diese Maßnahmen gehorchen nur einer mehrere Jahrzehnte alten Denkweise, immer derselben: Arbeit ist ein zu reduzierender Kostenfaktor, die Rechte der Lohnabhängigen sind Hindernisse, Gesetze und Tarifverträge Bremsen für die Unternehmerfreiheit, für die freie Konkurrenz.

Diese Logik … ist eine ebenso alte und runzelig gewordene Logik wie der Kapitalismus selbst. Sie ist nur eine Politik im Dienst der Mächtigen mit dem Dünkel und der Arroganz einer anderen Zeit gegenüber den sozial Schwächeren.

Der Präsident spricht viel von Revolution, aber er sollte sich in Acht nehmen, denn die Franzosen lieben Reformen des gesellschaftlichen Fortschritts so sehr, dass sie oft gerade dafür Revolutionen gemacht haben.

Von diesen Überlegungen ausgehend, möchte ich Ihnen zwei meiner Überzeugungen zur Kenntnis bringen.

Die erste ist, dass es trotz des von Macron aufgezogenen Rauchvorhangs von „weder rechts noch links“ eine potenzielle Mehrheit in unserem Volk gibt für einen Zusammenschluss von echten politischen Linken, die mit der Austeritätspolitik brechen. Sie ist vorhanden in der Bevölkerung, bei denen, die Wahlenthaltung geübt haben, bei den sieben Millionen Wählerinnen und Wählern, die für Mélenchon gestimmt haben, bei jenen, die für Benoît Hamon (Ex-PS-Kandidat) gestimmt haben, dessen Anwesenheit auf unserem Fest ich begrüße, und sogar bei einem Teil von denen, die im ersten Wahlgang für Macron gestimmt haben. Sie ist vorhanden bei zahlreichen lokalen Abgeordneten, die fassungslos sind über die den Gebietskörperschaften aufgezwungene Zwangssparkur. Sie ist vorhanden in der Bevölkerung, die einen progressiven Ausweg aus zahlreichen derzeitigen Problemen sozialer, ökologischer, demokratischer Natur sucht und denen gegenüber wir die Verantwortung haben, eine glaubwürdige und mobilisierende Perspektive vorzuschlagen.

Alle diese Kräfte, die beträchtlich sind, werden nicht effektiv sein und keine Mehrheit bilden können, wenn sie sich nicht zusammentun, wenn nicht überall Räume des Dialogs zwischen ihnen geschaffen werden… Jeder hat die Aktionsfelder, die ihm eigen sind, jeder hat seine Agenda, jeder ist veranlasst, seine eigenen Initiativen zu entwickeln, und die Kommunistische Partei wird das auch tun. Das ist legitim. Aber wir alle müssen die Bedingungen schaffen, damit jede Initiative so breit wie möglich zusammenführt und sich auf die Unterschiedlichkeit stützt, die im Lager der Progressiven vorhanden ist. Die Bedingungen dafür schaffen, damit niemand sich abspaltet oder Gräben aufmacht, sondern im Gegenteil Übergänge, wirklich gemeinsame Räume geschaffen werden – das ist das, was die Kommunistische Partei will. So sehe ich ihre Rolle und ihre Nützlichkeit. Unsere Verfügbarkeit dafür ist unbeschränkt.

Die zweite meiner Überzeugungen betrifft genau die Mobilisierung gegen die Macron-Ordonnanzen und genereller die Mobilisierung gegen die unsinnige Beschleunigung der angekündigten Sparzwangpolitik gegen die Gebietskörperschaften und Kommunen, gegen das Wohnungswesen, gegen die soziale Sicherheit und die öffentlichen Dienste….

Im Grunde stehen sich zwei Logiken gegenüber: diejenige, die vorgibt, dass die Lohnabhängigen keine andere Zukunft mehr haben, um einen Arbeitsplatz zu bekommen, als zu Spielfiguren der Globalisierung zu werden, und diejenige, die wir verfechten, die bekräftigt, dass die Zeit gekommen ist – weil es die Globalisierung gibt, weil es die digitale Revolution gibt, weil dies die Stunde für ein neues soziales und ökologisches Entwicklungsmodell ist – für eine neue Konzeption der Arbeit, eine neue Autonomie, eine neue Absicherung der Arbeitenden.

