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Aufruf - Für neue Initiativen und neue Bündnisse im Kampf um den Frieden

 

Die Coronakrise und die Verschärfung der geopolitischen Konfrontation mit all ihren Konsequenzen lehren uns in aller Deutlichkeit, dass es nur diese eine Welt gibt und dass diese Welt ihre Probleme nur gemeinsam und friedlich lösen kann. Was wir brauchen, ist die vereinte Kraft aller Friedenskräfte zur Entmilitarisierung des traditionellen Sicherheitsdenkens. Die neuen globalen Herausforderungen lassen sich nicht mit Streitkräften lösen. Die Dominanz des Militärischen im Sicherheitsdenken ist heute selbst zum Sicherheitsrisiko geworden.

Tief besorgt angesichts der multidimensionalen Krise rufen wir, ehemalige Diplomaten, Abgeordnete, Hochschullehrer und Offiziere - als Mitglieder des Gesprächskreises Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung - alle Friedenskräfte zu einem neuen Dialog im Kampf um den Frieden auf.

In diesem Kampf stellt sich die Aufgabe, unter den neuen, komplizierteren Bedingungen der 2020er Jahre parlamentarische und außerparlamentarische Mehrheiten zu organisieren. Das wirft unweigerlich die Frage nach neuen Bündnissen auf - und auch die Frage, wie man solche Bündnisse schaffen kann, ohne politische Grundpositionen preiszuggeben.

Der entscheidende Ansatz hierfür besteht im Verständnis der Komplexität des Problems und im Verständnis der außerordentlichen Differenziertheit der Friedenskräfte. Für den Frieden sind breiteste Kreise der Bevölkerung mobilisierbar. Lösungen sind nur durch gemeinsame Anstrengungen über die Parteigrenzen hinweg erreichbar.

Dabei sollte auf bewährte Erfahrungen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre zurückgegriffen werden. Bei der Auseinandersetzung um den sog. Nachrüstungsbeschluss der NATO hat es die Friedensbewegung – insbesondere mit dem Krefelder Appell aber auch beim Olaf-Palme-Friedensmarsch - verstanden, das Instrument des „Minimalkonsenses“ mit großer Flexibilität zu handhaben.[1]

Ausgehend von diesen Erfahrungen, schlagen wir vor, vorrangig solche Ziele zu finden und in den Vordergrund zu stellen, an denen sich Friedenskräfte in einer großen Vielfalt orientieren können - wo also Kooperationen am ehesten Erfolg versprechen. Wir halten für ein solches Herangehen insbesondere folgende Aktionsfelder und Themen am ehesten geeignet:

Erstens: Potenzielle Kooperationspartner sind vor allem jene Kräfte und Bewegungen, die sich den mehr oder weniger neuen, existenziellen Herausforderungen der Menschheit als Ganzes stellen, also dem menschengemachten Klimawandel und den damit für die Menschheit drohenden Gefahren, dem Ressourcenproblem, der ungleichmäßigen demografischen Entwicklung und insbesondere der zunehmenden sozialen Differenzierung innerhalb und zwischen den Staaten und Weltregionen. All diese Herausforderungen sind untrennbar mit der Friedensfrage verbunden. Fehlentwicklungen in diesen Bereichen haben das Eskalationspotenzial zu Chaos, zu Flucht und Vertreibung bis hin zu militärischen Konflikten. Die Friedensfrage ist das einigende Band, das all diese komplexen Probleme, alle Teile der Bevölkerung und auch die verschiedenen Gruppierungen miteinander verbinden kann.

Zweitens: Die entscheidenden Gefahren für Frieden und Stabilität in Europa gehen gegenwärtig von der Existenz und Politik der NATO aus, dieder ökonomische Theoretiker Samir Amin nicht zu Unrecht die „eiserne Faust des westlichen Imperialismus“ genannt hat. Hinter der NATO stehen einflussreiche Kräfte des Militär-Industrie-Komplexes aus den USA und Westeuropa, die von einem Anheizen der Spannungen und der Konfrontation profitieren und die ihre geostrategischen Machtinteressen gegenüber aufstrebenden Mächten durchsetzen wollen und diese wie im Falle Chinas und Russlands als politische und militärische Gegner angesehen werden. Das Dilemma der Friedensbewegung besteht aber darin, dass die NATO von einer Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und Europa eher als Sicherheitsfaktor wahrgenommen wird. Insofern muss es den Friedenskräften insbesondere darum gehen, die offensichtlichen Lügen, Verleumdungen, Manipulationen, Völkerrechtsverstöße, Widersprüche und realen Auswirkungen der NATO-Politik aufzudecken. Forderungen nach Auflösung der NATO oder Austritt aus ihrer Militärorganisation scheinen gegenwärtig in Deutschland nicht mehrheitsfähig. Wichtiger ist es, sicherheitspolitische Alternativen zur NATO als Ganzes bzw. zu einzelnen Aktivitäten zu entwickeln, die in den weiteren Aktionsfeldern und Themen angesprochen werden sollen. Wir warnen in diesem Zusammenhang vor der Illusion einer militarisierten EU: Diese wird kein Friedensfaktor sein, sie wird die Aufrüstung nur effektiver gestalten.

Drittens: Mehr denn je ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und dem transatlantischen Westen die Schlüsselfrage für Frieden, Sicherheit und Stabilität in ganz Europa. Sicherheit in Europa kann und darf es nicht gegen sondern nur gemeinsam mit Russland geben (Egon Bahr). Die NATO benötigt und benutzt das „Feindbild Russland“ zur Begründung und Rechtfertigung ihrer eigenen aggressiven Politik. Besonders die USA haben großes Interesse an der Verhinderung einer deutsch-russischen bzw. westeuropäisch-russischen Partnerschaft. Es ist die Furcht vor einem starken „eurasischen Block“, die zur permanenten Dämonisierung Russlands und seines Präsidenten als Verkörperung des „Bösen“ benutzt wird. Deshalb eine Politik der ständigen Provokationen Russlands durch die NATO und die Darstellung seiner legitimen Schutzmaßnahmen als aggressiv. Nicht Russland ist an die Grenze der NATO vorgerückt, sondern die NATO bis an die Grenzen Russlands. Dabei hat sich die NATO von 16 auf 30 Mitgliedsländer erweitert. Der Rüstungshaushalt der NATO beträgt gegenwärtig fast das Zwanzigfache von dem Russlands.[2]

Russland selbst will Partnerschaft auf Augenhöhe und keine Politik der Konfrontation, erst recht keinen Krieg mit dem Westen. Russland braucht alle Kraft zum Aufbau seiner Wirtschaft und zur sozialen und politischen Entwicklung seiner Gesellschaft. Deshalb verweigert es sich auch einer neuen Runde des Wettrüstens. Es gibt gute Grundlagen für eine Überwindung der feindseligen „Politik der Stärke“, die die Verteidigungsministerin der Bundesrepublik gegen Russland als „gute Tradition“ zu beschwören versucht. Deutschland hat starke Wirtschaftsinteressen in Russland und traditionell enge kulturelle Verbindungen mit diesem Land – und das keineswegs nur über die östlichen Bundesländer. Wer in Europa Frieden will, muss neu anknüpfen an den Grundsätzen der KSZE und der Charta von Paris.

