Französische Linke mobilisieren für Kurswechsel

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paris marche citoyenne 201302.05.2013: Kurz nach den eindrucksvollen Kundgebungen der französischen Gewerkschaften zum 1. Mai mobilisieren Frankreichs Linke bereits zu einer neuen Großkundgebung am kommenden Sonntag (5. Mai) in Paris, diesmal anlässlich des ersten Jahrestages des Wahlsiegs des 'sozialistischen' Staatspräsidenten Hollande in der Stichwahl am 6. Mai 2012. Es werden mehrere zehntausend Demonstranten erwartet. Hauptinhalt ist die Forderung nach einem Kurswechsel in der Politik der sozialdemokratisch geführten Staatsund Regierungsspitze unter der Losung "Gegen Finanzwirtschaft und Sparzwang, für eine VI. Republik".

Ursprünglich wurde die Aktion von der französischen Linksfront initiiert, und zwar unter Beteiligung aller ihrer Komponenten von der 'Parti de Gauche' (Linkspartei) und den Kommunisten (PCF) bis zu der früher zu den Trotzkisten gezählten 'Gauche Unitaire' (Vereinigte Linke) und mehreren kleineren Vereinigungen. Inzwischen haben sich aber auch über 800 Gewerkschafter verschiedener Organisationszugehörigkeit und 700 Aktivisten aus dem Lager der Grünen und Umweltbewegungen durch ihre Unterschriften dem Aufruf angeschlossen. Ebenso die als 'linksextrem' etikettierte 'Neue Antikapitalistische Partei' (NPA) und mehrere bekannte Politiker des linken Flügels der regierenden Sozialistischen Partei (PS).

Nachdem es am 1. Mai aufgrund der Weigerung des sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaftsbundes CFDT nicht zu einheitlichen Mai- Kundgebungen der Gewerkschaften gekommen war, dennoch aber in rund 260 Städten gemeinsame Kundgebungen der linken Gewerkschaftsbünde CGT, FSU und 'Solidaires' mit der Forderung nach einer anderen Politik der Regierung stattfanden, dürfte die Kundgebung am 5. Mai zu einem Höhepunkt der Mobilisierung der französischen Linkskräfte für eben diese Forderung werden. Dabei betonen die Initiatoren, dass sie damit nicht mehr einfordern wollen als die endliche Inangriffnahme und Verwirklichung jener Wende in der französischen Politik, die der jetzige Staatspräsident und seine Partei vor einem Jahr im Wahlkampf selbst angekündigt und versprochen hatten. "Es muss wieder die Initiative ergriffen werden, um der neoliberalen Politik dieser Regierung ein Stoppsignal zu setzen", hieß es in dem Aufruf der 800 Gewerkschafter.

Wie notwendig eine solche Kurswende auch im Interesse des Erhalts der derzeitigen Kräfte- und Regierungskonstellation wäre, verdeutlicht der Umstand, dass auch die Gegner der 'Homo-Ehe' für den gleichen 5. Mai zu einer Kundgebung in Paris aufgerufen haben. Initiiert von der vor einem Jahr abgewählten Rechtspartei UMP und reaktionären Teilen der katholischen Kirche, aber auch unter Mitwirkung der rechtsextremistischen 'Front National', wird damit versucht, eine außerparlamentarische Massenbewegung gegen die Hollande-Regierung auf die Straße zu bringen.

Es ist mit Händen zu greifen, dass es dabei längst nicht mehr allein um die staatlich anerkannte Heirat von gleichgeschlechtlichen Partnern oder Partnerinnen und deren Recht auf die Adoption von Kindern geht, die das französische Parlament am 23. April mit großer Mehrheit von Sozialisten, Grünen, Kommunisten und anderen Abgeordneten der Linksfront beschlossen hat. Die Strategen der Rechten versuchen, das Thema der 'Homo-Ehe' als Vehikel für einen generellen Angriff auf das derzeitige politische Kräfteverhältnis in Frankreich und die Regierung Hollande zu verwenden und damit die vor einem Jahr abgewählten politischen Rechtskreise wieder mehrheitsfähig zu machen.

