21. Parteitag der DKP - Der Salto rückwärts

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06.02.2016: Die Akzeptanz linker Parteien, vor allem marxistisch ausgerichteter, ist trotz der sich vertiefenden Krise in den kapitalistischen Ländern unbefriedigend. Das entspricht dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis in den aktuellen Klassenauseinandersetzungen und kann auch der neuen DKP-Parteiführung nicht entgangen sein. Trotzdem sehen sie einen Hauptgrund für die Schwäche der DKP offenbar im übernommenen Erbe. Bereits seit dem 19. Parteitag war ihr Hauptanliegen die Änderung der politischen und organisationspolitischen Programmatik der DKP. Seit dem 20. Parteitag bestimmte das die „Innen-Politik“ der Partei, aber erst als die 12. Parteivorstandstagung Ende letzten Jahres sich dazu verstieg, dies mit Stalinzitaten zu begründen, kam vielen der Verdacht, es könne sich um einen politischen „Salto rückwärts“ handeln. Die Mehrheit des 21. Parteitags hat die in den Leitlinien getroffene Neubestimmung der Programmlinie ohne große Debatten und Änderungen durchgereicht. Einen besonderen „Beitrag“ dazu leistete die Antragskommission, die nicht nur von Hans Peter Brenner geleitet wurde, sondern auch dessen vorherige Ausführungen samt Punkt und Komma übernahm.

Aus der Luft gegriffen

Im Anhang von Antrag LA00X auf dkp.de wird die Ablehnung der Gegenanträge begründet. Hans Peter Brenner zitiert darin zwar den gesamten Text der Bezirksmitgliederversammlung Rheinland-Pfalz, seine Kommentare aber sind aus der Luft gegriffen. Dazu einige Beispiele.

H. P. Brenner: „Im Hauptantrag dieser Bezirksmitgliederversammlung wird der „Marxismus-Leninismus“ als Ursache und Ursprung für ein Parteimodell eingeschätzt, das von vielen als stalinistisch bezeichnet wird.“

Bezirksmitgliederversammlung Rheinland-Pfalz:  Der Antrags-Absatz, auf den sich Hans Peter Brenner vermutlich bezieht, lautet: „Waren bis 1989 rechtliche Überlegungen, z.B. im Zusammenhang mit dem KPD-Verbot, möglicherweise prägend für den Verzicht auf die Selbstdefinition als marxistisch-leninistische Partei, so war es in den Jahren nach 1989 eine bewußte politische Entscheidung nach teils sehr schmerzlichen Diskussions- und Erkenntnisprozessen, uns nicht mehr als marxistisch-leninistisch verfaßte Partei zu definieren. Das fand Eingang in alle programmatischen Dokumente von den Thesen zur Erneuerung der DKP bis hin zum Programm von 2006. Dies war und ist keine Distanzierung vom Marxismus-Leninismus als Wissenschaft, für deren freie Verbreitung die DKP sich gemäß ihrem Programm einsetzt. Die Abkehr vom marxistisch-leninistischen Parteimodell als Abkehr von Marx und Lenin zu bezeichnen ist eine bewußte Fehlinterpretation. Stalin war und ist für uns kein Theoretiker, der unsere wissenschaftlichen Grundlagen erweitert hätte. Auch diese Erkenntnis war Ergebnis der Diskussionsprozesse nach der Niederlage von 1989 in Europa.“

Während der Antrag also ausdrücklich unterscheidet zwischen dem unter Stalin praktizierten „marxistisch-leninistischen“ Parteimodell“ und dem „Marxismus-Leninismus“ als Theorie der Partei, wirft Hans Peter beides in einen Topf. Stalins Interpretation und Pervertierung des Marxismus-Leninismus und der Marxismus-Leninismus sind bei ihm eins. Entsprechend behauptet er die Kritik am stalinschen Organisationsmodell „als von vielen als stalinistisch“ bezeichnet“. Selbstverständlich fälschlich so bezeichnet, denn „Stalinismus“ und „stalinistisch“ kommen im Brennerschen Universum nicht vor, es sei denn als Erfindung des Klassengegners und als “bürgerlicher Kampfbegriff“.

Wer das anders sieht, der wirbt laut Hans Peter für eine DKP als „linkspluralistische Gruppierung“, als „lockeren Zirkelverband“ oder als „rosaroten Splitter einer Mosaiklinken“. Absurditäten zwar, aber erfahrungsgemäß sehr geeignet, um jeder Diskussion über sozialistische Demokratie und ein zeitgemäßes Partei- und Politikverständnis den Weg zu verbauen.