Viertens: Ein eigenständiges Aktions- und Themenfeld ist die Auseinandersetzung mit der Gefahr eines Kernwaffenkrieges. Diese Problematik hat in der letzten Zeit dadurch an Brisanz gewonnen, dass die vorhandenen Waffensysteme modernisiert und effektiver gemacht worden sind. Es wurden qualitativ neue Trägersysteme entwickelt; es vollzog sich eine Tendenz zur Miniaturisierung von Kernwaffen und zur Automatisierung der Entscheidungsprozesse. Gleichzeitig sind die bisher bestehenden Vertragssysteme zwischen Russland und den USA zur Rüstungskontrolle und -begrenzung faktisch außer Kraft gesetzt worden. Der einzige wirkliche Abrüstungsvertrag - INF-Vertrag über das Verbot von Mittelstreckensystemen in Europa - wurde von den USA und in der Folge auch von Russland gekündigt. Für Deutschland ist vor allem von Bedeutung, dass die Stationierung US-amerikanischer Nuklearbomben in Büchel aufrechterhalten und diese Bomben modernisiert wurden. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach einer Beschaffung neuer Trägerflugzeuge für die Luftwaffe. Deutschland ist zwar völkerrechtlich zum Verzicht auf Kernwaffen verpflichtet, ist aber über die „nukleare Teilhabe“ in die nukleare Bedrohungspolitik der NATO eingebunden. Diese „Teilhabe“ verstößt jedoch eindeutig gegen den Nichtweiterverbreitungsvertrag und den Zwei-Plus-Vier-Vertrag, und ist daher völkerrechtswidrig. Gleichzeitig besteht aber gerade in der Ablehnung der Stationierung von Kernwaffen auf deutschem Boden und in der Kritik der nuklearen Abschreckung ein starker Konsens in der Friedensbewegung - wie in der deutschen Bevölkerung insgesamt. Beachtenswert ist dabei gegenwärtig besonders ein kritischer Neuansatz in der SPD zur „nuklearen Teilhabe“. Gerade in der Kernwaffenfrage gibt es in Deutschland ein traditionell kritisches Potenzial für gemeinsame Protestaktionen, wie z.B. gegen die Stationierung und Modernisierung der Kernwaffen in Büchel.

Fünftens: Die real vorhandene Grundstimmung in der Bevölkerung gegen Kernwaffen sollte mit einer konstruktiven Haltung zur Abrüstung und Rüstungsbegrenzung verbunden werden. Faktisch ist das Gesamtsystem der vertraglich vereinbarten Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung auf konventionellem wie nuklearem Gebiet zusammengebrochen. ABM-Vertrag, INF-Vertrag, Open Sky und der Iran-Deal wurden einseitig durch die USA aufgekündigt. Das KSE-Abkommen der Wiener Konferenz über die Begrenzung der konventionellen Bewaffnung wurde nie rechtskräftig, da es die NATO-Staaten nicht ratifiziert haben. Die sog. Steinmeier-Initiative von 2016, die über die OSZE zu einer Neubelebung der konventionellen Rüstungskontrolle führen sollte, verlief im Sande. Auch das System der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) ist ins Stocken geraten. Ein Neustart des Gesamtsystems von politischem Dialog, Abrüstung und Rüstungskontrolle ist dringend erforderlich. Die Verlängerung von START 3 um ein Jahr kann als Signal realpolitischer Möglichkeiten gewertet werden. Notwendig ist dabei auch die Aufnahme neuer nichtnuklearer Technologien in ein umfassendes Rüstungskontrollsystem, wie vollautomatische Führungs- und Leitsysteme, Kampfdrohnen und Systeme für den Cyberwar. Eine neue Entspannungspolitik ist aber nur realistisch, wenn es zu neuen parteiübergreifenden Initiativen und zu einem gesellschaftlichen Konsens kommt. Ein Ansatzpunkt könnte der Termin des Inkrafttretens des Kernwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen Ende Januar 2021 sein. Die NATO hat in ihrer politischen Erklärung vom 15. Dezember 2020 bereits angekündigt, diesen Vertrag ignorieren zu wollen. Das sollte als Auslöser für eine breite Protestkampagne und Masseninitiative gegen Atomwaffen und zur Forderung nach einem Neustart des Prozesses der Rüstungskontrolle und Abrüstung genutzt werden.

Sechstens: Insbesondere der Kernwaffenverbotsvertrag verweist auf das Potenzial des Völkerrechts und der Organisation der Vereinten Nationen für den Friedenskampf. Das Verbot von Kernwaffen ist zwar derzeit nur für 51 Staaten zwingendes Völkerrecht und kann aufgrund der Ablehnung durch die Kernwaffen besitzenden Staaten nicht voll wirksam werden. Das spricht nicht gegen die UNO, sondern nur für die Notwendigkeit ihrer Stärkung. Es geht um die Durchsetzung des Rechts und nicht um das Recht des Stärkeren. Es geht um die Kraft der Generalversammlung und aller Institution der UNO. Dabei sind wir uns sehr wohl der Ambivalenz und Interpretierbarkeit des Völkerrechts bewusst. Insofern steht damit die Auseinandersetzung mit der Anwendung von Doppelstandards und Versuchen des Missbrauchs des Völkerrechts auf der Agenda für gemeinsame Aktionen.

Siebentens: Europa braucht als Alternative zur NATO eine neue Friedensordnung und eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur, die alle Europäischen Länder umfasst – wobei Nordamerika durchaus eingeschlossen sein kann. Einen völkerrechtlichen Ansatzpunkt hierfür bildet die OSZE mit ihrer Charta von Paris (1990), die in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen (1949) und der Schlussakte von Helsinki (1975) die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, sich jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten. Es sind die im KSZE-Prozess und in der Charta von Paris festgeschriebenen Erfahrungen, die die Staaten Europas zur Kooperation auf der Basis der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung der Souveränität verpflichten. Das ist eine gute Grundlage für eine starke parteiübergrei­fende und von großen Teilen der Bevölkerung getragene Bewegung, die sich aktiv gegen jegliche Konfrontationspolitik einsetzt. Mag gegenwärtig eine spezielle europäische Sicherheitsarchitektur noch Vision bleiben, es geht vor allem um die Praktizierung bewährter Prinzipien, die die Grundlage gemeinsamen Handelns sein können.

…..

Wir rufen hiermit alle an Frieden und Stabilität interessierten Kräfte in Deutschland dazu auf, diesen Aufruf für neue Initiativen und neue Bündnisse zu unterstützen und mit ihrer Unterschrift zu bekräftigen. Das Gebot der Stunde ist gemeinsames Handeln über alle parteipolitischen, sozialen und weltanschaulichen Unterschiede hinaus.

Friedenspolitik und Friedensbewegung müssen heute damit beginnen, sich konsequent mit jeglicher Konfrontationspolitik auseinanderzusetzen, da hier der Ausgangspunkt für die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation bis hin zum Krieg liegt.

PD Dr. Johannes M. Becker, Prof. Dr. Lutz Kleinwächter, Prof. Dr. Karin Kulow, Prof. Dr. John P. Neelsen, Prof. Dr. Norman Paech, Prof. Dr. Werner Ruf, Prof. Dr. Wilfried Schreiber, Dipl. Staatswiessenschaftler Achim Wahl

Berlin, 08.02.2021

Initiativgruppe aus dem GK Frieden der RLS

Co:   wahl_achim@yahoo.de oder

  john.neelsen@uni-tuebingen.de


[1] Der „Minimalkonsens“ bestand in der Einigung auf den kleinsten gemeinsamen, aber für die Erreichung des Ziels erforderlichen Nenner. Dieses Ziel hieß: „Keine Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles in der Bundesrepublik“. Die Prinzipien des „Minimalkonsenses“ waren: Keine Mitgliedschaft in der Kooperation, dafür offene Plenen; Keine Abstimmungen, dafür Konsensfindung; Überparteilichkeit.

[2] Nach dem SIPRI-Jahrbuch von 2020 betragen die Rüstungsetats 2019 der USA allein 732 Mrd. und der NATO 1040 Mrd. $, während der Haushalt Russland bei 65 Mrd. $ liegt.

Die Pandemie verschärft die Krisenerscheinungen des Kapitalismus, der Kapitalismus verschärft die durch die Pandemie entstandenen Probleme

Einführung Treffen Netzwerk kommunistische Politik

Werner Hensel (nicht alles ist ausformuliert, es gilt das gesprochene Wort)

31. Januar

Fast ein Jahr "Corona-Krise" vergrößert die Ungleichheit in fast allen Bereichen, macht systembedingte Mängel deutlich.

Einige Beispiele für diese Thesen:

Mängel im Gesundheitswesen, welches auf Gewinn-Maximierung getrimmt wurde, werden deutlicher:

  • zu geringe Kapazitäten in (Intensiv-)Pflege, besonders personell
  • mangelnde sachliche Vorsorge - Schutzausrüstung war zu gering vorhanden, Maskenversorung . . .
  • Corona-Prämie - kam wegen mangelhafter Regeln nur bei einem Teil der Pflegekräfte an. Nur dank der kämpferischen Tarifrunde von ver.di hat sich die Bezahlung verbessert. Von einer angemessenen Bezahlung und von erträglichen Arbeitsbedingungen weit entfernt. Kein Anreiz für "Rückkehrer".
  • Krankenhaus-Schließungen - Das Bündnis Klinikrettung schrieb Ende 2020: "In Deutschland werden zum Jahresende zwanzig Krankenhäuser geschlossen sein, doppelt so viele wie im Durchschnitt der letzten Jahre. Betroffen sind im Corona-Jahr 2.144 Betten und circa 4.000 Stellen."

