Hans Peter Brenner über Papst Franziskus - vom Erzreaktionär zum päpstlichen „Marxisten“

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10.12.2015: Religionskritik ist ist elementarer Bestandteil unserer atheistischen Weltanschauung. Kirchenkritik ist aus vielen anderen Gründen notwendiger Bestandteil kommunistischer Politik. Um z.B. die Rolle von Kirchenhierarchien zu begreifen, muss man nicht unbedingt an den früheren niedersächsischen Landesbischof Lilje denken, der erst Hitler und dann die Wiederbewaffnung und die Nato begrüßte, oder an Papst Pius XII, der den verfolgten Juden Hilfe verweigerte aber SS-Tätern Fluchtwege öffnen half, oder an den evangelischen Bischof Huber, der die Agenda-Politik begrüßte. Aber immer hat es in den Reihen des Klerus und der Gläubigen eine Vielzahl mutiger und aufrechter Menschen gegeben, die Vorbilder sind und eine unverzichtbare Bündniskraft im Kampf für eine friedlichere und gerechtere Welt. Darum ist es eine ausgemachte politische Dummheit, solche Kirchenvertreter einer schematischen Kirchenkritik zu unterziehen oder ihnen eine kapitalismusaffirmative Rolle zu unterstellen. Das gilt erst recht, wenn es sich um bloße Vermutungen oder mögliche Verunglimpfungen handelt.

In der UZ vom 22. März 2013 und acht Tage nach der Wahl von Papst Franziskus schrieb Hans Peter Brenner: „Der neue Pontifex steht in der Nachfolge von Erzreaktionären“, ein „fanatischer Peronist“, ein erklärter Gegner der „Kirche der Befreiung“ und Kollaborateur der argentinischen Militärjunta. Obwohl einflussreich, habe er sich z.B. nicht um das Schicksal einer schwangeren Studentin gekümmert. Zwei jungen Jesuitenpriestern aus den Favelas von Buenos Aires habe er nicht geholfen als man sie verhaftete und folterte, sondern habe sie in der Zeit größter Gefährdung aus dem Jesuitenorden entlassen. Brenner: „Und das war kein Einzelfall. In Argentinien stand die katholische Kirche   bei Putschen immer an der Seite der Streitkräfte und habe auch in diesem Fall zu den Morden der Generäle geschwiegen. „Eine feine Gesellschaft, aus der Gottes bester Mann stammt“, so Brenner. “Ein würdiger Nachfolger des Antimodernisten Pius X. Ein würdiger Nachfolger des mit dem Faschismus kooperierenden Pius XII. Ein würdiger Nachfolger des Erz-Antisozialisten Johannes Paul II“.

Als Quelle wird ein Spiegel-Artikel vom 18.3.13. genannt, der wiederum auf Verdachtsäußerungen des argentinischen Kirchenkritikers Horacio Verbitzky fußt, die dieser offensichtlich nie erhärten konnte. (siehe Artikel in spiegel-online und Wikipedia)

Was weder UZ-Leser noch Spiegel-Konsument erfahren: Im Unterschied zu den vielen tausend Opfern der Militärjunta – man zählte mehr als 30 000 Verschwundene– kamen die genannten beiden Jesuitenpriester nach fünf Monaten frei und Zeugen existieren, die das allein dem Bemühen von Jorge Mario Bergoglio, dem heutigen Papst Franziskus, zurechnen. Anders als der Spiegel und Hans Peter Brenner suggerieren, war dieser Papst auch kein erklärter Gegner der „Kirche der Befreiung“, sondern ein Schüler von Lucio Gera, dem Begründer der „Theologie des Volkes“, einer argentinischen Variante der Befreiungstheologie. Von ihm übernahm Bergoglio die Auffassung, dass die Kirche eindeutig an der Seite der Armen zu stehen und solidarisch deren Rechte und Teilhabe an der Gesellschaft einzufordern habe. Folgerichtig ließ der spätere Kardinal Jorge Mario Bergoglio eben diesen Lucio Gera in der Krypta der Kathedrale von Buenos Aires bestatten.

