In Sorge um die Zukunft meiner Partei

Drucken

Rudi_Christian_mami_216828.02.2013: Im Streikzelt vor Neupack in Hamburg-Stellingen traf ich Rudi Christian, früher langjähriger Betriebsrat in einer Hamburger Werft, der die DKP im Soli-Kreis Neupack vertritt. Rudi hatte sich im Dezember mit einer persönlichen Stellungnahme an die Bezirksmitgliederversammlung in Hamburg gewendet.Sein Schlusssatz: "In Sorge um die Zukunft meiner Partei, der ich nun 40 Jahre aktiv angehöre". Das fand die Zustimmung vieler DKP-Mitglieder aus dem Betriebs- und Gewerkschaftsbereich, und es entwickelte sich daraus die „Stellungnahme aktiver und ehemaliger Betriebsarbeiter, Betriebsräte und Gewerkschafter in der DKP“, die Mitte Februar veröffentlicht wurde. Die Stellungnahme fand vielfache Zustimmung, aber es gab auch Kritik. “Patrik Köbele weist Verleumdungen zurück“, so titelte die Zeitschrift Theorie & Praxis eine Stellungnahme von Patrik Köbele, der Mitherausgeber von T&P ist und der auf dem Parteitag als Parteivorsitzender kandidiert.

Frage: Was ist der Kern deiner Kritik? Die umstrittene Stellungnahme der aktiven und ehemaligen Gewerkschafter“ geht ja auf deine „persönliche Stellungnahme“ zurück.

Rudi: Ich hatte geschrieben, dass es in dem nun schon Jahre dauernden Streit im Kern um ein anderes Programm geht und um eine andere Partei, und keine linke demokratische Organisation dürfe sich eine solche Entscheidung von fraktionellen oder Führungszirkeln aus der Hand nehmen lassen. Eben das bahnt sich jetzt aber an. Die Opposition, die jetzt Anlauf auf die Übernahme von Parteiführung und Parteivorsitz nimmt, vertritt pseudoradikale und sektiererische Positionen und wird, wenn sie ihr Ziel erreicht, unsere Partei für lange Zeit in absolute politische Bedeutungslosigkeit versenken. Das haben wir in unserer Stellungnahme dargelegt und ich hatte das bereits in meiner persönlichen Erklärung an die Hamburger Bezirksleitung detailliert begründet.

Natürlich ist diese Oppositionsfront nicht einheitlich. Deshalb ist auch schlecht auf einzelne Wortmel-dungen der anderen Seite zu antworten. Was sie dennoch eint, ist die Kritik an der alten Parteiführung. Ihr „Programm“ beschränkt  sich darum in erster Linie auf die Ablösung der gegenwärtigen Führung. Ansonsten setzt sie weitgehend auf abstrakte Ziele. Herauszufinden, wie politische Ziele konkret umgesetzt werden können, ist nicht ihr Ding oder endet in untauglichen, realitätsfernen Vorschlägen.

Die Praxis reduziert sich zu oft auf das Fahneschwenken, das Kommentieren-Kritisieren und eine unvermittelte, abstrakte Sozialismuspropaganda. Egal was Sache ist, „Die Lösung heißt Sozialismus“. Praktische Beiträge bleiben jenen überlassen, die ihre Kräfte seit jeher auf die Außenwirkung der Partei konzentrieren. Sollte es daher auf dem 20. Parteitag zu der erwarteten machtpolitischen „Klärung“ kommen, wird sich der Sinkflug der DKP wohl fortsetzen.

Frage: Warum habt ihr zu diesem Mittel der parteiöffentlichen Stellungnahme gegriffen?