Das ist die Debatte, die wir eröffnen und sogar der Regierung aufzwingen wollen, die versucht, per Kraftakt vorzugehen. Die erste Logik klammert sich an die alte Welt der kapitalistischen Konkurrenz im Übermaß. Unsere blickt in die Zukunft eines neuen Gesellschaftsmodells der Zusammenarbeit und Solidarität, gestützt auf die Eingriffsrechte der Arbeitenden. Wir werden in die sich entwickelnde Schlacht die alternativen Vorschläge für ein Arbeitsgesetzbuch der Beschäftigungssicherung und Fortbildung einbringen.

Es wird keine gesellschaftliche Umgestaltung (Transformation) noch ein politisches Projekt der gesellschaftlichen Umgestaltung geben ohne die Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaften bei den Lohnabhängigen, ohne die der Vereinigungen auf jedem der Gebiete, auf denen sie tätig sind. Wir brauchen einander. Wir brauchen unsere unterschiedlichen Erfahrungen. Wir müssen miteinander in Dialog treten, uns gegenseitig verstehen, nicht uns auflösen oder fusionieren (Anm.: Anspielung auf in jüngster Zeit gemachte Äußerungen von Jean-Luc Mélenchon, dem Wortführer von „France Insoumise‘“, der mit der Aufforderung, alle anderen Linkskräfte sollen sich ihm anschließen, einen gewissen Alleinvertretungsanspruch für die gesamte Linke beansprucht.)

Die neue Zivilisation, die wir schaffen wollen, ist diese: die des Gemeinsamen, die einer Ausweitung aller Rechte, die einer Ausweitung der Demokratie. Das ist ein politisches Projekt, das politische Projekt unseres Kommunismus neuer Generation, das die Logiken der Entfremdung der Arbeit durch die Logiken der individuellen und kollektiven Emanzipation ersetzen will.

Die Widersprüche des kapitalistischen Systems behindern heute grundlegend die Möglichkeiten, die immensen neuen Potenzen der Arbeit freizusetzen.

Dieses System ist nicht neu, das stimmt. Es wurde gerade der 150. Jahrestag des Werkes begangen, das am besten seine Mechanismen enthüllt und seine Entwicklung vorhergesagt hat: „Das Kapital“ von Karl Marx. Dieses kapitalistische System trug seit seinen Anfängen die schrecklichsten Bannflüche in sich: die der Ungerechtigkeit und der Ungleichheiten, der Ausbeutung und der Entfremdung der Arbeitenden, der Plünderung der Natur, der Gewalt und der Kriege. All dieses Unheil, die kapitalistische Gesellschaft „trägt es in sich wie eine schlafende Wolke den Sturm“, sagte Jaurès.

Doch wenn der Kapitalismus von Anfang an diese Gesellschaft der Ungerechtigkeit, der Gewalt und des Krieges war, brachte doch zugleich einen „fantastischen“ Entwicklungsfortschritt für die betreffenden Länder, wie Karl Marx sagte. Aber heute globalisiert, nachdem er alle seine Logiken bis auf die Spitze getrieben hat, hat er seine Zeit hinter sich. Heute ist, ich betone es, seine fortschrittliche Mission erschöpft. Wenn er noch eine Zeit lang überleben kann, dann nur, um zu zerstören, um die Ungleichheiten und Spannungen zuzuspitzen, um Elend, Unsicherheit und Rückschritt hervorzubringen, mit der Gefahr der Zerstörung des Planeten und der menschlichen Zivilisation, mit dem Risiko der Barbarei.

„Da die Welt so gemacht ist, müssen unsere Träume noch starrköpfiger werden“, sagte Abdellatif Laâbi (Anm. zeitgenössischer marokkanischer Dichter).

Darum ist unser Kampf, der Kampf der Kommunisten, weit davon entfernt, sein Verfallsdatum überschritten zu haben, eine dringende Notwendigkeit und eine Notwendigkeit der Zukunft.

Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert des Kampfes für einen neuen postkapitalistischen Entwicklungsmodus sein, wenn wir dazu fähig sind, eine Welt nach dem Maß der zeitgenössischen menschlichen Herausforderungen zu erfinden.