Bertelsmann-Stiftung und Co. verfolgen ihre Pläne weiter. Weiteren Krankenhäusern droht in 2021 die Schließung.

Impfungen:

Impfstoffe werden nach dem Marktprinzip verkauft. Wer viel zahlt, erhält viel. Als einen Grund für die gute Versorgung Israels mit dem Impfstoff nannte die Tagesschau, dass Israel 23 Euro pro Dosis zahlt gegenüber 12 Euro, die die EU zahlt.

(freitag, 3. 12. 2020): "Die reichen Länder sind dabei, sich große Mengen zu sichern. Nationen, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, haben sich schon die Hälfte der Produktion unter den Nagel gerissen. Das Nachsehen haben die Länder des globalen Südens, aber auch Nicht-EU-Staaten auf dem Westbalkan.

Biontech/Pfizer, um nur ein Beispiel zu nennen, hat von den 1,3 Milliarden Impfdosen, die 2021 produziert werden können, mittlerweile mehr als 570 Millionen an die EU und die USA verkauft, 1,2 Milliarden sind fest zugesagt. Schon im September hatten die USA, die EU, Australien, Großbritannien und die Schweiz Verträge über 5,3 Milliarden Impfdosen abgeschlossen, weitere 2,6 Milliarden gehen an Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder China. Für alle übrigen bleibt die Restpfütze. Die von Covax Afrika zugesicherten 220 Millionen Impfdosen, die meist doppelt verabreicht werden müssen, sind für die 1,3 Milliarden Menschen umfassende Bevölkerung ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Ungerechtigkeit schreit zum Himmel, umso mehr als gerade Länder wie Brasilien, Bolivien oder Peru zu Testlaboren für Impfstoffe ausgebaut wurden und dort Menschen als Versuchskaninchen herhalten müssen."

Einem Minister fällt nichts besseres ein als Bettelei:

"Engagiert Euch für mehr Impfstoff für die Ärmsten!" Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) appelliert gegenüber der Rheinischen Post (Donnerstagausgabe) »insbesondere« an Coronakrisengewinner wie Amazon, Facebook oder Google.

Angesichts mangelnder Impfstoffe kommt die Diskussion in Gang:

Tagesschau, 21. 1. 21: "Ärzte ohne Grenzen etwa wirft den Konzernen vor, dass sie selbst inmitten einer globalen Pandemie "an ihrem Business-as-usual-Ansatz der Profitmaximierung" festhielten. Die Organisation erklärte, die Pharmaindustrie behaupte immer wieder fälschlicherweise, dass erst geistige Eigentumsrechte den Durchbruch für Covid-19-Impfstoffe und -Medikamente gebracht hätten. Tatsächlich seien aber Steuern in Milliardenhöhe und Geld von Stiftungen die Haupttreiber der beispiellosen Forschungsanstrengungen zu Covid-19, so Ärzte ohne Grenzen.

Suerie Moon vom Global Health Centre fordert Impfstoffe als "globales öffentliches Gut" zu teilen. Und weist darauf hin, dass die Forschungsgrundlagen für die schnelle Corona-Impfstoff-Entwicklung jahrzehntelang an öffentlich finanzierten Universitäten geschaffen worden seien."

Nicht nur bei der Impfstoff-Verteilung herrscht Ungleichheit:

"Corona verschärft die Armut", heißt es in Nachrichten, verschwiegen wird, dass Corona die Reichen reicher macht. Wer Armut beklagt, muss über Reichtum sprechen!

Börsenkurse Dax und DowJones auf Rekordniveau!

Aus einem Bericht der Tagesschau vom 29. 12. 2020: "Trotz der Pandemie haben wir ein großartiges Jahr hinter uns. Viele Leute haben einen Haufen Geld verdient - auch die Unternehmen. . . Diese Milliarden Dollar, die auf der Seite liegen, müssen investiert werden. Großartiges Jahr für Spekulanten."

Die andere Seite: Besonders Geringverdiener in Gastronomie im Handel in der Veranstaltungsbranche leiden, Kurzarbeiter müssen sich einschränken. Solo-Selbständige, Kulturschaffende, Honorarkräfte beklagen fehlende Perspektive.

Galeria-Kaufhof-Eigner Rene Benko lässt sich 200 Mio Euro Dividende auszahlen. Die Bundesregierung will ihm jetzt mit 460 Mio. Euro "helfen". 4000 entlassene Kaufhaus-Beschäftigte gucken in die Röhre.

BMW schüttete mitten in der Pandemie 1,6 Mrd. aus, schickte 30.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit und verlangte gleichzeitig Kaufprämien.

Zusammengefasst: Die Reichen werden reicher, die Armen zahlreicher.

Auch die Diskussion darüber kommt in Gang. Die Kritik wird lauter.

Der Oxfam-Bericht war Thema in Nachrichten-Sendungen.

Der Aufruf von 36 deutschen Gewerkschaften und Sozialverbänden "Soforthilfen für die Armen - jetzt" stellt die richtigen Forderungen.

Die ver.di-Petition für Mindestkurzarbeitergeld von 1200 € findet Zustimmung.

Sebastian Wertmüller von ver.di Braunschweig: "Der erneute Lockdown stellt Beschäftigte vor viele Herausforderungen: Kinderbetreuung aufgrund geschlossener Kitas, Anforderungen an ein „Homeschooling“ bei Erwerbstätigkeit und schlechten technischen und didaktischen Voraussetzungen, Infektionsgefahren in öffentlichen Verkehrsmitteln und am Arbeitsplatz etc. Er fordert, dass Betriebe und Verwaltungen im Dienstleistungsbereich zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um der Infektionsgefahr zu begegnen: „Es ist vernünftig, im privaten Bereich auf Distanz und möglichst wenige Kontakte zu achten. Das gilt für die Arbeitswelt aber auch!“

Die Corona-Krise verschärft die Ungleichheit im Bildungswesen.

Die Mängel im Bildungswesen - personell und materiell unzureichende Ausstattung - werden deutlicher.

Zu große Klassen, heruntergewirtschaftete Gebäude, in denen sich manchmal keine Fenster öffnen lassen. Kein Geld für Lüftungsanlagen . . .

Homeschooling verschärft die Bildungsungerechtigkeit. Kinder die in beengten Wohnverhältnissen leben, nicht über einen eigenen Computer verfügen, deren Eltern sie nicht ausreichend fördern können, werden "abgehängt".

Konzentration in der Wirtschaft wird beschleunigt:

Die absehbare Pleitewelle ist die eine Seite der Medaille, die andere sind die wachsenden überlebenden Unternehmen - wie in jeder Krise des Kapitalismus!

Ein Beispiel: Karstadt-Kaufhof macht Kaufhäuser zu - Amazon expandiert.

Die Pleitenwelle wird die Vernichtung vieler tausend Arbeitsplätze nach sich ziehen.

Anhaltende Kurzarbeit, angekündigter Personalabbau (Dresdner Bank, H&M) erzeugen Existenzangst.

Dies und die durch die Digitalisierung eintretenden Veränderungen (Stichwort Transformation)schaffen Verunsicherung, die durch die Pandemie verstärkt wird.

Eine kämpferische Metall-Tarifrunde unter diesen Bedingungen ist sehr kompliziert. (Dazu mehr in der Diskussion.)

Arbeitgeber machen mobil gegen Arbeitnehmer-Rechte

Erinnerung: Gruselkatalog von Gesamtmetall vom Mai 2020 . . . Stichworte daraus: Experimentierraum Arbeitszeit, Mütterrente und Rente mit 63 abschaffen, Mindestlohn-Dokumentationspflicht abschaffen usw.