Rudi: Sicher hätten Beschlüsse von Grundeinheiten der Partei mehr Autorität als eine Ansammlung von Unterschriften unter ein Positionspapier. Das hätte aber vorausgesetzt, dass eine gründliche Debatte über die „Neuerer-Vorschläge“ der Parteiopposition stattgefunden hätte. Die hat es aber, abgesehen von wenigen Debattenansätzen, nicht gegeben. Die Partei blieb außen vor und musste ohnmächtig zusehen, wie über sie hinwegagiert wird. Unsere parteiöffentliche Stellungnahme ist darum auch als Versuch zu verstehen, die Parteibasis wieder in ihr Recht zu setzen und innerparteilich Demokratie wieder herzustellen. Selbstverständlich geht es uns aber in erster Linie um die Zurückweisung von mittlerweile weit verbreiteten linksopportunistisch, dogmatischen Positionen, die das Profil der DKP verzerren und die politische Arbeit der Parteibasis zunehmend belasten

Die große Zustimmung, die unsere Stellungnahme aus der Partei und besonders von den angefragten politikerfahrenen Gewerkschaftern erhält, zeigt doch, wie sehr eine Zurückweisung sektiererischer Kräfte vermisst wurde. Wenn andere das als illegitime Einmischung betrachten und als zusätzliche Zuspitzung vor dem Parteitag kritisieren, sehe ich die Gefahr darin, dass man den Dingen ihren Lauf lässt. Meiner Meinung ist es bereits 5 nach 12.

Frage: Was hältst du von Patrik Köbeles Antwort und seinem Vorwurf, ihr hättet ihm Positionen unterstellt, die er gar nicht habe.

Rudi: Wir haben keine Stellungnahme zu Patrik Köbele verfasst, sondern eine Parteiströmung kritisiert. Wenn Patrik meint, diese Kritik auf sich beziehen zu müssen, liegt er allerdings nicht weit daneben. Gerade in den zentralen Fragen der Gewerkschaften, der Bündnis- und Aktionseinheitspolitik, der Rolle von Reformen, in der für seine Anhänger so typischen KKE-Affinität, aber auch in der Bewertung unserer Geschichte sind klare, stimmige Positionen gefordert, die er und sein Anhang samt ihrer Zentralorgane „Berliner Anstoss“ und „T&P“ nicht haben.

Frage: Kannst Du das belegen?

Rudi: Ja. Bestes Beispiel ist Patriks “linke“ Ignoranz“ in der Gewerkschaftsfrage. Lassen wir doch Tatsachen sprechen an Stelle seiner vorgetragenen Lehrbuchweisheiten!

Konkret seine Verteidigung der Einmischung der Berliner Bezirksorganisation in die Betriebsratswahlen bei Benz-Marienfelde zugunsten einer Spalterliste und gegen eigene Genossen in der betrieblichen Gewerkschaftsführung. Patrik verweist da auf eine „Ausnahmesituation“, wie „zigfach ausgeführt wurde“. Weder das eine noch das andere trifft zu. Das Ergebnis wurde schamvoll verschwiegen.

„Ausnahmesituation“ stimmt nur insofern, dass die DKP sich noch nie vorher in dieser Weise in innerbetriebliche und innergewerkschaftliche Entscheidungen eingemischt hatte. Erst recht nicht zugunsten einer Liste, der bis zuletzt Plätze auf der offiziellen Gewerkschaftsliste angeboten waren, die aber meinte, mit Unorganisierten und mit utopischen Forderungen eine eigene Mehrheit gegen die Gewerkschaft zu erreichen.

Patrik schreibt: „Mit der Geschichte zu den oppositionellen Listen bei BR-Wahlen baut ihr einen Popanz auf.“ Die Unterstützung dieser Liste, die neben der 100-prozentigen Bezahlung der Kurzarbeit (Mercedes zahlte schon 90% statt der gesetzlichen 60/63%) die bezahlte Freistellung der Belegschaft bei den WM-Spielen der deutschen Mannschaft forderte, bedarf eigentlich keines weiteren Kommentars. Da nutzt auch der Hinweis von Patrik nichts, er sei selbst mal Interessenvertreter gewesen. Solche Fehler machen eigentlich nur politisch Unerfahrene.