Alles verlangt nach dem Aufkommen des Gemeinsamen. Das ist sogar die einzige Art und Weise, den menschlichen und ökologischen Herausforderungen zugleich gerecht zu werden, die Entwicklung von allen und jedes oder jeder einzelnen zu sichern, den erweiterten sozialen und kulturellen Bedürfnissen gerecht zu werden und gleichzeitig die Verschleuderung von Naturressourcen und die Ausbeutung der menschlichen Arbeit zu vermeiden. Es ist diese neue Zivilisation, die wir erfinden müssen. Das ist unser Kampf als Kommunisten…

Indem ich dies sage, will ich mich nicht als meiner selbst absolut sicherer und von unveränderlichen Konzepten ausgehender Politiker präsentieren. Ich bekräftige: der Kommunismus – das ist die Bewegung hin zu diesem Aufbau des Gemeinsamen. Das ist ein Weg ständiger Neuerfindung, das Gegenteil eines nur anzuwendenden Dogmas. Ich bekräftige also gleichzeitig, dass diese Kämpfe und dieses Suchen unaufhörlich neu entwickelt werden müssen.

Die Zeit ist gekommen, dass die Kommunistische Partei, die mit ihnen verbunden ist, mit Nachdruck und Courage ihre eigene Revolution macht.

Die Kommunistische Partei hat sich stark weiterentwickelt, hat ihre Konzeptionen jetzt schon seit mehreren Jahrzehnten grundlegend verändert. Wir haben Arbeiten, Forschungen, Erfahrungen, programmatische Vorschläge zusammengetragen, unsere Projekte verfeinert. Aber wir haben dies getan, während wir konfrontiert waren mit einer verallgemeinerten Offensive der liberalen Kräfte, die unser Volk und besonders die Linkskräfte verblüfft haben. Gegenüber dieser Offensive haben wir es nicht verstanden und folglich auch nicht vermocht, unsere konzeptionellen Fortschritte bis zu Ende zu erproben.

Das müssen wir jetzt in einer gänzlich veränderten politischen Landschaft tun. Wir müssen es tun in Dringlichkeit, weil sich die Gefahren anhäufen mit dieser Starrköpfigkeit, zu der sich heute der Liberalismus gewandelt hat bei der Umsetzung einer zerstörerischen Politik mit die Welt bedrohenden Spannungen.

Aber wir müssen es vor allem tun, weil neue Anforderungen mit Nachdruck an die Tür klopfen, weil diese Anforderungen heute neue Erfolge möglich machen.

Bei den politischen Umwälzungen der letzten Wahlphase gab es Sorgen um Sackgassen und unserem Volk gestellte Fallen. Aber es gibt auch die tollen Antriebskräfte, die sich ergeben, wenn die Energie davon freigesetzt wird. Wir wollen darauf reagieren, indem die der Volksbewegung gestellten Fallen vereitelt werden….

Eine dieser Fallen ist die Behauptung vom Ende der Politik, vom Ende der Demokratie und der Parteien. Die Kampagnen, wonach die Entwicklung uns notwendigerweise in eine „Post Demokratie“ und zum Ende der Parteien führt, werden nicht betrieben, um uns in eine neue Welt eintreten zu lassen, sondern sind nur dazu da, die zerstörerische Agonie der alten Welt in die Länge zu ziehen. Sie fördern die Rechtskräfte „ohne Komplexe“ und den Front National. Sie fördern auch den Liberalismus ohne Komplexe eines Macron und derjenigen, die sich ihm angeschlossen haben, aus welchem Lager auch immer sie kommen.

Diese ideologische Kampagne zielt darauf ab, das Volk für unzuständig zu erklären. Für die Liberalen, von Macron bis zu den Führern der LR (rechtskonservativen „Republikanern“) und zu den Sozialliberalen, ist die Wahlenthaltung bei den Wahlen, das Beiseiteschieben der Volksmassen kein Problem, sondern ein Vorhaben.

Was die Stimmabgabe für den Front National angeht, wird er, wenn keine Schranken aufgerichtet werden, die Volksmassen in ein politisches Ghetto sperren, in ein Randsituation verschieben, in eine soziale und politische Apartheid.

Der FN ist an diesem politischen Herbstbeginn in Schwierigkeiten. Und ich will wiederholen, wie sehr wir meiner Meinung nach recht gehabt haben, beim zweiten Wahlgang der Präsidentenwahl dazu aufzurufen, Frau Le Pen deutlich den Weg zu versperren. Der anormal erhöhte Stimmenanteil des FN ist, wie wir wissen, eines der Haupthindernisse für die Aussicht auf eine neue politische Mehrheit der Linken in diesem Land. Wir werden in dieser Frage niemals Kompromisse machen, und wir sind stolz darauf, dass das Scheitern von Marine Le Pen im zweiten Wahlgang der Präsidentenwahl die Unfähigkeit des FN zur Folge gehabt hat, eine Fraktion in der Nationalversammlung bilden zu können.

