"Amerika ist total irre geworden"

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Donald-Trump09.11.2016: Für Doug Henwood, linker Radiojournalist, sind die USA "total irre geworden". Ein Milliardär erobert mit den Stimmen der weißen Arbeiter das Amt des Präsidenten. Der Wahlsieg von Trump ruft Sorge hervor, nur die extreme Rechte triumphiert.

"Amerika ist total irre geworden", kommentiert der linke Radiojournalist und Autor Doug Henwood den Wahlsieg von Donald Trump. Ein Milliardär hat es mit einer 'Anti-Establishment-Inszenierung' geschafft, ins Weiße Haus einzuziehen, gewählt von den weißen Arbeitern. Den Ausschlag gaben die ehemaligen Industriestaaten im Norden der USA - Ohio, Michigan und Wisconsin. In dieser Region, in der der Abstieg der USA als Industriemacht und die Verlagerung von Produktionsanlagen in Niedriglohnländer zu massenhafter Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit führte, kam Trump mit seinem 'Make America Great Again' an. In diesen Regionen ist das Wirtschaftswachstum der Obama-Ära spurlos vorbeigegangen.

Der Milliardär Trump hatte seit Juli 2015 angekündigt, dass er die Wahl mit Hilfe der Arbeiterklasse – der weißen Arbeiter - gewinnen würde. Und tatsächlich gaben die 58% der weißen Stimmen den Ausschlag. Da nutzte es Clinton auch nicht, dass sie bei allen ethnischen Minderheiten mit teils großem Vorsprung vor Trump lag. In einer Gesellschaft, in der nur noch 9% der Bevölkerung hinter dem gewählten Kongress stehen und in der sich die Politik seit Jahrzehnten nicht mehr im Geringsten um die Sorgen der 'kleinen Leute' kümmert, und in der für 39% der BürgerInnen die Sehnsucht nach Veränderung das wichtigste Wahlargument ist – in dieser Situation konnte ein Donald Trump mit seiner 'Anti-Establishment-Show' punkten.

Weiße Arbeiter wählen Trump

Zwar halten drei von fünf befragten WählerInnen Trump für gefährlich und unqualifiziert, und doch wählten sie ihn, weil die Alternative des 'Weiter so' von Hillary Clinton und ihre enge Beziehung zur Wall Street noch weniger attraktiv war. Zwar gibt es seit der Regierung von Obama wirtschaftliches Wachstum und mehr Arbeitsplätze, doch unter der Oberfläche dieser ökonomischen Eckdaten verbirgt sich eine tiefe soziale Krise: Drei von fünf in der Krise neu entstandene Jobs liegen im Niedriglohnsektor, Unterbeschäftigung und entsprechende Krankenversicherungslosigkeit grassieren gerade in der 'verlorenen Generation' der Jugend, die Reallöhne für abhängig Beschäftigte mit Hochschulabschluss stagnieren trotz steigender Produktivität, für abhängig Beschäftigte ohne Hochschulabschluss fallen sie ins Bodenlose. Diese Lage der arbeitenden Klassen in den USA war der Ausgangspunkt des bemerkenswerten Wahlkampfes von Bernie Sanders und seiner Popularität – wie zugleich auch des Aufstiegs des rechten Nationalismus in Gestalt von Donald Trump. Die neoliberale 'Mitte'-Politik der Obama- (und Clinton-)Demokraten ist nicht mehr haltbar. (Ingar Solty) In der Konsequenz verloren die Demokraten fast die Hälfte aller Gewerkschaftshaushalte an Trump.

Trotzdem ist die These nicht ganz haltbar, dass 'die' Arbeiterklasse Trump gewählt hat. Trump wurde v.a. von Männern, Weißen, Mittel- und Besserverdienenden, der Generation über 45 gewählt. Bei den working poor, dem Dienstleistungsproletariat, den Niedrigverdienern liegt Trump klar hinten. (siehe Altersstruktur, Einkommen, ethnische Zugehörigkeit, regionale Verteilung, ... der WählerInnen unter  http://edition.cnn.com/election/results/exit-polls/national/president).

"Die Ärmsten, die im Jahr weniger als 50.000 Dollar verdienen, wählten Clinton. Doch bei denen mit einem Jahresgehalt zwischen 50.000 und 100.000 Dollar, die in den USA bei den horrenden Kosten für Krankenversicherung, Studiengebühren und Hauskrediten kaum zum Überleben reichen, gewann Trump entscheidend", schreibt Oliver Kern im ND.   