H.J. Urban fasste das in der Veranstaltung der MESt am 21. 11. 20 so zusammen: "Die Unternehmen holen aus den Schubladen alte Rationalisierungs- und Ökonomisierungskonzepte raus, versuchen sie umzusetzen in der Hoffnung, dass die Gunst der Stunde genutzt werden kann und mittlerweile skandalös hohe Entlassungen oder Lohneinschränkungen Akzeptanz in der Gesellschaft finden, weil ja angeblich die große Krise das erfordert. Unter dem Deckmantel dieser allgemeinen Krisenwahrnehmung wird also versucht schlicht und einfach Klassenpolitik zu betreiben."

Die Coroan-Krise gefährdet demokratische Rechte

Unter dem Stichwort "Stunde der Exekutive" wird eine Verordnungspolitik praktiziert. Die Rechte der Parlamente werden missachtet.

Grundrechte sind eingeschränkt, in welchem Umfang das Bestand haben wird, hängt von uns ab.

Ungleichheit auch hier: Wer einen Privatjet hat, lacht über Einschränkung der Bewegungsfreiheit.

Es ist kein Wunder, dass angesichts der Planlosigkeit, der Widersprüchlichkeit der Anti-Corona-Maßnahmen der Regierungen, viele Menschen den Querdenkern nachlaufen.

Zu Corona-Protesten ein paar kluge Gedanken von Georg Rammer aus ossietzky 25/2020

"Verletzung der Grundrechte, Missachtung von Menschenrechten, Abbau der Demokratie: Da gibt es wahrlich Gründe für Protest und Widerstand. Armut und Ungleichheit, Privatisierung der Daseinsvorsorge, neuer Militarismus und Imperialismus, das Sterben der Flüchtlinge an der EU-Grenze, Zerstörung der Umwelt, systematische Manipulation und Überwachung, unmenschliche Arbeitsbedingungen ... Auch die zu Recht beklagte mangelnde Empathie und die Missachtung menschlicher Bedürfnisse kamen nicht erst durch Corona-Beschränkungen in die Welt. Wo spürte man Mitgefühl mit Kranken, als Kliniken privatisiert und kaputtgespart wurden? Waren die Zustände in Pflegeheimen human, bewirkte erst Corona die Kinderarmut? Wie oft hätte man sich Massendemonstrationen gewünscht bei der Aufdeckung der Steuerparadiese, der Privatisierung der Altersvorsorge und des Gesundheitswesens, der Auslieferung von Grundbedürfnissen an den Profit, der zielgerichteten staatlichen Zerstörung des Journalisten Assange! So lang Corona-Schutzmasken und Abstandsregeln die Hauptthemen bei Protesten bleiben, kann die Machtelite über die Pandemie als Ventil für »Widerstand« nur froh sein.

Das Virus wird besonders gefährlich in einem System, das Kapitalinteressen über die Bedürfnisse von Menschen stellt. So möchte man den (quer?)denkenden DemonstrantInnen zurufen: Leute, kämpft für die richtigen Ziele! Nicht gegen Maske und Abstandsregeln, sondern für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Frieden!"

Fortschrittliche Alternativen?

Hauptfrage: Wer zahlt die Rechnung? Das dämmert auch den Herrschenden: Helge Brauns Initiative gegen Schuldenbremse macht deren Sorgen über Bezahlbarkeit der Krisenfolgen deutlich.

  • Die Reichen zur Kasse bitten! Die konkreten Forderungen sind bekannt, Vermögensabgabe von 10 % bringt 360 Mrd. €, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, runter mit der Rüstung usw.
  • öffentliches Gesundheitswesen, keine Krankenhaus-Schließungen, Rückführung in öffentliches Eigentum.
  • Aufwertung sozialer Berufe - bessere Bezahlung, erträgliche Arbeitsbedingungen
  • öffentliche Gelder nur bei Beachtung sozialer und ökologischer Auflagen

"wo öffentliches Geld fließt muss öffentliches Eigentum entstehen und öffentliche Einflussnahme folgen.", fordert Urban und plädiert für Intervention in das "Investitionsverhalten der Unternehmen" und zieht die Schlussfolgerung: "wenn wir den ökologischen Wandel in der Produktion hinbekommen wollen, wird das nicht über profitorientierte Märkte geschehen können." (H.J. Urban, 21.11.2020)

Dafür braucht es Bewegung!

Es gibt Aktivitäten auf verschiedenen Gebieten: Forderung der 36 Verbände und Gewerkschaften, die ver.di-Petition, Aktionen von Krankenhaus- und Pflegebündnissen - jeder auf seinen Gebiet.

Die am stärksten Betroffenen, die in Kurzarbeit befindlichen, vom Jobverlust Betroffenen, in der Pflege schuftenden melden sich kaum zu Wort. Sie sind mit "dem Durchkommen" beschäftigt.

Widerstand wird eher gegen Auftreten rechter Kräfte geleistet, weniger für wirksame und gleichzeitig sozial gerechte Alternativen.

Für falsch halte ich die vom KV der DKP Hannover gezogene Schlussfolgerung, sich nicht an Protesten gegen Querdenker zu beteiligen. Auf Grundlage einer falschen politischen Analyse und Einschätzung der aktuellen Lage, der Gefahr des Faschismus, der "wirksamsten und gefährlichsten Rechtskräfte" wird eine falsche Schlussfolgerung gezogen. Protestiert die DKP Hannover jetzt nicht mehr gegen Faschisten unter dem Etikett "Querdenken"? Arbeiten wir nicht mehr mit Antifaschisten zusammen, die gegen faschistische Querdenker protestieren und deren soziale Demagogie entlarven wollen?

Ein Lichtblick: Die Petition Covid-Zero mit richtigen Forderungen. Entsprechend allergisch die Reaktionen der Herrschenden. Wenn es gegen Freiheit der Wirtschaft, gegen die Pharmakonzerne gegen die Reichen geht ist Schluss mit lustig.

Zu den Kontroversen um diese Petition: Sicher brauchen die Gesundheitsschutz-Maßnahmen in den Betrieben eine differenzierte Einschätzung - auch dort gibt es riesige Unterschiede, abhängig von der Stärke der Interessenvertretung. Sicher muss die Rolle des Staates eingeschätzt werden. Aber: ob der eine autoritäre oder demokratische Rolle spielt hängt vom politischen Kräfteverhältnis ab - eigentlich nichts Neues . . .

Wer kann etwas bewegen, über Protest hinaus?

Am ehesten die Beschäftigten des Gesundheitswesens, der Pflege - mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung. Die Bedeutung eines leistungsfähigen Gesundheitswesens ist allen deutlich geworden. Die Betroffenheit ist allgemein. Die Beschäftigten haben eine politische Gewerkschaft und haben ihre Kampffähigkeit bewiesen. Ist das ein Ansatz?

Vorletztes: Was können KommunistInnen bewegen?

Über Klassencharakter von sog. Anti-Corona-Maßnahmen aufklären.

Alternativen darstellen.

Für gesellschaftspolitisch aktive Gewerkschaften einsetzen.

Breitest mögliche Bündnisse schmieden, für Vernetzung des Widerstandes einsetzen.

Letztes: Es wäre notwendig über die anhaltende Katastrophe - den Klimawandel zu reden. Der macht keine Pause. Das Thema sprengt den heutigen Rahmen. Ich empfehle dazu den Aufsatz von Klaus Dörre, "Lockdowns sind keine Klimaschutz" veröffentlicht auf dem Portal jacobin.

Er wäre ein guter Ausgangspunkt für eine interessante Debatte.

Corona ist Herausforderung für kommunistische Politik

Diskussionsbeitrag von Artur Moses auf der Videokonferenz des Netzwerkes Kommunistische Politik am 31.01.2021

(Bearbeitung im Sinne des gesprochenen Wortes)

 

Je länger die Pandemie dauert, zumindest nicht wirksam eingedämmt wird, je mehr wachsen Ängste, die Ungeduld und die Unzufriedenheit in der Mehrheit der Bevölkerung. Wie aktuelle Umfragen deutlich machen, nimmt die Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit und deren Krisenmanagement von Woche zu Woche ab. Und zwar bei dem Teil der Bevölkerung und den Menschen, die keine Anhänger von Verschwörungstheorien oder ähnlichem sind, sondern die konsequentes und wirksames Handeln in der und gegen die Pandemie fordern.