Wenn wir diesen Kampf bis zum Ende gewinnen und aufs Neue den Weg zu einer Alternative des Fortschritts öffnen wollen, sollte man meines Erachtens nicht weiter die Sirenen des „Degagismus“ ertönen lassen, von denen man gesehen hat, wie sehr sie angesichts der politischen Verwirrung so gegensätzlichen Kräften wie Jean-Luc Mélenchon, Emmanuel Macron oder Marine Le Pen nutzen konnten. (Anm.: „Degagismus“ – franz. „dégager“ bedeutet „loslösen“, „abkuppeln“, „abhauen“. Der Begriff „Degagismus“ ist ein in letzter Zeit im französischen politischen Diskurs häufiger benutzter Ausdruck für eine Stimmung und auch Stimmungsmache, die unterschiedslos das Sich-Abwenden bzw. „Abkoppeln“ der Menschen von „der Politik“ und den politischen Parteien propagiert, wie sie von den „neuen Bewegungen“ unter Macron und Mélenchon, aber auch vom FN zur Sammlung von Anhängern benutzt worden ist).

Ich glaube, dass es jetzt darum geht, der Volksbewegung entschieden positive und konstruktive Ziele vorzugeben. Deshalb glaube ich auch nicht, dass wir dazu verurteilt seien, einen „populistischen Moment“ zu durchleben. Ich glaube, dass wir ganz im Gegenteil einen Augenblick großer demokratischer Ansprüche erleben, Ansprüche, die zunächst hintertrieben, kanalisiert, umgeleitet werden durch die Verfechter der liberalen Starrköpfigkeit…

In Wahrheit erträgt der Kapitalismus, dessen Logike n mehr und mehr unfähig sind, die großen Herausforderungen der Entwicklung der Menschheit zu lösen, immer weniger die Demokratiue. Ich will nicht sagen, daß wir überall in die Diktatur versinken, aber festzustellen ist, daß der Griff zu autoritären und repressiven Praktiken, zum Ausnahmezustand, zu präsidialen Vollmachten nicht aufhört, sie weiter auszubreiten.

Die liberalen Führer, die wirtschaftlichen Oligarchen versuchen, ihr System länger zu erhalten, indem sie die repräsentative Demokratie selbst ihres Sinns entleeren. Das ist der Sinn, den man in Frankreich der Umruppierung der Kommunen und Regionen und den Macron-Vorhaben für Reformen der Verfassung, der Verringerung der Zahl der Abgeordneten zentral und in den Territorialparlamenten beilegen muss: die Macht von den Bürgern weiter entfernen und vor allem die unteren Volksklassen von den Institutionen und Machtzentren fernhalten. Ich bin davon überzeugt, dass der Kampf für die Demokratie, für neue Rechte und Befugnissen auf allen Gebieten zum Zentrum des Klassenkampfes geworden ist.

In einem Augenblick, wo die Menschheit die Mittel hat, fast alles zu machen, wo sie sich aber nicht alles erlauben kann, wird die Frage der Auswahl dessen, was man machen kann und was nicht, entscheidend. Aber wer wählt aus? Wer entscheidet, was das Unternehmen produzieren soll, wo es produzieren soll, in welcher Art, mit welchen Methoden, unter Verwendung welcher Rohstoffe, welcher Energien? Diese Entscheidungen liegen heute in den Händen allein der Repräsentanten der Aktionäre. Und es ist bekannt, dass sie nur ein Ziel kennen: die Dividenden.

Ist das vernünftig? Ist das menschlich haltbar?

Ich meine, dass eine immense Bewegung für Demokratie es den Lohnabhängigen, den Forschern, den Landwirten, den Bürgern, den Einwohnern der Stadtviertel, den Mietern, den jungen Leuten, den Studenten und Schülern, den Nutzern der öffentlichen Dienste ermöglichen muss, die Orte der Entscheidungsmacht in ihren Besitz zu nehmen oder neue zu schaffen. Ich meine, dass neue Formen von Demokratie, einer partizipativen, kooperativen, beschließenden Demokratie, das gegenwärtige Feld der Befugnisse der Bevölkerung beträchtlich ausweiten müssen. Ich meine, dass die ‚Demokratie nur als ständig wirkendes Verfahren begriffen werden kann, nicht nur in Wahlzeiten.

Für mich identifiziert sich der Kommunismus, das In-Gemeinsamkeit-Versetzen der menschlichen Fähigkeiten und der Naturressourcen, voll und ganz mit der Demokratie. Mit einer erneuerten, erweiterten, andauernden Demokratie. Demokratie, das ist die Macht des Volkes und das Mittel zur Entwicklung der Menschheit und jedes einzelnen Individuums.