Aber es handelt sich auch nicht um einen einmaligen Ausrutscher. In der von Patrik mitverfassten 84er-Plattform werden Parteigruppen aufgefordert, in solcher Art und Weise „auch von außen in betriebliche Abwehrkämpfe ein.(.zu)greifen.“

Frage: Deine Kritik in Sachen Bündnis und Aktionseinheit? Ein zentraler Streitpunkt scheint die KKE-Orientierung zu sein. Patrik wirft euch u. a. mangelnden Respekt vor einer Bruderpartei vor.

Rudi: Ja, und er wird dabei unterstützt von Willi Gerns, den wir doch alle wegen seiner Verdienste für die Partei schätzen. Tatsächlich aber muss man Überschneidungen von Programm und Politik beider Parteien mit der Lupe suchen. Ich habe dazu im Einzelnen bereits Stellung genommen. Um es aber noch einmal ganz deutlich zu sagen: Aus meiner Sicht impliziert die bis in den Parteivorstand verbreitete unkritische Zustimmung zu Politik und Programm der KKE eine Absage an das Programm der DKP!

Zu allem Überfluss hat diese Partei die Beschimpfung aller denkbaren Bündnispartner in Griechenland und auch unserer Bruderparteien in Europa zum Politikstil entwickelt. Dazu zwei Beispiele. Da qualifizierten KKE-Funktionäre der Gewerkschaft PAME ein Treffen des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Athen wie folgt: „Diese Organisation steht als einer der Hauptgegner der Arbeiterklasse da. Diese Kaste aus angeblichen Gewerkschaftern, diese Stützen der multinationalen Konzerne sind in unserem Land unerwünscht.“ Der Chefideologe der KKE, Giorgos Marinos, sagte über die Europäische Linkspartei, in der die DKP einen Beobachterstatus innehat, sie sei “aus den Exkrement der EU hervorgegangen“. Was soll da Patriks Lamento von wegen „undifferenzierter Kritik und fehlendem Respekt vor einer „Bruderpartei“?

Ganz nebenbei gefragt: Hat Patrik bereits vergessen, wie mühsam wir uns nach dem Kollaps der real-sozialistischen Staaten von der Tabuisierung jeglicher Kritik an unseren östlichen Bruderparteien emanzipiert hatten? Wie mühsam der Weg zurück zu leninschen Grundsätzen in Sachen Kritik war? Vielleicht sollte er noch einmal nachdenken über den Verlust an Eigenständigkeit und politischer Akzeptanz, den die DKP durch dieses Tabu erlittenen hat. Er wirkt nämlich bis heute.

Frage: Eure Differenzen in Sachen Reformen ?

Rudi: Wir haben insbesondere kritisiert den „Verzicht auf alles, was heute als machbar erscheint“, wie z.B. die in der Bevölkerung populäre Forderung nach Verstaatlichung der großen Finanzinstitute. Aber das rangiert bei Patrik und 84ern stereotyp unter „Verbreitung von Illusionen in den bürgerlichen Staat.“ Das sei im Kapitalismus nicht drin und würde im Ernstfall den Einsatz von Polizei und Militär auslösen.

Mal abgesehen von dieser künstlichen Dramatisierung hätte ein Blick in unsere Nachbarländer genügt, um Patrik von der Unhaltbarkeit dieser These zu überzeugen. Frankreich hat unter drei unterschiedlichen Regierungen seine Banken jeweils in Staatseigentum überführt (Heute 91%). Angefangen bei der Volksfront 1936 über die Regierung de Gaulle 45/46 bis zur sozialistischen Regierung Mauroy 1981/82. Auch die großen Rüstungskonzerne Matra und Dassault wurden in Staatshand gezwungen, mit dem Ergebnis, dass Frankreich heute einen dreifach größeren öffentlichen Sektor besitzt als Deutschland. Ebenso groß ist der Verstaatlichungsgrad in Italien, wiederum um das Doppelte übertroffen von Österreich.  Von Eingriffen des Militärs war nichts zu hören. Wieweit das auf die Politikbestimmung bisher Einfluss gebracht hat, ist eine andere Frage. Deshalb fordern wir ja auch nicht nur Verstaatlichung sondern Vergesellschaftung und gesellschaftlicher Kontrolle. Ein Schritt in Richtung einer möglichen zukünftigen Vergesellschaftung ist es allemal.

