Bereits unmittelbar nach den kriegerischen Anschlägen der Hamas am 7. Oktober in Israel haben weltweit kommunistische Parteien Stellung bezogen zur Lage im Nahen Osten. Die Eskalation der Ereignisse und der militärische Einmarsch der israelischen Armee in Gaza hat in den vergangenen Wochen zu dringlichen Solidaritäts- und Friedensappellen geführt. Nicht zuletzt hat das 23. Internationale Treffen der kommunistischen und Arbeiterparteien, das vom 19. – 22. Oktober 2023 in Izmir stattfand, den teilnehmenden Parteienvertretern Gelegenheit geboten, eine gemeinsame Erklärung „Declaration on Palestine“ zu verabschieden. Der kurze Text beschränkt sich auf die Forderungen nach einem Stopp der israelischen Aggression in Gaza, nach einem Ende der Jahrzehnte währenden Besatzung palästinensischer Gebiete und einer Solidaritätserklärung mit dem „gerechten Kampf des palästinensischen Volkes“. Damit unterscheidet sich der Text erstaunlicherweise z.T. erheblich von den Stellungnahmen der einzelnen kommunistischen und Arbeiterparteien und verdeckt unterschiedliche politische Einschätzungen und äußerst widersprüchliche Schlussfolgerungen und Forderungen.

Für die weitere Debatte auch mit Friedensbewegungen und anderen fortschrittlichen Kräften und vor allem für das notwendige gemeinsame Handeln scheint es mir wichtig, einige Unterschiede und wesentliche Gemeinsamkeiten in den Stellungnahmen zu benennen. Alle Erklärungen sind veröffentlicht auf www.solidnet.org und können dort eingesehen werden. Betrachtet wurden die Aussagen zum internationalen „Setting“ mit Bezug auf „Middle East“, zum Charakter des Krieges, Aussagen zu möglichen Perspektiven für die Region bzw. Forderungen und Entschließungen.

Internationales Setting

Im August 2023 wurde von den so genannten BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika eine Erweiterungsrunde beschlossen, so dass ab Januar 2024 auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien, Argentinien, Iran, Ägypten und Saudi-Arabien dem Bund angehören werden. Damit wächst die wirtschaftliche und politische Bedeutung dieses Staatenbunds, der jenseits der westlichen G7-Dominanz auf die Entwicklung einer multipolaren Welt orientiert, und im Unterschied zu diesen die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten als Voraussetzung für wirtschaftliche Zusammenarbeit erachtet. Unter dem BRICS-Kürzel werden künftig erstmals starke Konkurrenten um den Einfluss im Nahen und Mittleren Osten wie der Iran und die Arabischen Emirate den Weg wirtschaftlicher Zusammenarbeit einschlagen.

Diese Entwicklung steht in klarem Gegensatz zu der von der Trump- und aktuell auch der Biden-Administration verfolgten „Wende“ in der Nahost-Politik. Diese gipfelte in den von den USA im Jahr 2020 vermittelten israelisch-emiratischen Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein. Gleichzeitig wurde der Druck auf den Iran „maximal erhöht“, Wirtschaftssanktionen und der Versuch der politischen Isolierung Teherans führten zu wachsenden Spannungen in der Region und verschärften die soziale Lage großer Teile der iranischen Bevölkerung, was sich innenpolitisch immer wieder in großen Protestbewegungen äußert. Die US-Politik strich die Interessen der Palästinenser bewusst von der politischen Agenda zugunsten der gewünschten Verständigung zwischen Israel und den Arabischen Emiraten.

Vor diesem Hintergrund hält der Islam-Wissenschaftler Michael Lüders es mit Verweis auf Überlegungen des israelischen Historikers Shlomo ben Ami für denkbar, dass Kriegsgründe und Kriegsziele der Hamas darin liegen könnten, die „arabischen Brüder“ wieder zu einer stärkeren Berücksichtigung palästinensischer Interessen zu bewegen, die von den USA geförderte „Normalisierung“ der Beziehungen zu Israel also zu stören. Das könnte gleichzeitig den ebenfalls angestrebten Effekt haben, die Hegemonie der Hamas innerhalb der palästinensischen Bevölkerung zu sichern.