Es mangelt nicht an Erfahrungen: ich habe zum Beispiel gestern junge Lohnabhängige getroffen, die dabei sind, eine alternative Plattform, genannt „Coop Cycles“ („Fahrrad-Koop“), zu erfinden und damit den 30 000 Fahrradkurieren in Frankreich zu ermöglichen, den modernen Sklavenhalterpraktiken von Plattformen wie Delivroo (Anm.: in Großbritannien ansässiger Lieferdienst für Essen u.ä, mit Unterfirmen in mehreren anderen europäischen Ländern) zu entkommen. Begeisternd!...

Ich kämpfe dafür, dass die Kommunistische Partei sich in den Dienst solcher Experimente und ihrer Verallgemeinerung stellt. In einer Welt, wo die Schlacht um die Entscheidungsbefugnisse auf allen Ebenen geführt werden muss, örtlich, national, in Europa und weltweit, können wir nicht nur auf die Eroberung der Staatsmacht am Abend eines Wahlsieges warten. So konzipieren wir nicht unsere Antwort auf die Herausforderungen unseres Jahrhunderts, den Kapitalismus hinter sich zu lassen und mit diesem System Schluss zu machen.

Wir wollen die nächsten fünf Jahre nicht nur damit verbringen, die Wahlen von 2022 vorzubereiten. Wir wollen im Gegenteil die Bewegungen für die Eroberung konkreter, unmittelbarer Errungenschaften der Bürger anstacheln und ermutigen. Wir können dabei wieder anknüpfen an einer Praxis der Kommunisten und der Arbeiterbewegung Frankreichs, als die Sozialversicherung, die Ferienkolonien geschaffen, der Sozialtourismus entwickelt, die Politik des sozialen Wohnungsbaus usw. eingeführt wurde. Und wir müssen uns selbst Entscheidungsmacht aufbauen über die beträchtlichen Mittel, die uns die digitalen Technologien eröffnen, um dahin zu kommen.

Wir wollen, indem wir die Initiativen konkreter Solidarität, die Freiräume für Bürgerdiskussionen, für solidarische Fabriken vervielfachen, alle demokratischen Energien freisetzen, ihnen Sinn und die Möglichkeit des Zusammenwirkens geben. In der Stunde von Internet und sozialen Netzwerken ist es möglich, die verstreuten staatsbürgerlichen Errungenschaften zu vereinen, ihnen Leben und Sinn zu geben, vom Örtlichen bis zum Nationalen und Globalen.

Eben um diesen Kampf zu führen, muss sich die Kommunistische Partei noch tiefgehend verändern, jetzt den Prozess ihrer eigenen Revolution beginnen.

Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten stark verändert, und ich sage es mit Stolz: mehr als jede andere Partei und politische Bewegung haben wir aus der Kommunistischen Partei eine Organisation gemacht, wo ein jeder und eine jede zählt! Eine Organisation, wo die Mitglieder über alle wichtigen Entscheidungen selbst entscheiden, über Entscheidungen des Vorgehens und politische Initiativen wie über die Führer und die KandidatInnen, die sie präsentieren. Das Wort ist frei in ihr, der Pluralismus respektiert, die Debatte eine ständige Einrichtung.

Diese beachtlichen Entwicklungen, die wir innerhalb der PCF in Gang gebracht haben – wir haben allen Grund, darauf stolz zu sein. Umso mehr, als die Entwicklungen, die wir in den anderen politischen Formationen beobachten können und die manchmal als wundersame Neuerfindungen präsentiert werden, den gegenteiligen Weg zu unseren eigenen Neuerungen einzuschlagen scheinen.

Also, in welchem Sinn muss die Kommunistische Partei ihre Revolution machen?

Zunächst in dem Sinn einer sehr offensiven Einstellung, weil, wie ich gesagt habe, unsere Kühnheit, unsere Partei zu revolutionieren, darauf aus ist, dass diese Revolution zu keinerlei Preisgabe oder Rückzug führt, sondern im Gegenteil darauf abzielt, uns zu befähigen, eine Strategie von konkreten und unmittelbaren staatsbürgerlichen Errungenschaften zu inspirieren und Experimente zu unternehmen. Wir wollen eine „Plattform“-Partei sein, aber einer Plattform der Vernetzung, der Kooperation, die die kämpferische Initiative freisetzt.