Die jüngste taktische Variante in diesen Bestrebungen war am vergangenen Sonntag die Veröffentlichung einer Meinungsumfrage, wonach fast 80 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen statt der jetzigen Regierung die Bildung einer 'Regierung der nationalen Einheit' in Frankreich unter Einbeziehung von Liberalen und Rechtskonservativen in eine 'Große Koalition' mit den Sozialisten und Grünen bejahen würden.

Dass solche Vorhaben der Rechten überhaupt mit einer gewissen Erfolgsaussicht betrieben werden können, liegt in erster Linie daran, dass Hollande und seine Regierung hierfür enorme Angriffsflächen bieten. Nicht weil sie die 'Homo-Ehe' tatsächlich gegen den Willen der Rechten durchgesetzt haben, sondern weil sie im Gegensatz zu ihren Wahlversprechen vor der Durchsetzung der angekündigten 'Wende' für mehr soziale Gerechtigkeit zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung unter dem Druck der Unternehmerverbände und der Stimmungsmache der rechten Medien zurückweichen.

Es geht dabei nicht nur um gebrochene Wahlversprechen und die damit ausgelöste Enttäuschung im eigenen Wählerlager. Die Unterordnung der Hollande-Regierung unter die neoliberalen Forderungen der führenden Kapitalkreise hat für weite Teile der Bevölkerung in ihrem Alltagsleben unmittelbar spürbare negative Folgen. Die Arbeitslosigkeit erreichte im März 2013 in Frankreich mit fast fünf Millionen Arbeitsuchenden einen neuen, seit Jahren nicht mehr gekannten Höchststand. In den zehn Monaten seit dem Amtsantritt hat es die Regierung nicht geschafft, auch nur erste Anzeichen eines sich erholenden Wirtschaftswachstums oder die Eindämmung des massiven Arbeitsplatzabbaus durch führende Konzerne wie Peugeot, Arcelor Mittal, Petroplus, Sanofi u. a. zu erreichen.

Von der Nationalisierung solcher arbeitsplatzvernichtender Unternehmen, also ihrer Übernahme in öffentliches Eigentum, ist keine Rede mehr. Aber Hollande und seine Minister halten eisern an den von den Doktrinen des Neoliberalismus diktierten, von der EU geforderten Sparzielen zur Reduzierung des Defizits im Staatshaushalt fest. Das ist mit weiteren Einschnitten in den öffentlichen Ausgaben auf der zentralen Staatsebene wie bei den Territorialkörperschaften und Kommunen verbunden. Für 2014 sind weitere Einsparungen in den öffentlichen Haushalten in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro angekündigt.

Gleichzeitig verlautete aus Regierungskreisen, dass nicht etwa die Rücknahme der von der Sarkozy-Regierung durchgesetzten Rentenverschlechterung ansteht, sondern eine weitere Erhöhung der für den Bezug der Vollrente erforderlichen Zahl von Beitragsjahren anvisiert wird. Im April ist von der sozialistisch-grünen Regierungsmehrheit im Parlament gegen die Opposition von drei der fünf größten Gewerkschaftsverbände eine den Forderungen der Unternehmerverbände entsprechende 'Arbeitsmarktreform' durchgesetzt worden, die deutliche Verschlechterungen im Arbeitsrecht und die Möglichkeit einer verstärkten Flexibilisierung von Tarifverträgen zum Inhalt hat.

Die durch solche Maßnahmen ausgelöste zunehmende soziale Unzufriedenheit schafft einen günstigen Nährboden für die mit der Kampagne gegen die 'Homo-Ehe' eingeleiteten Anti-Hollande- Stimmungsmache der Rechten – und vor allem für die Rechtsextremisten, die sich mit dem treuherzigen Blick der Le-Pen-Tochter Marine als 'moderne Rechtspartei' aus ihrem Extremisten- Image zu befreien versucht und sich mit hemmungsloser sozialer Demagogie als "echte Arbeiterpartei" präsentiert.

Umso mehr ist eine Kurswende in der Regierungspolitik zurück zu den ursprünglichen Ankündigungen im Wahlkampf ein Erfordernis, um dem vor einem Jahr geäußerten Wählerwillen der Mehrheit der Französinnen und Franzosen Geltung zu verschaffen.

Text: Pierre Poulain (Vorabdruck aus UZ vom 3.5.2013)
Plakat: www.marchepourla6eme.fr