Spanien: Rajoy wirft Handtuch – Iglesias schlägt "Regierung des Wechsels" vor

Drucken

23.01.2016: Der bisherige konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy hat im Ringen um eine Regierung aufgegeben. Pablo Igelsias von Podemos ergriff sofort die Initiative und schlägt der Sozialistischen Partei eine "Regierung des Wechsels" vor, mit ihm als Vizepräsidenten. Auch die Vereinigte Linke will er in der Regierung sehen. Die Verhandlungen sollen noch an diesem Wochenende beginnen.

Gut einen Monat nach der Parlamentswahl hat der bisherige Ministerpräsident Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP) aufgegeben, eine Regierung unter seiner Führung zu bilden. Rajoys Volkspartei (PP) war bei der Wahl am 20. Dezember zwar wieder stärkste Kraft geworden, hatte aber die absolute Mehrheit verloren. Nachdem ihm die anderen Parteien die Unterstützung verweigerten, hat er nun am gestrigen Freitag (22.1.) das Handtuch geworfen. Rajoy setzt auf Neuwahlen. Am heutigen Samstag drohte er in einer Rede in Córdoba, dass er mit der absoluten PP-Mehrheit im Senat die Politik einer PSOE-Podemos-Regierung stoppen werde. "Sie werden nicht regieren können, weil wir die Mehrheit im Senat haben", kündigte er in aller Offenheit die Obstruktion der PP an.

Iglesias: Regierung des Wechsels bilden
Kaum hatte Rajoy den Auftrag zur Regierungsbildung an den König zurückgegeben, ergriff der Generalsekretär von Podemos, Pablo Iglesias die Initiative. Noch am gleichen Tag rief er die Sozialistische Partei (PSOE) auf, eine "Regierung des Wechsels" unter Führung des Generalsekretärs der PSOE, Pedro Sánchez, und mit ihm als Vizepräsident zu bilden.

"Die Möglichkeit, Präsident zu sein, ist ein Lächeln des Schicksals, dem man immer danken muss", lockte er Sánchez. Allerdings sei ihm bewusst, so Iglesias, dass Sanchez "unter einem einen riesigen Druck steht, damit die PSOE nicht mit uns regiert". "Aber die Menschen sind mit dem Wechsel", munterte Iglesias die Sozialisten auf, diesen Schritt zu wagen.

Vereinigte Linke in die Regierung
Die neue Regierung müsse "eine plurale Regierung" werden und proportional entsprechend den Wählerstimmen zusammengesetzt sein, forderte Iglesias. Er erinnerte daran, dass Podemos und die Verbündeten in Katalonien, Galizien und Valencia bei der Wahl am 20. Dezember fünf Millionen Stimmen erzielt haben, nur 300.000 weniger als die PSOE. Auch die knapp eine Million Stimmen für die Vereinigte Linke (IU) würden dafür sprechen, dass diese mindestens einen Minister stellt. Denn es ist so, dass das Wahlsystem die Vereinigte Linke schwer benachteiligt. Während die IU bei der Wahl im Dezember für jeden Abgeordneten 454.012 Stimmen brauchte, reichten bei der PP schon 57.692 für ein Mandat, bei der PSOE 59.697 und bei Podemos 74.164. Also müsse auch die Vereinigte Linke mit Alberto Garzón in die Regierung aufgenommen werden, verlangt der Generalsekretär von Podemos. Alberto Garzón antwortete umgehend via Twitter: "Ich habe mit Pablo Iglesias gesprochen und wir stimmen darin überein, dass es einen Wechsel geben muss. Das Programm voran, siempre."

In der Pressekonferenz betonte Garzón, dass es jetzt nicht um Ministerien gehe, sondern um "konkrete Politik".  Ein Wechsel und der Aufbau einer Alternative sei nicht nur für Spanien wichtig, sondern für ganz Europa. Südeuropa habe sich aufgemacht, um mit der Austerität der EU und der Troika zu brechen und mit Regierungen des Wechsels in Griechenland, Portugal und Spanien könne ein Gegenpol aufgebaut werden. Dafür werde Izquierda Unida - Unidad Polular alles ihr mögliche tun, versicherte der IU-Politiker.

Iglesias: Verhandlungen öffentlich führen
Podemos teilte mit, dass die Gespräche mit der PSOE schon an diesem Wochenende beginnen sollen. Wobei Iglesias darauf besteht, dass die Verhandlungen und der Dialog mit Pedro Sánchez und Alberto Garzón öffentlich geführt werden, "damit Millionen Spanier" diese mittels der Kommunikationsmedien verfolgen können. "Spanien hat es verdient, einen Dialog mit Herzlichkeit gegenüber von Millionen von Zuschauern zu haben, bei dem auf den Tisch kommt, was in diesem Land passieren muss", meint Iglesias.

Podemos stellte auch gleich die Verhandlungsdelegation vor, die auch bereits ein Gespräch mit dem spanischen König geführt hat: Pablo Iglesias (Generalsekretär), Iñigo Errejón (Nummer zwei bei Podemos und Sprecher der katalanischen Parlamentsgruppe Podemos-En Comú-En Marea), Irene Montero (stellvertretende Sprecherin), Carolina Bescansa (Nummer drei der Partei), Xavi Domènech (Sprecher von En Comú, Barcelona), Victoria Rosell (Abgeordnete) und der ehemalige General Julio Rodríguez.