In den Stellungnahmen der Kommunistischen und Arbeiterparteien werden diese jüngsten Entwicklungen kaum reflektiert, mit Blick auf die US-Aktivitäten in der Region lediglich von den KPen der USA und Griechenlands. Die KP der USA verweist zu Beginn ihrer Erklärung auf die enormen Militärhilfen der USA für Israel und auf die vor allem wirtschaftlichen Interessen folgenden Verträge zwischen den reaktionären arabischen Staaten und Israel. Damit soll nach Einschätzung der KP der USA nicht nur der Kampf der Palästinenser unterminiert werden, sondern auch die hegemoniale Stellung der USA in der Region gefestigt werden. In einem längeren Text der griechischen KKE werden die US-amerikanischen Politiken, insbesondere die so genannten jüngsten „Abraham Accords“ ebenfalls beschrieben als Versuch der imperialistischen Einflussnahme in der Region, einer bewussten Konfrontation zu China sowie der gezielten Entrechtung der Palästinenser. Die KP Pakistans begründet die Militäroperationen der Hamas mit der notwendigen Zurückweisung des Normalisierungsprozesses zwischen Israel und Saudi-Arabien, und auch die KP Iraks fordert die Beendigung der Normalisierung. Die aktuelle Erweiterungsrunde der BRICS-Staaten aber und damit möglicherweise verbundene politische Ziele finden keinerlei Erwähnung.

Der enorme Einfluss der USA, der EU, oder schlicht imperialistischer Mächte allerdings wird in einigen Erklärungen erwähnt, oft sogar als entscheidende Stütze der israelischen Regierung und der andauernden Besatzungspolitik benannt, so etwa von den Kommunist:innen Palästinas, Pakistans, Chiles, Mexikos, Irlands, Dänemarks oder der Niederlande.

Zum Charakter des Krieges

In nahezu allen Erklärungen wird die Jahrzehnte währende Besatzungspolitik Israels und die damit verbundene Entrechtung der Palästinenser benannt und die Beendigung dieser völkerrechtswidrigen Politik gefordert. Nicht selten wird dies auch als Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in der Region betrachtet. Die Schuld an der aktuellen Eskalation bzw. die Verantwortung für die kriegerische Zuspitzung wird in diesem als asymmetrisch beschriebenen Konflikt der israelischen Regierung zugewiesen.

Aus Sicht einiger kommunistischer Parteien besteht zwischen der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik und den Militäroperationen der Hamas sogar ein „unvermeidlicher“ Begründungszusammenhang in dem Sinne, dass bei andauernder israelischer Besatzung ein – auch bewaffneter – Widerstand der Palästinenser unausweichlich ist und immer wieder auf der Tagesordnung stehen wird.

Von einem Teil der Parteien wird der Krieg daher als völlig legitimer bewaffneter Widerstand des palästinensischen Volkes gegen Besatzung und Entrechtung beschrieben, so von den KPen Ägyptens, Dänemarks, der Niederlande, Österreichs, Griechenlands, des Irak oder Mexikos. Dabei gibt es fließende Übergänge zu den Erklärungen des Teils der kommunistischen Parteien, der die Militäroperationen der Hamas als „nationalen Befreiungskampf“ oder „Teil der weltweit zunehmenden antikolonialen Kämpfe“ betrachtet. Das würde allerdings eine über den Widerstand hinausgehende progressive politische Zielsetzung der Akteure voraussetzen, was in den jeweiligen Statements der KP Palästinas, der kommunistischen Partei der Völker Spaniens, der Deutschen Kommunistischen Partei oder der KP der Schweiz nicht näher betrachtet wird.

Die kommunistische Arbeiterpartei Russlands macht als einzige darauf aufmerksam, dass die radikal-islamistische Hamas zunächst von den USA und Israel gefördert wurde mit dem Ziel, die fortschrittlichen Kräfte in Palästina zu schwächen. Ganz in diesem Sinne verweist die KP der Türkei mit Blick auf die Hamas auf ein fehlendes fortschrittliches Gesellschaftsprojekt und schließt daraus, dass sich linke und anti-imperialistische Kräfte stärker engagieren müssten, um den Frieden in der Region dauerhaft etablieren zu können.