Diese Unzufriedenheit hat viele Quellen: Erlebt wird eine widersprüchliche Politik der sog. Balance zwischen Schutz vor der Ausweitung von Corona einerseits und Wahrung und Sicherung wirtschaftlicher Interessen andererseits. Es gibt die Erfahrung, dass das Handeln nach neoliberalem Muster nicht nur sehr widersprüchlich ist, sondern das Problem mit der Pandemie und deren Folgen so nicht in den Griff zu kriegen ist.

Hinzu kommen die rasant wachsenden Ängste vor der Ausweitung der Wirtschaftskrise. Jeden Tag werden Erfahrungen mit Arbeitsplatzverlusten und der Vernichtung von Existenzen gemacht.

Neben immer größerer Betroffenheit erleben wir, wie Verzweiflung um sich greift, in deren Folge ein sehr widersprüchliches Verhalten und mit kontraproduktiven Erwartungen an die sogenannte Politik entsteht. Wir erleben auch, welche Resonanz Verschwörungstheorien in großen Teilen der Arbeiterklasse haben. Wir erleben, dass es vielerorts in den Betrieben und Verwaltungen keinen verantwortungsvollen und bewussten Umgang mit notwendigen Schutzmaßnahmen gibt.

Die Erkenntnis ist leider noch nicht entwickelt oder noch nicht weit verbreitet, dass die Interessen des großen Kapitals einer erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie objektiv und auch subjektiv im Wege stehen und auch die Ursache der anderen Krisen ist.

Ich teile sehr die Sorge um die Zukunft der Gewerkschaften. Die große Gefahr von Mitgliederverlusten kann nicht einfach übersehen werden. Pandemie und Wirtschaftskrise schwächen die gewerkschaftlichen Machtressourcen. Krisenzeiten, die Arbeitsmarktlage und drohender Arbeitsplatzverlust verringern die Kampfbereitschaft und erschweren vor allem die Mobilisierung und die Durchsetzungskraft der Beschäftigten.

Ob die Gewerkschaften ohne massiven Machtverlust durch die Krise kommen, wird stark davon abhängen, ob es gelingt ihr politisches Mandat und die vorhandenen Möglichkeiten offensiv nicht nur für kleine, sondern für große Weichenstellungen zu nutzen. Zumindest diese als Themen mit Forderungen in die Waagschale zu werfen. Kollege Urban hatte dies ja auch sehr deutlich gemacht.

In dem auf Export fokussierten industriellen Bereich verschärft die Corona-Pandemie die schon zuvor bestandene mangelnde internationalen Nachfrage und die umfassende Krise auch der Autoindustrie. Immer deutlicher wird, dass nicht nur Klimaschutz und sozialere Mobilität, sondern auch die Sicherung von Beschäftigung in diesem Industriebereich einen sozial-ökologischen Umbau notwendig machen. (Im 1-Million-Einwohner-Land Saarland: arbeiten über 40000 Beschäftigte in der Automobilindustrie!)

Auch wenn solche großen Weichenstellungen aktuell nicht umsetz- und durchsetzbar erscheinen, sollten nicht darauf verzichtet werden, sie immer wieder zu benennen. Es wird keine große Zukunft für die Arbeit in der Automobilindustrie geben, wenn nicht entschlossen der sozialökologische Umbau auf die Tagesordnung gesetzt und darum gekämpft wird. Auch in und mit dem Hebel der Auseinandersetzungen um entsprechende Tarifverträge.

Wenn General Motors in der Krise Beatmungsgeräte und Volkswagen Atemschutzmasken herstellt, finden ja Ansätze von Konversion statt. Öffentliche Investitionen in Bus und Schiene wirken doch nach den aktuellen Erfahrungen in der Pandemie gar nicht mehr unrealistisch. Vor allem auch deswegen nicht, weil die Erfahrung gemacht wird, wie in der jetzigen Krise Finanzmittel in Milliardenhöhe locker gemacht werden. Und ist die Erfahrung mit den profitorientierten Manövern der Pharmakonzerne nicht eine gute Gelegenheit nach zu fragen, warum die staatliche Hilfen nicht mit Einfluss auf die Unternehmensstrategie verbunden werden. Es gibt Chancen die Vergesellschaftung der Pharmakonzerne in die Diskussion zu bringen.

Ihr erinnert euch sicherlich an das Interview in der UZ, das ich im vorigen Jahr mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Saarstahl machen konnte. Für mich war es eine sehr anregende, bleibende politische Erfahrung wie der Betriebsrat von Saarstahl mit der Zukunftsfrage, die vor der Stahlindustrie steht, umgeht. Und kämpft. Für einen sozialökonomischen Umbau wurde mit Forderungen nach Brüssel marschiert, wo Mittel für strukturelle Umbaumaßnahmen in beträchtlichem Maße vorhanden sind, sowohl die Kanzlerin und die Landesregierung unter Druck gesetzt wurden. Es sieht so aus, dass es Mittel, wenn auch nicht ausreichend, geben wird. Ein kleiner Erfolg vielleicht für eine große Weichenstellung!

Wie schwierig das ist oder bleibt, zeigen auch die Ergebnisse einer Umfrage, wonach bei der Mehrheit der befragten Saarländer die Sicherheit von Arbeitsplätzen vor der Ökologiefrage rangiert. Das ist doch ein riesiges Problem!

Rainer Dörrenbecher wird sich in seinem Beitrag konkreter damit beschäftigen.

Tatsache ist, dass wir in einer sehr komplizierten und herausfordernden Phase der gesellschaftspolitischen Entwicklung global und auch im eigenen Land leben.

Die Corona-Pandemie selbst muss von uns als eine ganz große Herausforderung verstanden und behandelt werden. Dabei geht es nicht um die Frage, ob diese Pandemie überhaupt endgültig überwunden werden kann oder ob wir damit auf Dauer und mit deren Folgen leben müssen, sondern dann darum, wie wir damit leben können und die gesamte Menschheit damit leben kann.

So wie die Dinge nach wissenschaftlichen Erkenntnissen liegen, hat dies sehr viel mit dem Ringen um die Entschärfung der ökologischen Krise zu tun.

Dafür benötigen wir Positionen, auch Konzepte, vor allem aber auch Forderungen des Netzwerkes als bundesweites Signal.

Wir verstehen uns als Netzwerk für (!) kommunistische Politik.

Wenn die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement in der Corona-Pandemie weiter zunimmt, wenn sich die negativen sozialen Auswirkungen auch der anderen Krisen niederschlagen, dann taucht doch die Frage auf, wohin kann und wird sich dies alles orientieren? In Richtung Alternativen mit großen Weichenstellungen, nach links? Gelingt es, wie es sich in Zero Covid andeutet, für solche Weichenstellungen zu Allianzen zu solchen Fragen und darüber hinaus zu kommen? Oder endet alles in Frust, Niederlagen, Rückzug und Entpolitisierung, in einer Schwächung von Gegenwehr. Es zeigen sich zudem neue Spielarten rechter Demagogie, die nicht zu unterschätzen sind. Diese Klaviere werden schon gestimmt.

Die aktuelle Entwicklung, die Globalität und Vernetzung der Krisen, ist meiner Ansicht nach ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir es mit komplexere Fragestellungen für unsere weitere Politik und unser Handeln zu tun haben.

Nur mit unserem politischen „Kerngeschäft“ werden wir dem nicht mehr gerecht werden und wird sich keine zukünftige, tragfähige und anregende Politik entwickeln lassen.

Als wichtige Bausteine sehe ich aktuell in der Corona-Krise:

Kommunisten müssen konsequent die Gefahren der Pandemie benennen und gegen Verschwörungstheorien auftreten, weil wir unsere Politik auf wissenschaftliche Erkenntnisse beziehen und stützen und damit Zusammenhänge weitgehend aufklären können. Das ist ein aktueller Beitrag gegen die Versuche, die Achse weiter nach rechts zu drehen. Dazu gehört natürlich auch die Skepsis und der Zweifel gegenüber den Darstellungen und Methoden der Herrschenden und die kritische Auseinandersetzung damit.

Wegen der Gefährlichkeit der Pandemie, ihrer globalen Ausbreitung mit ihrer hohen Ansteckungsgefahr sind Relativierungen, egal welcher Art, fehl am Platze.