Millionen armer und kranker Menschen haben mit der Regierung Obamas eine Krankenversicherung erhalten, doch dies ging auf Kosten der Arbeiter- und Mittelklasse, deren Beiträge stark ansteigen. In einer von jahrzehntelanger Ent-Solidarisierung geprägten Gesellschaft wird dies von diesen Schichten als eine untragbare Zumutung empfunden, kombiniert mit Abstiegsangst und der Scheu vor dem Konflikt mit den Mächtigen führt dies zum Treten nach Unten und zur Wahl des 'starken Mannes'.

Während Trump in den abgehängten Regionen ankam, liegen die Demokraten in denjenigen Bundesstaaten vorne, in denen die USA ein modernes Land sind, "in denen die USA ein modernes Land sind, in denen die Absolventen der teuren Elite-Universitäten Unternehmen gründen und der Technologie- und Dienstleistungssektor seine Zentren hat. Hier ist man voll im 21. Jahrhundert angekommen, denkt postmaterialistisch und macht sich mehr Gedanken über LGBT-Rechte und politische Korrektheit als über Chancengleichheit. Die gestrige Präsidentschaftswahl ist somit auch ein Zeichen eines Landes, das in zwei Teile zerbricht, das förmlich zerrissen ist. Die Zahl der Verlierer ist jedoch deutlich größer als die Zahl der Gewinner und so ist es eigentlich kein Wunder, dass man mit einem clintonschen 'Weiter so! Wir schaffen das!' nicht abräumen kann." (Jens Berger, Nachdenkseiten)

USA Stimmergebnis2016Trump hat nicht gewonnen, sondern Clinton hat verloren

Trump hat gewonnen, weil Clinton keine Alternative ist. Dies kommt auch im Stimmverhalten zum Ausdruck. Von allen Wahlberechtigten haben 46,9% gar nicht gewählt, 25,6% haben Clinton, 25,5% Trump, 1,7% Johnson (Libertarian Party) und 0,5% Jill Stein (Green Party) gewählt. Clinton hat insgesamt 220.000 Stimmen mehr als Trump bekommen, allerdings hat Trump aufgrund des US-Wahlsystems trotzdem gewonnen. Die Republikaner haben im Vergleich zu den Wahlen 2012 nicht mehr Stimmen bekommen, die Demokraten aber ca. 6,5 Millionen Stimmen verloren. Die Demokraten konnten mit der Kandidatin Clinton ihre Wähler nicht mobilisieren, diese blieben der Wahlurne fern.

Die Ursachen für den Wahlsieg von Trump - wie auch das Votum für den BREXIT in Großbritannien – liegen in den durch den Neoliberalismus hervorgerufenen sozialen Zerstörungen. Mit Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat hätte die Unzufriedenheit der Massen nach links orientiert werden können, aber dem politischen Establishment war dieser Weg zu gefährlich. Sie verhinderten mit allen Mitteln bis hin zur Wahlmanipulation seine Kandidatur – die einzige, die Trump den Sieg hätte streitig machen können. Und so wird der Protest, wie auch in den meisten europäischen Ländern, von der politischen Rechten dominiert.


Antonio Gramsci schrieb über die "politischen Parteien in den Zeiten organischer Krisen": "An einem bestimmten Punkt ihres geschichtlichen Lebens lösen sich die gesellschaftlichen Gruppen von ihren traditionellen Parteien, das heißt, die traditionellen Parteien in dieser gegebenen Organisationsform, mit diesen bestimmten Männern, die sie bilden, sie vertreten oder führen, werden von ihrer Klasse oder Klassenfraktion nicht mehr als ihr Ausdruck anerkannt. Wenn diese Krisen eintreten, wird die unmittelbare Situation heikel und gefährlich, weil das Feld frei ist für Gewaltlösungen, für die Aktivität obskurer Mächte, repräsentiert durch die Männer der Vorsehung oder mit Charisma. … Man spricht von 'Autoritätskrise', und das eben ist die Hegemoniekrise oder Krise des Staates in seiner Gesamtheit.“
(Antonio Gramsci, Gefängnishefte: 1577f.).