„historisch inkorrekt“?!

H.P. Brenner: „Die historische Inkorrektheit dieser Einschätzung (im Antrag Rheinland-Pfalz) beginnt bereits mit der Aussage, dass das KPD-Verbot zum Verzicht auf die Bezeichnung der KPD-DKP als einer marxistisch-leninistischen Partei geführt habe.“

Eine solche eindimensionale Aussage, wie sie Hans Peter Brenner behauptet, wird durch den Antragstext nirgends bestätigt. Ganz im Gegenteil. Selbst die Bedeutung des KPD-Urteils für den „Verzicht“ auf den Begriff „marxistisch-leninistische Partei“ wird im Antrag nur einschränkend als Grund genannt („möglicherweise prägend“). Als zweiten Grund nennt der Antrag, dass „nach 1989, nach teils schmerzlichen Diskussions-und Erkenntnisprozessen die bewußte  politische Entscheidung getroffen wurde, uns nicht mehr als marxistisch-leninistische Partei zu definieren“. Beides zusammen wird als Begründung für den Verzicht auf den Terminus „marxistisch-leninistische Partei“ genannt, nicht wie behauptet allein das KPD-Verbot.

Im Übrigen thematisiert der Antrag die KPD-Zeit gar nicht. Das dient nur als Einstieg zu seitenlangen Zitaten aus KPD-und DKP-Dokumenten, die aber den Vorwurf „historischer Inkorrektheit“ an keiner Stelle belegen. Am Ende schrumpft Brenners Vorwurf an die Antragsteller darum auf die bockige Bemerkung zusammen, es sei falsch, „wenn man aus dieser oder jener Formel der neugegründeten DKP    eine Absage an den Marxismus-Leninismus herauslese. Denn angeblich „stand immer fest“, dass die westdeutsche kommunistische Partei eine marxistisch-leninistische Partei ist.

Immer? In der Bedeutung des seit Stalin tradierten Politik- und Organisationsverständnisses spätestens ab `89 in der DKP gewiss nicht mehr! Weder im Programm noch im Statut und schon gar nicht im Verständnis der Mehrheit ihrer Aktiven.

Eine ganz andere Sache ist, dass der Terminus „marxistisch-leninistische Partei“ bis zur Wende 1989/90 in allen Ostblock-Parteien gängiger Sprachgebrauch war. Das hatte den Grund, dass den regierenden Parteien die Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit nicht opportun erschien. Zu weitreichend schienen die Folgen für Staat und Gesellschaft und nicht zuletzt für die Kommunistischen Parteien selbst. Dieser am Ende selbstzerstörerischen Verweigerungshaltung der damaligen Parteiapparate entspricht auch die Praxis der gegenwärtigen Mehrheitsströmung der DKP, die eine nostalgische Sicht auf den Realsozialismus einer kritischen Aufarbeitung der Fehler vorzieht. Nicht von ungefähr besteht die gegenwärtige Parteiführung inclusive der ihr anhängenden SDAJ-Leitung darauf, das Versagen des Realsozialismus einseitig als Werk der Konterrevolution zu mystifizieren.

Angeblicher „Knackpunkt“ bestehender Mißverständnisse - Unsere Weltanschauung

H.P. Brenner: . „Dies ist der umstrittene eigentliche Knackpunkt im Vergleich zum Programm von 2006, der nach einer Klarstellung verlangt.“    „Im Programm von 2006 „wird – „anders als 1978, der Marxismus-Leninismus nicht mit dem Attribut „Weltanschauung der Kommunisten“ versehen. Das hat in den letzten Jahren mit zu der Entstehung einer Strömung in der DKP geführt: die im „Marxismus-Leninismus“ den Ausdruck von „Erstarrtheit“, „Orthodoxie“ und – neuerdings – auch von „Stalinismus“ sieht.“

Wobei letzteres eigentlich niemanden wundern sollte bei dem nostalgisch-unkritischen Sozialismusbild, der KKE-Affinität und dem Stalin-Revival in der Partei. Aber was hat das mit unserer Weltanschauung zu tun?