Wir sind, wenn unumgänglich, für den Stopp aller nicht notwendigen Produktionen und Dienstleistungen, vor allem dort, wo Menschen in großen Mengen zusammen kommen.

Es geht um mehr demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten und Mitentscheidungsrechte vor allem der Arbeitenden in dem Kampf gegen die Pandemie, gegen die Politik der Anordnungen aus nicht demokratisch legitimierten Kreisen.

Die Verteilungsfrage muss in der gesellschaftspolitischen Debatte einen höheren Stellenwert bekommen, weil Gesundheit und Leben vor Profit und dem Anhäufen von Reichtum in den Händen weniger kommen muss. Die Gewinner auch dieser Krise haben Namen und Adressen. Es geht um die Zukunft der Arbeit und das zukünftige Leben. Dazu entwickeln sich viele konkrete Forderungen. Es gibt zunehmend Initiativen hierzu.

Nach vorne geblickt: Ich finde, wir benötigen mehr kollektive, konkrete Debatten zu diesen komplizierten Fragen in solch neuen Dimensionen von Krisen, die sich auf neue Weise miteinander verbinden.

Vielleicht gelingt dies mit Thesenpapieren als Grundlage von Diskussionen. Und wir sollten auch immer den Blick auf das Wirken von anderen kommunistischen Parteien haben und versuchen daraus zu lernen.

Zum Andenken an Willi Gerns

Zum Andenken an Willi Gerns

Ein Nachruf von Georg Polikeit für das Netzwerk kommunistische Politik

Es war nur wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag. Da verstarb am 25. Januar 2021 in Bremen mit Willi Gerns ein (west)deutscher Kommunist, dessen Leben durch große Gradlinigkeit, durch unermüdliche Bereitschaft zum persönlichen Engagement, durch ein hohes Maß an theoretischen Erkenntnissen, aber auch durch praktische Erfahrungen in gewerkschaftlicher und politischer Arbeit gekennzeichnet war.

Am 13. Dezember 1930 in einer Arbeiterfamilie in Hannover geboren, gehörte er zu der Generation junger Männer und Frauen, die im Alter zwischen knapp 15 und 18 Jahren den Zusammenbruch des Nazi-Regimes, das Ende des zweiten Weltkriegs, die Befreiung Deutschlands von der Nazi-Diktatur erlebten. Für viele von ihnen wie auch für Willi Gerns wurde die Devise „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ zu einer prägenden Leitlinie ihres Lebens. Sie wollten nach den grausamen Erfahrungen des Krieges und der faschistischen Terrorherrschaft den Aufbau eines neuen demokratischen und friedlichen Deutschlands, in dem Faschismus, Militarismus, Kriegsvorbereitung, Großmachtstreben und Rassismus für immer beseitigt sind.

Stattdessen begannen die herrschenden Kreise der USA aber im Verein mit denen der anderen westlichen Siegermächte und mit den in Westdeutschland wieder auftauchenden Eigentümern und Managern der Großkonzerne und ihren politischen Handlangern unter Konrad Adenauer entsprechend ihrer antikommunistischen Grundhaltung den kalten Krieg gegen die Sowjetunion und die in Ost- und Südosteuropa sich entwickelnden „volksdemokratischen“ Staaten. Sein Kernstück in Europa war die Spaltung Deutschlands und die Einbindung Westdeutschlands in den USA-geführten Westblock, die Wiederaufrüstung Westdeutschlands und seine Eingliederung in die NATO.

Für Willi Gerns ergab sich daraus wie für viele andere seiner Generation das Engagement in der damaligen antifaschistischen Jugendorganisation, der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), und in der KPD. Er beteiligte sich aktiv an der Bewegung vieler tausend junger Menschen gegen die Remilitarisierung, für die Bewahrung der Einheit Deutschlands auf einer antifaschistisch-demokratischen Grundlage. Da Willi nicht zu denen gehörte, die sich vor der Übernahme von Verantwortung scheuten, wurde er Mitglied des Zentralbüros der westdeutschen FDJ und ihres Sekretariats.

Willi führte seine Tätigkeit im Rahmen der FDJ auch weiter, nachdem die Adenauer-Regierung diese Jugendorganisation wegen ihrer Aktionen gegen die Wiederaufrüstung und für die Durchführung einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung bereits 1951 verboten hatte. Das hatte zur Folge, dass er 1955 verhaftet und von dem wegen seines scharfmacherischen Antikommunismus berüchtigten Landgericht Lüneburg zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Sein Ankläger war der spätere Generalbundesanwalt Buback, der vorsitzende Richter der Nazikriegsgerichtsrat Lenski, der während der Nazibesatzung im Elsass an Todesurteilen gegen französische Résistance-Kämpfer mitgewirkt hat.

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis ging Willi zunächst zurück in die „Privatwirtschaft“. Er arbeitete u. a. bei den Vereinigten Leichtmetallwerken und bei den Pelikan-Werken in Hannover. In den Leichtmetallwerken wurde er zum Sprecher der Vertrauensleute der IG Metall gewählt. Als solcher war er auch an der Auslösung eines Warnstreiks beteiligt. Deshalb wurde er 1960 erneut verhaftet und zu weiteren fünf Monaten Gefängnis verurteilt, diesmal wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot und Beleidigung von Bundeskanzler Adenauer als „Arbeiterfeind“.

Willi Gerns war die Verkörperung des Satzes, dass es ohne politische Bildung, ohne revolutionäre Theorie auch keine revolutionäre Praxis gibt.

Schon im Sekretariat des FDJ-Zentralbüros war er für politische Bildungsarbeit zuständig und organisierte er die Herausgabe von Bildungsheften und anderen Publikationen zur Klärung von grundsätzlichen politischen Begriffen wie „Militarismus“ in Anlehnung an die entsprechenden Schriften von Karl Liebknecht oder auch zu geschichtlichen Themen. In diesem Rahmen lernte ich ihn in den frühen 50er Jahren auch persönlich kennen.

Im Gefängnis gelang es Willi, eine Genehmigung für das Studium marxistischer Werke zur Ökonomie und für eine gemeinsame Bearbeitung dieses Studienmaterials mit anderen politischen Häftlingen zu erreichen. Das war dem sozialdemokratischen Juristen Fritz Bauer zu verdanken, der damals für die Aufsicht über die Haftanstalt Wolfenbüttel zuständig war und später als Generalstaatsanwalt des Bundeslandes Hessen u. a. den Auschwitzprozess in Gang brachte.

Es verwundert also nicht, dass Willi Gerns in den 60er Jahren mit Freuden die Möglichkeit zu einem gründlichen Studium der marxistischen Ökonomie und der marxistischen Theorie generell in Moskau wahrnahm, eine Möglichkeit, die er zu diesem Zeitpunkt in der westdeutschen Bundesrepublik nie hätte bekommen können. Er beendete dieses Studium mit einem Abschluss als Diplom-Ökonom und zugleich mit einem Zertifikat als Russisch-Übersetzer für Wirtschaftswissenschaften. Das legte die Grundlage für seine gründlichen Kenntnisse der marxistischen Theorie, mit denen er später in der DKP die Verantwortung für die Vermittlung, Weiterentwicklung und kreative Anwendung dieser Theorie in der BRD der 60er und 70er Jahre übernehmen konnte. Dies verschaffte ihm sowohl innerhalb der Partei als auch über ihre Reihen hinaus große Achtung und Autorität auch unter Intellektuellen als eine aus der Arbeiterklasse hervorgegangene wissenschaftlich gebildete Persönlichkeit.

Willi war wie andere Genossinnen und Genossen aus „taktischen Gründen“ nicht von Anfang an Mitglied im allerersten Bundesausschuss der DKP unter Leitung von Kurt Bachmann, deren Neukonstituierung am 25. September 1968 in Frankfurt am Main bekanntgegeben wurde. Aber an der Ausarbeitung der ersten „Grundsatzerklärung der DKP“, die der erste DKP-Parteitag im April 1969 in Essen beschloss, war er bereits aktiv beteiligt. Seitdem spielte er eine führende Rolle bei der Ausarbeitung der programmatischen Grundlagen und der politischen Strategie der DKP. Das galt besonders für die Ausarbeitung der „Thesen des Düsseldorfer Parteitags der DKP“ im November 1971 und dann vor allem für die Erarbeitung des Parteiprogramms der DKP von 1978, das der Mannheimer Parteitag der DKP im Oktober 1978 nach langer innerparteilicher Diskussion verabschiedete.