Der Riss bleibt

Weil Trump eine Bedrohung für die Demokratie, die Rechte der Arbeiterklasse und der Minderheiten darstellt, hatte die KP der USA (CPUSA) für die Wahl von Clinton aufgerufen, nicht ohne zu erklären, dass dies "nicht als politische Unterstützungserklärung zu verstehen" sei. "Wir glauben, dass Trumps Kandidatur eine direkte Bedrohung für die Demokratie darstellt. Sein Sieg würde dramatische Auswirkungen auf die Lebensbedingungen des amerikanischen Volkes haben – insbesondere auf jene der Arbeiterklasse und der von Rassismus Betroffenen", begründet die CPUSA ihre Position.

Auch wenn Trump nicht alle seine Ausfälle in politische Maßnahmen umsetzen wird/kann, so steht den USA zweifellos ein konservatives Rollback bevor. Die Hoffnungen der Arbeiterklasse werden von Trump nicht erfüllt werden, für Latinos, Schwarze und Muslime dürfte eine angstvolle Zeit anbrechen.

"Trump propagiert zügellosen Hass", sagt die us-amerikanische Philosophin Judith Butler. "Trump befreit Menschen, ihre Wut, ihren Hass – und diese Menschen können reich sein, sie können arm sein, sie können in der Mitte der Gesellschaft sein. Sie fühlen sich unterdrückt von den Linken, von den Feministen, von der Bürgerrechtsbewegung und von Obamas Präsidentschaft, die es einem schwarzen Mann erlaubte, die Nation zu vertreten. .. Diese Menschen sind bereit, mit dem Hass zu leben, den Trump verbreitet. Sie stimmen dem vielleicht nicht direkt zu, aber sie verstehen, was er sagt, und es ist für sie in Ordnung. Sie implizieren Zustimmung. Viele Menschen genießen heimlich seine Reden. Sie können es nicht laut sagen, weil wir uns schämen sollen, rassistisch oder sexistisch oder homophob zu sein."

Extreme Rechte jubelt über Sieg von Trump

Mit dem Wahlsieg von Trump haben der Rechtspopulismus und die extreme Rechte einen Auftrieb erhalten - weltweit, auch in Deutschland. Überall jubelt die extreme Rechte über den Erfolg von Trump. Der AfD-Landesvorsitzende NRW sieht mit dem Sieg von Trump "neue Epoche der Weltgeschichte" eröffnet. Auch Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke begrüßte den Wahlausgang als "Sieg der Demokratie über die zerstörerischen Kräfte des Systems" und "hoffnungsvolles Zeichen für einen grundlegenden Wandel".

Die rechtsextreme französische Front National gratulierte dem "neuen Präsidenten der USA" und erklärte, dass die US-Wähler damit "einer arroganten Elite den Stinkefinger gezeigt" hätten. "Es scheint, als werde 2016 zum Jahr zweier großer politischer Revolutionen", twitterte Nigel Farage von der rassistischen UKIP in Bezug auf den BREXIT. Für den israelischen Bildungsminister Naftali Bennett, Vorsitzender der nationalreligiösen Partei Jüdisches Heim, ist nach Trumps Wahlsieg die Idee der Gründung eines Palästinenserstaats Geschichte: "Die Ära eines Palästinenserstaats ist vorbei."

Sorge in Lateinamerika

Eine "größere Konfrontation" mit Lateinamerika erwartet der TV-Sender Telesur mit einem US-Präsidenten Donald Trump. Die Regierungen in Mexico C.D., Caracas, La Paz und vor allem in La Habana "müssen besorgt sein", weil mit Trump eine "neues Kapitel" aufgeschlagen wird", meint der cubanische Politikwissenschaftler Esteban Morales in einem Interview mit Telesur. Befürchtet wird, dass Trump die Politik der Annäherung an Cuba abbrechen und zur offenen Konfrontation zurückkehren wird. Trump hat im Wahlkampf die Politik Obamas gegenüber Cuba als "einseitigen Deal, der nur dem Castro-Regime Vorteile gibt" scharf kritisiert.

Am Tag nach dem Wahlsieg von Trump gab die cubanische Regierung bekannt, dass eine fünftägige landesweite Militärübung durchgeführt wird, um die Truppen für eine "Reihe von Aktionen des Feindes" vorzubereiten.


siehe auch:

 

 

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