 Den U.Z.-Leser hätte sicherlich auch interessiert, dass sich prominente Zeugen wie der Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel und der führende Befreiungstheologe Leonardo Boff umgehend zu Wort meldeten, als vor der Papstwahl Vorwürfe gegen Badoglio öffentlich gemacht wurden. Leonardo Boff: „Er hat viele gerettet und versteckt, die von der Militärdiktatur verfolgt wurden.“ Die Menschenrechtsaktivistin Graciela Fernandez erklärte in der größten Tageszeitung Clarin, bei ihrer Arbeit habe sie Hunderte von Zeugenaussagen erhalten, aber niemand habe Bergoglio bezichtigt. Die Juristin Alicia Oliveira erklärte: „Als die Junta hinter mir her war, hat er sich auf meine Seite gestellt. Ich bin von Jorges Standfestigkeit überzeugt.“ ( Zeugen und Quellenangaben Wikipedia)

Genosse Brenners Gang nach Canossa

In den Marxistischen Blättern 6/15 schreibt Hans Peter Brenner nun: „Mittlerweile bin ich überzeugt davon, dass Franziskus politisch und apostolisch nicht nur ein Glücksgriff für die in Europa  und Nordamerika dahinsiechende katholische Kirche darstellt, sondern auch eine kreative Herausforderung an die ideologische und politische Wirksamkeit des Marxismus und der mit ihm verbundenen Organisationen.“

Hans Peter lässt es auch an guten Argumenten zur Untermauerung seiner neuen Einsichten nicht fehlen. Dieser Papst nehme sich in aufrüttelnden Plädoyers immer wieder der existenziellen Themen unserer Zeit an. Selbst in den Ohren von Atheisten und Marxisten klängen die apostolischen Schreiben und Predigten des neuen Papstes wie Kampfansagen an den Kapitalismus. Fast scheint es, dass Hans Peter vor lauter berechtigter Sympathie für Franziskus – den päpstlichen „Marxisten“ - aus der Kurve getragen wird. „Doch es gibt eine Rote Linie, so Hans Peter, die nicht überschritten wird: Die Infragestellung des Privateigentums.“ Zum Glück, möchte man sagen, denn sonst hätten wir den Papst am Hals samt möglicherweise Milliarden Katholiken. Aber stimmt das denn? Nein, dieser Papst scheut keineswegs die Infragestellung des Eigentums. Das beweist er bei fast jedem öffentlichen Auftritt. Aber auch dieser Papst scheitert letztlich an fehlenden „Bataillionen“. Es geht ihm mit seinen Katholiken wie uns Kommunisten mit der Arbeiterklasse. Das vertrackte Bewußtsein!

Nun könnte der Leser meinen: Immerhin! Der schwere Gang nach Canossa! Aber Canossa hatte der Genosse Brenner nicht im Sinn. Stattdessen folgt nur der anonyme Hinweis auf eine Papstkritik, die „die Grenzen zur Denunziation überschreitet“, verbunden mit dem nachdenklichen Resume`: „Es bleibt offensichtlich noch einiges zu tun, um die Gesamtheit des sozial-und umweltpolitischen Wirkens des amtierenden Papstes zu durchdringen. Vorschnelle Urteile – in welche Richtung auch immer – werden dieser Person und ihrer objektiven Bedeutung nicht gerecht.“

Wohl wahr! Aber den Bezug auf seine Ausführungen in der UZ vom 22. März 2013 über den „Papst der Junta“ und den „erzreaktionären Pontifex“ suche ich vergebens und denke, der U.Z.-Leser hätte ein Recht gehabt auf Richtigstellung. Und der Papst auch. Aber zum Glück für uns und Hans Peter Brenner lesen die abermillionen Papstverehrer und Gläubige ja nicht die U Z.

Rudi Christian, Hamburg

P:S:. Richtigstellung

Unter dem Titel „Gute Nacht“ schrieb in derselben UZ vom 22. März 13 unser PV-Mitglied für internationale- und Vatikanangelegenheiten, Günther Pohl: „Eine gute Wahl, der alte Mann aus Buenos Aires. Denn ihn wegen der vermuteten Verantwortung für die Auslieferung von zwei der „Theologie der Befreiung“ nahestehenden Jesuitenpriestern an die argentinische Diktatur zu verurteilen, ist müßig. Den Herrschenden nahe zu stehen ist ja kein Hinderungsgrund, sondern ein Einstellungsgrund in der Kirche   .Im gleichen süffisant-denunziatorischen Ton bemerkt Pohl, „dass ein Feind der Homo-Ehe ( wie Franziscus ) noch als liberal gilt, wirft ein bezeichnendes Licht auf diese Vereinigung.“

Dem Kirchenkritiker Günther Pohl ist entgangen, dass Papst Franziskus zwar die Homo-Ehe ablehnt, aber in Sachen Sexualität einen innerhalb des katholischen Klerus doch ausgesprochen fortschrittlichen Standpunkt einnimmt. Er „bejaht die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft“. (Wikipedia zu Papst Franziscus)