Zu Willis Verständnis von marxistischer Theorie gehörte aber immer auch die Einsicht, dass diese Theorie keine Sammlung von ein für allemal feststehenden Lehrsätzen und Dogmen ist, die als Rezepte für die Erarbeitung einer richtigen „politischen Linie“ einfach nur “umgesetzt“ und angewendet werden müssen. Vielmehr ließ er sich von der Erkenntnis leiten, dass diese Theorie ständig überprüft und unter Bewahrung der von Marx, Engels und Lenin erarbeiteten wissenschaftlichen Grundlagen zu immer wieder neuen Auffassungen und Konzepten weiterentwickelt werden muss, weil auch die objektiven ökonomischen, weltpolitischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Entwicklung der Produktivkräfte im modernen Kapitalismus und damit auch die Produktionsverhältnisse und die Arbeitsweise und Struktur der Arbeiterklasse und anderer Gesellschaftssichten sich ständig verändern.

Zu Willis bedeutenden persönlichen Verdiensten gehören in diesem Zusammenhang seine Mitwirkung und Förderung der Diskussion über die Strukturveränderungen in der Arbeiterklasse, die von dem in Frankfurt/M. angesiedelten „Institut für marxistische Studien und Forschungen“ (IMSF) unter Leitung von Josef Schleifstein und Heinz Jung betrieben wurde, und insbesondere seine maßgebliche Rolle bei der Erarbeitung der politischen Strategie der DKP, die in dem vom Mannheimer Parteitag verabschiedeten DKP-Parteiprogramm ihren Niederschlag fand.

Willi verfocht dabei in Auseinandersetzung mit reformistischen, aber auch „linksradikalen“ Ansichten in und außerhalb der DKP die Notwendigkeit von Übergangsetappen und Zwischenstufen auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft. Wichtig und dann auch in anderen kommunistischen Parteien stark beachtet war die zusammen mit Herbert Mies entwickelte Vorstellung von einer „antimonopolistischen Demokratie“ als einer möglichen Übergangsetappe vom Kapitalismus zum Sozialismus. Dementsprechend verband sich im DKP-Parteiprogramm von 1978 die Zielsetzung einer „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt“ noch im Rahmen einer kapitalistischen Bundesrepublik mit dem Konzept einer Weiterentwicklung dieser „Wende“ zu einer „antimonopolitischen Demokratie“, bei der mit Hilfe starker außerparlamentarischer Massenbewegungen und entsprechenden Veränderungen auch im parlamentarischen Kräfteverhältnis die dominante Stellung des Groß- und Finanzkapitals in Staat und Gesellschaft bereits erheblich eingeschränkt ist, woraus sich dann im weiteren Verlauf der Kämpfe ein vollständiger Bruch mit den überkommenen kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen, eine sozialistische Gesellschaftsordnung ergeben könnte.

Willi begründete und untermauerte dieses strategische Konzept in mehreren Büchern und zahlreichen Artikeln und Interviews in den „Marxistischen Blättern“, in der UZ und anderen Publikationen, oft zusammen mit anderen Genossen. So in dem 1974 im damaligen Verlag „Marxistische Blätter“ in Frankfurt/M. zusammen mit Robert Steigerwald und Günter Weiß verfassten Buch „Opportunismus heute“, in dem neben einer Auseinandersetzung mit der der sozialdemokratischen Ideologie des „demokratischen Sozialismus“ auch eine kritische Auseinandersetzung mit „linkssozialistischen“ Ansichten, mit „Maoismus“ und „Trotzkismus“ enthalten ist. Das fand seine Fortsetzung in dem 1976 im gleichen Verlag erschienenen Buch von Willi Gerns und Robert Steigerwald „Für eine sozialistische Bundesrepublik – Fragen und Antworten zur Strategie und Taktik der DKP“, in dem insbesondere Fragen der Übergangsperiode und das Konzept der „antimonopolistischen Demokratie“ erörtert werden, und schließlich in dem 1979 veröffentlichen Buch von Herbert Mies und Willi Gerns „Weg und Ziel der DKP – Fragen und Antworten zum Programm der DKP“.

Gleichzeitig verfasste Willi Gerns in dieser Zeit bedeutende Schriften zu einzelnen Fragen der damaligen politischen und ideologischen Auseinandersetzungen, so seine wichtige Broschüre zum Verhältnis von Kommunisten und Pazifisten, die den Weg zu einem Bündnis und zur Zusammenarbeit von Kommunisten und Pazifisten in der Friedensbewegung weit öffnete. Oder die maßgeblich durch seine Beiträge geprägten, als „DKP-extra“ herausgegebenen Schriften „Linke Phrasen – rechte Politik“ (1975) und „Opportunismus unter linker Flagge“ (1976), die sich mit linksradikalen „K-Gruppen“-Strömungen und entsprechender Sekten-Mentalität auseinandersetzten.

Auch nach dem Zusammenbruch der „realsozialistischen“ Staaten in Europa einschließlich der UdSSR 1989/1992 blieb Willi Gerns wie viele andere DKP-Mitglieder bei der festen Überzeugung, dass der Kapitalismus trotz seines zeitweisen Sieges über den Versuch einer sozialistischen Alternative nicht das „Ende der Geschichte“ sein kann und wird., Er bleibt ein von grundlegenden Widersprüchen und immer wieder auftretenden Krisen verschiedenster Art gekennzeichnetes System, von dessen Fortexistenz enorme destruktive Wirkungen ausgehen, die eine lebensbedrohende Gefahr für die Zukunft der ganzen Menschheit und für die Fortexistenz des Lebens auf dem Erdball sind. Deshalb bleibt die Notwendigkeit der Ablösung dieses Systems durch ein anderes, nicht am Kapitalprofit, sondern am allgemeinen Wohl orientiertes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem unverändert eine unausweichliche Notwendigkeit. Dementsprechend beteiligte sich Willi maßgeblich an der Auseinandersetzung mit unter den Linken aufgekommenen „Erneuerer“-Strömungen, die illusionär an die Möglichkeit einer allmählichen Umwandlung des Kapitalismus in ein menschengerechteres System oder einen „human“ regulierten Kapitalismus ohne Bruch mit den alten Besitz- und Machtverhältnissen glaubten.

Zugleich ging es ihm aber um eine präzise kritische Untersuchung der Ursachen des Zusammenbruchs der sozialistischen Staaten und der daraus zu ziehenden Lehren für die Zukunft. Er sah es als keinesfalls ausreichend an, die historische Veränderung der Situation in der Welt nur mit der „Ungunst der Verhältnisse“ oder mit der Bosheit und Raffinesse des Klassenfeinds oder auch Verrätern in den eigenen Reihen zu erklären. Willi konnte und wollte die selbstgemachten inneren Ursachen für diesen Zusammenbruch nicht übersehen oder in ein stillschweigendes Vergessen verdrängen. Er kritisierte u.a. das „Schindluder“, das in den regierenden kommunistischen Parteien der sozialistischen Staaten mit dem Begriff der „Avantgardepartei“ betrieben worden ist, wie er sich aufgrund von unter Stalin eingeführten Praktiken in der kommunistischen Bewegung weit verbreitete. Bekanntlich wurde daraus ein uneingeschränkter Führungsanspruch und eine „Allwissenheit“ der Partei“ abgeleitet, die zur „Bevormundung des ganzen gesellschaftlichen Lebens“ führte, was „wesentlich zur Entfernung der Partei von den Massen und damit zur Niederlage des realen Sozialismus beigetragen“ hat.