An allererster Stelle muss die Kommunistische Partei wieder ein Netzwerk politischer Bildung und Aktivität des 21. Jahrhunderts von hoher Qualität werden, ein Ort der individuellen und kollektiven Bildung, offen nicht nur für aktive Kommunisten, sondern breiter für Arbeiter, Angestellte, Lohnabhängige und unabhängig Arbeitende, die mit der Erhöhung ihrer Bildung und ihrer Kultur es möglich machen sollen, dass die Stimme derjenigen, die von ihrer Arbeit leben, mit Nachdruck zu Gehör gebracht wird. Möglich machen, dass die betreffenden Bevölkerungsschichten real, einschließlich kulturell, imstande sind, die Macht der herrschenden Klasse in Frage zu stellen, Es möglich machen, das, was Gramsci den „Stellungskrieg“ zur Erringung einer politischen und ideologischen Hegemonie genannt hat, zu beginnen und zu gewinnen, wie es für den Prozess der gesellschaftlichen Umgestaltung nötig ist.

Während der Marxismus, befreit von seinen dogmatischen und festgefahrenen Abwegen, einen Zugewinn an Kraft erlebt, kann die Kommunistische Partei den Ehrgeiz haben, ein Raum für volksnahe Forschungen und Bildung zu werden, wo die Arbeiten, Überlegungen und Praktiken der Forscher, der an den Universitäten Tätigen und der Aktivisten der unteren Volksklassen zusammentreffen und miteinander konfrontiert werden.

Die Kommunistische Partei muss immer besser ein Netzwerk aktiver Solidarität sein.

In den letzten Jahren haben wir solidarische Praktiken vervielfacht und zu verallgemeinern begonnen. Mit den Solidaritätsinitiativen der Kommunistischen Partei haben 40 000 Menschen in diesem Sommer an den „Tagen am Meer“ teilgenommen. Die Solidaritätsverkäufe von Obst und Gemüse erlebten einen wachsenden Erfolg und beginnen, sich über das ganze Land und auch in zeitlicher Hinsicht auszuweiten. Solidaritätsinitiativen auf örtlicher Ebene werden zu einem aktiven Reflex der Kommunisten, und das ist eine sehr gute Sache. Und die kommunistischen Solidaritäts-Initiativen mit den Migranten vervielfachen sich im ganzen Land.

Unsere Partei muss auch ihre Tätigkeit als internationalistisches Netzwerk neu entfalten, besonders die Kampagnen für die Solidarität mit dem palästinensischen Volk, für die Freilassung der politischen Gefangenen, von Salah Hamouri, dessen Frau Elsa Lefort ich hier auf dem Fest begrüße, und von Marwan Barghouti. Wir kämpfen bis zum Ende für ihre Freilassung, für den Frieden und die Verteidigung der Freiheiten überall, wo sie bedroht oder infrage gestellt sind.

Ein Netzwerk kultureller Bildung, ein Netzwerk der Solidarität, ein Netzwerk politischer Experimente zur Eroberung neuer Entscheidungsbefugnisse, ein internationalistisches Netzwerk – das ist die PCF des 21. Jahrhunderts. Die Kommunistische Partei möchte ein Schmelztiegel aller Bewegungen, aller Experimente für die gesellschaftliche, ökologische und demokratische Umgestaltung sein. Ein Schmelztiegel der Debatten, ein offener Raum staatsbürgerlichen Engagements, wo alle diese Kämpfe zusammentreffen, sich austauschen, sich erproben, sich zur gemeinsamen Aktion finden, um eine große transformatorische Bewegung zu bilden.

Das sind die Baustellen, und alle jene, die die Mitglieder noch zu entwickeln beschließen werden, die im Zentrum unseres Parteitages stehen werden, den wir 2018 abhalten.

Quelle: www.pcf.fr

 

Frankreich

Französische Kommunisten starteten EU-Wahlkampf

12.02.2019: Mit einer großen Kundgebung im Dock des Suds im alten Hafengelände von Marseille starteten die französischen Kommunisten am Abend des 5. Februar ihren EU-Wahlkampf. Ihr Spitzenkandidat Ian Brossat, 38 Jahre alt, Lehrer für Französisch und derzeit kommunistischer Vizebürgermeister der Hauptstadt Paris, zuständig für Wohnungswesen und Notunterkünfte, präsentierte die vom PCF-Nationalrat aufgestellte Kandidatenliste. Gleichzeitig betonte der Listenführer aber, dass die PCF offen bleibe ...

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