Programmatische Achsen
"Wir werden über die Regierung, die Mannschaft und die Aufgaben sprechen, und wir werden ohne rote Linien debattieren", sagte Iglesias und benannte die Punkte über die Podemos und ihre Verbündeten verhandeln wollen. Innerhalb von 100 Tagen müsse ein Bündel von Dringlichkeitsmaßnahmen auf den Weg gebracht werden, mit denen die Situation von Hunderttausenden verbessert werden: der Zwangsgeräumten, derjenigen denen Strom und Gas abgestellt worden ist, der Wohnungslosen, der Frauen die Opfer machistischer Gewalt sind. Podemos hat diese Vorschläge bereits bei der Konstituierung des neuen Parlaments als "Ley 25 de emergencia social" (Gesetz 25 des sozialen Notstands) eingebracht.

Iglesias benannte programmatische Achsen für die Verhandlungen zur Bildung einer Regierung des Wandels:


Zwar hat sich Sozialistengeneralsekretär Sánchez für den Vorschlag zur Regierungsbildung bei Iglesias bedankt und gesagt "Die Wähler von PSOE und Podemos würden es nicht verstehen, wenn wir uns nicht verständigen könnten", aber die Hindernisse sind trotzdem erheblich.

Eine der schwerwiegendsten Hürden ist die Frage der Anerkennung der Plurinationalität Spaniens und des Rechts auf Referenden über den Verbleib im spanischen Staat bzw. die Unabhängigkeit von Regionen. In Katalonien wurde kürzlich eine Regierung aus konservativen und der nationalistisch-antikapitalistischer CUP gebildet, die die Region in die Autonomie führen will. Für Podemos ist das Ergebnis der Regionalwahl in Katalonien und der Erfolg des Wahlbündnisses Podemos-En Comú-En Marea bei der Wahl am 20. Dezember ein Signal, dass "ein neuer Vertrag über das Zusammenleben" gefunden werden muss. Iglesias: "Es ist selbstverständlich, dass wir das Referendum in Katalonien verteidigen."

"Rote Linien"?
Die PSOE dagegen lehnt das von Podemos geforderte Recht auf Selbstbestimmung für die Bewohner der Konfliktregion Katalonien in der Frage der Unabhängigkeit strikt ab. Das Föderale Komitee der PSOE hat die Orientierung ausgegeben, dass keine Verhandlungen geführt werden dürfen, wenn die Frage des Referendums in Katalonien auf dem Tisch liegt.

Trotzdem müsse dieses Thema keine "unüberwindbare Mauer" sein, meint das katalanische Mitglied der Podemos-Verhandlungsdelegation und Sprecher von En Comú, Xavi Domènech. "Das Referendum ist ein Werkzeug, mit dem die gegenwärtige Blockade aufgehoben werden kann und auf das die Mehrheit der Katalanen am 20. Dezember gesetzt hat", sagt er. "Wenn die PSOE ein besseres Mittel auf den Tisch legen kann, dann werden wir das bewerten. Aber wir kennen es bislang nicht."

Domènech kritisiert, dass das Föderale Komitee der PSOE diese "rote Linie" aufstellt und sich die ganze Debatte darum dreht. Für die katalanischen Abgeordneten sei die Debatte um das Referendum keine "rote Linie", da gebe es seiner Meinung nach "Raum für Lösungen", so Domènech. Die Zustimmung zu einer gemeinsamen Regierung hänge von "vielen Dingen" ab, meint er. Die PSOE müsse z.B. sich äußern zu den neuen Kürzungsforderungen, die von der EU gegenüber Spanien gestellt werden, zu der Forderung nach Rücknahme der neoliberalen Arbeitsmarktreformen, dem Kampf gegen die Ungleichheit, etc. Die sozialen Fragen würden nicht an zweiter Stelle hinter der Frage des Referendums stehen, versichert der Katalane und fügt hinzu: "Wir sind das, woher wir kommen. Vom sozialen."

Unterstützung erhält diese Position unter anderem von der Madrider Abgeordneten Tania Sánchez, für die das Referendum ebenfalls keine rote Linie darstellt. "Die rote Linie ist, dass die Regierung fähig sein muss, die Probleme zu lösen und ein langfristiges Projekt der Veränderung des Landes zu garantieren", meint die ehemalige IU-Politikerin. Auch für die Generalsekretärin von Podemos Andalusien und Sprecherin der antikapitalistischen Strömung, Teresa Rodríguez, steht die soziale Frage bei den Verhandlungen mit der PSOE an erster Stelle.

Für Berlin und Brüssel brechen unruhige Zeiten an. Denn die Entwicklung in Griechenland, Portugal, Spanien zeigt, dass sie darin gescheitert sind, den Menschen die Austerität und den Neoliberalismus als alternativlos zu verkaufen. Der Süden, v.a. die Jugend in diesen Ländern, hat sich auf die Suche nach Alternativen gemacht - und sie zumeist in Form neuer linker Parteien gefunden, die ein sozialeres und demokratisches Europa fordern.

txt: ts


siehe auch: