Wahlbündnis contra Wahlpartei? – ein Diskussionsbeitrag

Drucken

bettina juergensen 2014 412926.06.2014: Wenige Tage vor der ersten Sitzung des EU-Parlaments flattern uns ständig neue  Informationen zu geführten, verworfenen und noch anstehenden  Gesprächen zur Vergabe von Funktionen ins Haus. EU-Europa hat gewählt und linke Kräfte zeigen sich gespalten über das Ergebnis.  Auf der einen Seite gibt es erfreuliche Stimmenergebnisse der linken Wahlbündnisse und Parteien, andererseits gibt es einen dramatischen Zugewinn für rechte, faschistische und rechtspopulistische Parteien. Dies zwingt geradezu zu einer noch besseren Zusammenarbeit linker Kräfte, um der herrschenden Politik in den einzelnen Ländern und in Europa und der weiteren Rechtsentwicklung, etwas entgegenzusetzen.

Wir brauchen mehr gemeinsam erarbeitete Forderungen und Standpunkte. In den Parlamenten und in den  außerparlamentarischen Bewegungen muss mehr gemeinsamer Widerstand entwickelt werden. Wir sollten deshalb diskutieren, welche Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der EU-Wahl 2014 zu ziehen sind, wie der Beitrag linker und marxistischer Kräfte zur Veränderung der Gesellschaft in und außerhalb von Parlamenten aussehen muss.

Die Ergebnisse linker Wahlbündnisse/Wahlparteien, die im EU-Parlament 2014 Teil der Fraktion Europäische Linke/NordischGrüneLinke (GUE/NGL) sind:

Das neue Bündnis "Europa anders" in Österreich konnte über 2,1 % Stimmen auf sich vereinen. Sie haben damit keine Vertretung im EU-Parlament, haben aber mit klarer sozialer und anti-neoliberaler Orientierung, durchaus Wähler*innen mobilisiert.

Eines haben die Wahlbündnisse gemeinsam: sie richten sich gegen die Austeritätspolitik, gegen die Politik der Troika, sie treten auf gegen die Militarisierung, gegen eine Flüchtlingspolitik im Interesse der Profite, sie kämpfen gegen Rassismus und Faschismus, sie fordern ein soziales und demokratisches Europa.

Diese Forderungen wurden, mit Differenzierungen, auch von linken Parteien in diesem EU-Wahlkampf vertreten, u.a.: Bloco de Esquerda (Portugal), KSCM (Tschechien), KKE (Griechenland), Dei Left (Luxemburg) und Akel (Zypern) sind mit Mandaten im EU-Parlament vertreten.

Eine Anzahl von linken und kommunistischen Parteien konnten mit ihrer Eigenkandidatur keinen (in Mandaten oder größerem Stimmenanteil zählbaren) Wahlerfolg verzeichnen, wie z.B. KP-Finnland, PdCI (Italien), KP Luxemburg oder auch die Deutsche Kommunistische Partei.

Eine realistische Einschätzung der politischen Situation gehört vor jede Entscheidung einer politischen Aktion – also auch vor einer Kandidatur. Ebenso gehört Klarheit über die eigene Kraft zum Erreichen des Ziels dazu.
Ein Beispiel:
Nach der EU-Wahl 2009 hatte die DKP u.a. eingeschätzt: „Voraussetzung für ein Antreten der DKP bei überkommunalen Wahlen- mit der Aussicht auf ein einigermaßen akzeptables Wahlergebnis -  sind entwickelte Kämpfe der außerparlamentarischen Bewegungen mit zumindest ansatzweise antikapitalistischem Charakter; Kämpfe, die nicht nur defensiv, sondern zumindest ansatzweise auf gesellschaftliche Veränderungen gerichtet.
So wenig die Krise des Kapitalismus zu einer Linksentwicklung führt, so wenig gibt es auch einen Automatismus, dass sich sozialer Protest und sozialer Widerstand in eine alternatives politisches Projekt transformieren. Dies zu organisieren ist Aufgabe einer Partei - insbesondere einer kommunistischen Partei wie der DKP. (….) Ein sozialistisches Projekt kann nur aus den Auseinandersetzungen und den damit verbundenen kollektiven Lernprozessen erwachsen. Aufgabe einer kommunistischen Partei ist, diese Lernprozesse zu organisieren; (…..) Deshalb sollten wir zwar jedes Mal prüfen, ob wir uns mit eigenen Listen an überregionalen Wahlen beteiligen, die Beteiligung aber erst beschließen, wenn die Bedingungen nach den entwickelten Kriterien dafür reif sind.“ (DKP-PV Juli 2009)

Diese doch sehr selbstkritische Analyse wurde bei der Entscheidung für eine Wahlteilnahme 2014 nicht zu Rate gezogen. Doch es erstaunt, dass nach der Wahl 2014 das Ergebnis von 0,1% eingeschätzt mit: „Es hat sich auch gelohnt, weil das Ergebnis uns auch unsere Schwächen aufzeigt. Das ist ja die Voraussetzung an deren Überwindung zu arbeiten.“ (Patrik Köbele, 30.5.14 UZ).  
Hier wird also die Wahl wird als Barometer und Test für den Zustand der Partei genommen, anstatt vorher Stärken und Schwächen abzuwägen.