Dazu der Antrag aus Hamburg-Eimsbüttel: „Lenin hat dem nach marxschen wissenschaftlichen Sozialismus wesentliche unverzichtbare Beiträge hinzugefügt. Das betrifft u. a. seine Imperialismus-Theorie, seine Beiträge zur Organisations-und Revolutionstheorie und zur Theorie und Praxis des Sozialismus. Das rechtfertigt nach allgemeiner Ansicht, ihn in einem Atemzug mit Marx und Engels als Vertreter des wissenschaftlichen Sozialismus zu nennen und auch von der Lehre von Marx, Engels und Lenin als dem „Marxismus-Leninismus“ zu sprechen. Aber unsere Weltanschauung als Teil der Theorie, also Philosophie, Geschichtstheorie und die politische Ökonomie, stammt von Marx und Engels. Und darum ist die Weltanschauung der Kommunisten der Marxismus und nicht der Marxismus-Leninismus.“

Anders H.P. Brenner: „Wir stellen mit dem Leitantrag klar, was bei dem einen oder anderen in Vergessenheit geraten oder auch in Zweifel gezogen wird. Der Marxismus-Leninismus ist nicht irgendeine Theorie oder Weltanschauung, zu der man dieses oder jenes Verhältnis als Kommunist haben kann. Der Marxismus und der Leninismus bilden unsere wissenschaftliche und schöpferische Weltanschauung

Hier wird es noch problematischer, einmal weil suggeriert wird, ein Teil der Partei fände Lenin verzichtbar, und auch, weil damit Lenins Beitrag als „Leninismus“ vom „Marxismus“ getrennt wird. Aber Lenin ohne Marx und Engels ist nicht denkbar. Darum ist „die einheitliche Theorie von Marx, Engels und Lenin“ Basis unserer Politik und unseres Organisationsverständnisses, aber der Marxismus unsere Weltanschauung, wie es Programm und Statut der DKP bisher aussagten.

Vielleicht liegt der Knackpunkt vieler „Mißverständnisse“ gerade darin, dass Hans Peter Brenner den Unterschied zwischen Weltanschauung und wissenschaftlicher Theorie nicht zur Kenntnis nehmen will.

Die steile Stalin-These: „Verzicht auf Leninismus = Umdeutung unserer theoretischen Grundlagen“
    auch von Hans Peter auf der besagten 12. PV-Tagung vom Stapel gelassen.

Die Begriffe „Leninismus“ und „leninistisch“ wurden maßgeblich in der Zeit Stalins geprägt, waren Teil seines Bestrebens, sich in die theoretische Nachfolge Lenins zu stellen. Sie geben die Stalinsche Interpretation Lenins wieder, nicht nur mit allen ihren Verkürzungen, Schematisierungen und Dogmatisierungen, sondern auch mit offen fehlerhaften Interpretationen Lenins. (siehe Judick /Steinhaus/ Geschichtskommission der DKP)

Die marxistischen Theoretiker Heinz Marohn und Eberhard Czichon (u.a. Verfasser der neuen Thälmann-Biographie) nennen darum den „Leninismus“, die ideologische Waffe Stalins und setzen ihn als Oberbegriff für „Haupttendenzen der Verfälschung Lenins“. Unter diesen Tendenzen führen sie besonders die „Verfälschung von Lenins Organisationstheorie“ an. Dort heißt es u.a.:“ Stalin griff zwar einzelne Elemente aus Lenins Arbeiten zur gesellschaftlichen Funktion einer kommunistischen Partei auf, vernetzte sie jedoch ohne jede Rücksicht auf ihren konkreten Zusammenhang zu einer allgemeingültigen Parteikonzeption, die er – seinem Ziel entsprechend – auch sogleich als „Parteitheorie“ Lenins ausgab und die er später dann noch als „Partei neuen Typs“ interpretierte“.

Die Vorstellung Stalins von einer kommunistischen Partei war bekanntlich eine monolithische Organisation, in der Politik von oben nach unten exekutiert wird. Eine solche Organisation ist den gegenwärtigen Bedingungen in keiner Weise angemessen. Diese Parteiform, die unter Stalin in der Herrschaft einer einzigen Person kulminierte, wird aber seit Zeiten des „Generalissimus“ als „marxistisch-leninistisch“ angesehen und wird immer noch von GenossInnen als Vorbild und als fester Bestandteil des „Leninismus“ betrachtet. Das aber ist ein Trugschluss. „Lenins Auffassung zur gesellschaftlichen Funktion der marxistischen Partei erlaubt keine absolute, von den konkreten Bedingungen des Klassenkampfes unabhängige Konzeption der Parteiorganisation.“ (Jupp Schleifstein)

Bleibt anzumerken: Wer heute wieder dem autoritären, bürokratischen Zentralismus, der zum Absturz des „Realsozialismus“ führte, mit Stalinzitaten die Absolution erteilt, ist nicht unbedingt ernst zu nehmen. Es sei denn, er ist stellvertretender Parteivorsitzender und eine Parteitagsmehrheit folgt ihm.

Rudi Christian, Hamburg