Mögliche Perspektiven

Nicht alle Parteien äußern sich zu den möglichen Perspektiven dieses Konflikts. Die Möglichkeit einer weiteren Eskalation bis hin zu einem regionalen Krieg oder gar dem stärkeren Eingreifen westlicher imperialistischer Mächte und in der Folge unabsehbar viele zivile Opfer werden befürchtet insbesondere von der KP Israels, des Iran und Chiles.

Dem gegenüber stehen Vorstellungen von einer Verstärkung des Widerstands und des Kampfes auf Seiten der Palästinenser bis zum Ende der israelischen Besatzung, was etwa in den Erklärungen der griechischen KKE, Pakistans, der Schweiz, Schwedens, der spanischen PCPE oder der KP der Türkei aufscheint. Zum Durchhalten im antikolonialen Kampf fordert auch die KP Irlands auf. Die KP des Irak fordert eine umgehende Beendigung der „Normalisierung“, die Ausweisung der israelischen Diplomaten aus allen arabischen Staaten und die volle Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes durch alle patriotischen Kräfte. Es bleibt unklar, in welcher Form die einzelnen Parteien Beiträge zu der geforderten Fortsetzung des Kampfes leisten könnten.

In Abgrenzung zu einer Unterstützung der Hamas-Operationen und ohne nähere Beschreibung der Mittel und Formen fordert die KP der Niederlande zu einem säkularen und antiimperialistischen Kampf auf, die KP Russlands zur Unterstützung fortschrittlicher Kräfte im Kampf um eine sozialistische Perspektive.

Für ein sofortiges Ende der Gewalt, den Druck der internationalen Gemeinschaft zur Einhaltung der UN-Beschlüsse setzen sich die KP Indiens, die KP der USA, die KP Israels, die spanische PCE, die PSP Mexikos und die KP der russischen Föderation ein. Diese Auffassung teilt auch die KP Luxemburgs, die ausdrücklich den entsprechenden Vorschlag Chinas für eine Friedenskonferenz begrüßt.

Für ein Ende der Gewalt im Nahen Osten!

Die kommunistischen und Arbeiterparteien sind einig darin, dass die aktuelle Eskalation ihre Wurzeln hat in der Jahrzehnte andauernden Blockade Israels, die entsprechenden UN-Beschlüsse zur Zwei-Staaten-Lösung umzusetzen. Konsequent ist die gemeinsame Schlussfolgerung, dass zur Vermeidung weiterer Gewalt die Umsetzung der UN-Beschlüsse als Voraussetzung für eine fortschrittliche Entwicklung in Richtung Frieden durchgesetzt werden muss. Mitgefühl mit den Opfern der militärischen Auseinandersetzung kommt vielfach zum Ausdruck.

Unterschiede und auch widersprüchliche bis gegensätzliche Vorstellungen bestehen allerdings in der Einschätzung der internationalen Kräfteverhältnisse, der beteiligten Akteure und ihrer jeweiligen Interessen. Enorme Widersprüche sind feststellbar auch in der Frage, um was für einen Krieg es sich handelt, und was die nächsten notwendigen Schritte sind in Richtung einer dauerhaften Friedenlösung. Diese Widersprüchlichkeiten lassen sich wenigstens z. T. auf die unterschiedlichen Erfahrungen in der Geschichte der einzelnen Parteien selbst zurückführen. Ausschlaggebend aber dürfte sein, dass die internationalen Kräfteverhältnisse sich radikal verändern, Umbrüche und Krisen viele Gewissheiten erschüttern und allgemeingültige Aussagen erschweren. Dies umso mehr, als die Möglichkeiten kommunistischer und Arbeiterparteien zu internationalem Austausch in den letzten Jahrzehnten kaum gegeben waren. Unter solch eingeschränkten Bedingungen und einer wenig diskutierten Meinungsvielfalt rücken konkrete Verabredungen zur Zusammenarbeit in weite Ferne, bleibt leider die vielfach beschworene internationale Solidarität ein sicher ernst gemeinter, aber papierner Begriff.

Ein intensiver Austausch, der dann auch zu praktischer politischer Zusammenarbeit führen kann, wäre sehr wünschenswert. Dabei sollten die Initiativen der weltweit größten kommunistischen Partei, der KP Chinas, mehr Beachtung finden. Die Regierungspartei mit Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen betont auch im aktuellen Konfliktfall die Bedeutung des Völkerrechts und einer notwendigen politischen Lösung.

Isa Paape


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