Für linke und kommunistische Parteien muss der Kampf um gesellschaftliche Veränderungen, die Verbesserungen der Lebens-, Arbeits- und damit auch Kampfbedingungen der Arbeiterklasse und der Menschen im Vordergrund stehen.  Dieses Kriterium sollte auch für die Teilnahme an Wahlen gelten. Die Entwicklung des außerparlamentarischen Kampfes wird der wesentliche Faktor sein, um in der Gesellschaft Veränderungen hin zu sozialem und demokratischem Fortschritt durchzusetzen. Dazu sind starke Bewegungen notwendig. In diesen mitzuwirken ist Aufgabe linker, kommunistischer Politik.

Die aus sozialen, demokratischen bis hin zu antikapitalistischen Protesten heraus gebildeten Wahlverbindungen in einigen Ländern Europas, wurden anscheinend als wählbare Alternative gesehen. Sie haben in ihren Ländern sicht- und hörbare Proteste mitorganisiert, Forderungen dieser Bewegungen nicht nur aufgegriffen, sondern in den Wahlkampf übertragen und sie haben nicht gegeneinander, sondern miteinander kandidiert.

Sicher, jedes Land hat unterschiedliche wahlpolitische Strukturen, die teilweise sogar mehr Gemeinsamkeit verhindern sollen. Doch auch die politischen Zielsetzungen einzelner Parteien sind nicht immer zusammenführend. Denn auch dort, wo keine gemeinsame Parteienkandidatur möglich ist, wäre ein gemeinsamer Wahlkampf und das gemeinsame außerparlamentarische Auftreten möglich, auch der Wahlaufruf für eine Partei.

In Österreich wird der, wenn auch nicht mit Mandaten, abgeschlossene Wahlkampf so eingeschätzt: „Wir können festhalten, dass wir mit unserer parteiübergreifenden Arbeit gezeigt haben, dass gemeinsam mehr erreicht werden kann und dass der Austausch über Parteigrenzen hinweg nicht nur inspirierend ist, sondern eine neue Dynamik, die die österrreichische Politik dringend braucht, entstehen kann. (Kampagnenteam „Europa anders“ Einschätzung EU-Wahl 8.6.14)

Auch wenn es keinen Automatismus gibt, so kann durch Bündnisse zu Wahlen also auch die  Zusammenarbeit der außerparlamentarischen Bewegungen gestärkt werden.
Und dies ist (s.o.) doch eines der Hauptanliegen linker Politik. Und in diesen Bewegungen die langfristigen Ziele zur Veränderung der Gesellschaft einzubringen, zu diskutieren ist die Aufgabe von Marxist*innen.
Parteien, zumal linke Parteien, sollten sich also mit diesen nicht neuen, aber doch momentan aufstrebenden, Wahlbündnissen befassen. Diese sind anscheinend, unterschiedlich ausgeprägt in den einzelnen Ländern, für einen großen Teil der demokratischen, fortschrittlichen Wähler*innen eine Alternative. Vielleicht auch deshalb, weil sie mehr als Parteien es mit ihren langfristigen Programmen und Zielen tun, die aktuellen Probleme und Forderungen schneller und konsequenter aufgreifen und Kämpfe darum entwickeln.

Zum Abschluss noch einige Zahlen, zur Zusammensetzung der Fraktion der Europäischen Linken/NordischGrüneLinke (GUE/NGL) nach der Wahl 2014:

Aktuell wird von insgesamt 52 Mitgliedern dieser Fraktion ausgegangen, die aus 18 Parteien  bzw. Wahlbündnissen aus 14 Ländern kommen.
In dieser Fraktion sind 9 Wahlbündnisse mit 28  Abgeordneten vertreten.
Aus der Europäischen Linken kommen davon 9 Parteienvertretungen mit 34 MEP´s  (teilweise im Bündnis)
Bisher hatte diese Fraktion GUE/NGL 35 Mitglieder aus 16 Parteien und 12 Ländern
darunter 7 EL – Parteien mit 23 MEP´s.

Eine Stärkung der Fraktion (GUE/NGL) insgesamt, als auch der Parteien, die der Europäischen Linken angehören, wurde also mit den Wahlen 2014 erreicht.

Bettina Jürgensen, Vorstand marxistische linke