Ausserdem: Folgte man der Argumentation Patriks (und der 84er-Plattform) gegen die Verstaatlichung der großen Finanzinstitute (Banken, Fondsgesellschaften, Versicherungen), würde das auch den Kampf gegen Privatisierungen als unsinnig erscheinen lassen. Das wäre ein Bruch mit unserer bisherigen Politik.

Es wäre nützlich, wenn Patrik diese einfachen Tatsachen für seine Reformüberlegungen  heranzöge.

Frage: Ihr sprecht von einem „neuen Faible“ für die Stalinfrage. Patrik moniert, ihr hättet das nicht belegt.

Rudi: Da hat er Recht. Aber das war eine Platzentscheidung, die ich gerne korrigiere.

Einige Genossinnen und Genossen werden sich erinnern an die Erklärung der DKP zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Die Mitglieder des PV-Sekretariats, Wera Richter und Patrik Köbele, weigerten sich zu unterschreiben, weil darin die katastrophalen Fehler zu Kriegsbeginn ange-sprochen waren.

Die blutige Dezimierung der Armeeführung, Stalins Fehleinschätzung über den Beginn der Angriffshandlungen und sein militärischer Dilettantismus ( Marschall Shukov: „Er war und blieb ein Zvilschnauber“ ) brachten die SU an den Rand einer Niederlage. Sie kosteten Millionen Menschen das Leben und führten in wenigen Wochen zum Verlust fast der gesamten im Westen stationierten Militärtechnik. Aber was in der einschlägigen Literatur, unter Historikern und Stalinbiographen als unumstritten gilt, wollten diese beiden als „offene Fragen“ behandelt wissen und verlangten die Streichung des Passus. In seiner Antwort  auf unsere Stellungnahme stellt Patrik das als Konsequenz seines „ materialistisch-dialektischen“ Herangehens dar. Ich meine, etwas mehr historische Kenntnisse würden es auch tun. Und vor allem ein wenig politischer Realismus. Im „Berliner Anstoss“ wird der PV-Antrag wie folgt kritisiert: „Die Bewertung der Rolle Stalins in der Anfangsperiode des Krieges ist antistalinistisch und identisch mit der unsres Gegners. Warum haben … Fragen/ Überlegungen keine Rolle gespielt wie: Waren die Repressalien vor Beginn des Krieges nicht Voraussetzung und Bedingung für Zerschlagung des Faschismus?“

Würde in der DKP die in Beiträgen des “Berliner Anstoss“ und der T&P oft anklingende These akzeptiert, dass die maßlosen Verbrechen der Stalinzeit einer “historischen Notwendigkeit“ unterlagen, würde das wohl das endgültige Aus für unsere Partei provozieren.

Frage: Vierundachtziger-Plattform, „Berliner Anstoss“ und „Theorie & Praxis“ sind anscheinend nicht deine Favoriten?

Rudi: Nee, eine Lieblingslektüre sieht anders aus. „Im Grunde“, das schrieb mir ein Genosse, der nicht zum Unterzeichnerkreis gehört, “fehlt da die rationale Vorstellung, wirklich materielle Veränderungen erreichen zu können, wenn es gelingt, das Gewicht einer großen Menge für eine, vielleicht nicht sehr bedeutende Verbesserung zu mobilisieren.“

Ich füge dem hinzu, es fehlt auch die rationale Vorstellung, dass Fingerübungen in Sachen Marxismus-Leninismus nicht zur Leitung einer kommunistischen Partei befähigen.

Das Gespräch führte Michael Maercks