Selbstkritisch betrachtete Willi auch die Art und Weise, in der die DKP ihr Verhältnis zu den realsozialistischen Staaten darstellte. In dem Bestreben, die massive antikommunistische Propaganda in der BRD zurückzudrängen, habe die DKP i nach dem Motto gehandelt „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“. Nach diesem Motto habe sie sich darauf beschränkt, nur die positiven Seiten des „realen Sozialismus“ hervorzuheben, wie das kostenlose Bildungswesen für alle, die kostenlose Versorgung im Krankheitsfall, die niedrigen Mieten oder die garantierte Sicherheit der Arbeitsplätze, aber die Schwierigkeiten und Mängel bei der Entwicklung des Sozialismus zu verschweigen und zu verdrängen versucht. Offensichtlich hielt Willi dies für einen schweren Mangel unserer „Sozialismus-Propaganda“, der ihre Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit stark behinderte.

Auch als Willi 1988/89 seine Funktion im Präsidium und Sekretariat des Parteivorstands als Verantwortlicher für marxistische Theorie und Bildung nach fast 20 Jahren Tätigkeit auf diesem Gebiet abgab, wirkte er weiter durch zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Zeitungen zu aktuell-politischen und neu aufkommenden programmatisch-theoretischen Fragen am Erhalt und der weiteren Entwicklung der DKP mit. Er war ein geschätzter Berater der nach 1989 in der DKP gewählten neuen Parteiführung unter Heinz Stehr und Rolf Priemer, auch wenn ihre Ansichten zu neuen Fragestellungen nicht immer harmonierten. Als Mitglied des Herausgeberkreises und der Redaktion der „Marxistischen Blätter“ trug er durch Ratschläge wie auch durch eigene Autorenbeiträge wesentlich zu deren positiver Entwicklung als qualifizierte und über die Reihen der DKP hinaus anerkannte marxistische Zeitschrift in der heutigen BRD bei.

Noch wenige Wochen vor seinem Tod engagierte sich Willi Gerns gegen linksradikale Verengungen kommunistischer Politik. So gegen die in dem unlängst herausgegebenen DKP-Bildungsheft zum „reaktionären Staatsumbau vertretene oder zumindest nahegelegte Ansicht, dass der Kampf gegen die Rechtsentwicklung und um Demokratie den Kampf für die Beseitigung des Kapitalismus einschließen muss und Bündnisbewegungen in dieser Frage zu kritisieren sind, wenn sie aktuell den Kampf um die Bewahrung der im Grundgesetz verankerten bürgerlich-demokratischen Staatsordnung in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stellen und weitergehende, das kapitalistische System angreifende Forderungen nicht zu ihren Inhalten gehören.

Ebenso wandte er sich noch in einem Leserbrief, der am   in der UZ veröffentlicht wurde, gegen eine linksradikale Verengung in der Friedenspolitik. Wer von der Friedensbewegung fordert, dass ihr Kampf für den Frieden mit dem „Kampf gegen die Interessen des deutschen Monopolkapitals“ verbunden sein, also mit dem Kampf um die Überwindung des bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems gekoppelt sein muss, habe „das Wesen demokratischer Bündnispolitik nicht verstanden“, schrieb er. Denn diese bedeute „Übereinstimmung und gemeinsames Handeln in den Hauptanliegen des Bündnisses bei Respektierung unterschiedlicher Positionen der Partner in anderen politischen Fragen“

Sicher ist dieser Einspruch Willis gegen linksradikale Verengungen kommunistischer Politik nicht nur für die Friedensfrage gültig. Er gilt , wie schon oben ersichtlich, ebenso für den Kampf um die Verteidigung der Demokratie gegen die Rechtsentwicklung und das aktuell als Spitze besonders gefährliche Anwachsen von rechtsradikalen, reaktionären, fremdenfeindlichen und rassistischen Stimmungen, wie sie sich besonders in der AfD verkörpern. Er gilt ebenso für die Bewegung und Bündnisse für Klima- und Umweltschutz, für die Verbesserung des Gesundheitswesens, den Ausbau des Kliniknetzes und die Aufstockung des darin beschäftigten Personals und seiner Entlohnung in Zeiten der Pandemie. Er gilt ebenso für soziale und gewerkschaftliche Bewegungen und Aktionen zur Verteidigung und Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen.

Wir ehren das Andenken von Willi Gerns am besten, indem wir in seinem Sinn weiter an den aktuell vor sich gehenden Klassenkämpfen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mitwirken und zur Entwicklung breiter Bündnisse gegen die etablierte Politik beitragen und uns in diesem Rahmen dann auch um die Entwicklung von Bewusstsein über die Notwendigkeit grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen, eines Systembruchs und eines Systemwechsel zu einer solidarischen, am Wohl der großen Mehrheit der Menschen orientierten Gesellschaft bemühen.

Dazu gehört auch, dass wir Willi Gerns umfangreiche theoretisch-programmatische Arbeiten nicht nur loben, sondern wieder neu lesen und studieren, um Theorie und Praxis im marxistischen Sinn ohne Kluft miteinander zu verbinden.

Debatten um Zero Covid (Null Covid)-Kampagne

Die Debatte um die Forderungen nach einem konsequenten europaweiten Shutdown sind in vollem Gang.

Wir verlinken/dokumentieren einige Standpunkte:

taz-Kommentar"Halbtotalitäre Fantasie" von Thomas Gerlach: https://taz.de/Vorschlaege-der-Initiative-Zero-Covid/!5739231/ 

uz-Artikel "Gesundheit statt Profit" vom Parteivorsitzenden der DKP Patrik Koebele: https://www.unsere-zeit.de/gesundheit-statt-profit-2-140817/

Leserbrief von Isa Paape zum uz-Artikel:

Leserbrief zu „Gesundheit statt Profit“, Stellungnahme von Patrik Köbele zum Aufruf „ZeroCovid“, abgedruckt in der UZ vom 22. Januar 2021

Die Stellungnahme von Patrik Köbele zur Petition ZeroCovid, am 22. Januar leicht gekürzt in der UZ erschienen, macht das ganze Dilemma dieses PV ein weiteres Mal deutlich. Vor lauter Angst, nicht revolutionär genug zu erscheinen, treten die DKP und insbesondere ihr Vorsitzender ständig auf die Bremse, wenn es darum geht, fortschrittliche linke Bewegungen zu unterstützen. Das ist erbärmlich anzuschauen.

Ich habe den Aufruf sofort unterstützt und ihn in Weiterleitung auch zur Unterzeichnung empfohlen. Darauf aufmerksam gemacht wurde ich von einem Kollegen in einem IG-Metall-Arbeitskreis. Kabinett und Kapital werden mit ihren halbherzigen Maßnahmen die Pandemie nicht in den Griff bekommen. Je länger diese Situation anhält, umso mehr Infizierte, Erkrankte und Tote werden von den Herrschenden in Kauf genommen. Es ist richtig und längst überfällig, mit den Forderungen nach wirksamer Bekämpfung der Pandemie, Abschöpfung der Gewinne und Ausbau des Gesundheits- und Pflegesystems an die Öffentlichkeit zu gehen, und zwar in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis.

Schade, dass bei dem erfreulich breiten und in die Breite wirkenden Aufrufer*innenkreis keine bekannten DKPler*innen dabei sind. Wenn ich die Stellungnahme lese, ahne ich allerdings, warum das so ist. Anders als bei früheren Aufrufen werden diesmal zwar nicht einzelne Formulierungen oder fehlende Inhalte kritisiert, gemäkelt und geunkt aber wird trotzdem. Schon der erste Satz zeigt, dass gesellschaftliche Debatten offenbar nur sehr selektiv wahrgenommen werden. Der Parteivorsitzende kann sich nicht einmal dazu entschließen, die Partei zur Unterstützung des Aufrufs aufzufordern. Ein lahmes „Ja, aber …“ scheint ihm wohl angemessen als Reaktion. Wankelmut, Isoliertheit, Separatismus und Arroganz sprechen aus dieser Erklärung, die genaugenommen ja keine Stellungnahme ist, sondern ein durch revolutionäres Getöse kaum zu kaschierendes Nachtrab-Gemaule.

Der letzte Satz der Stellungnahme fehlt zwar in der UZ, soll aber hier nochmal mit zitiert werden, Hervorhebung von mir: „Wird der Aufruf allein als Appell an die Regierenden oder gar „an Europa“ verstanden, wird er wenig helfen. Wird er als Instrument zur Entwicklung dieser Kämpfe genutzt, kann er von riesiger Bedeutung sein. Daran wollen wir Kommunistinnen und Kommunisten mitarbeiten.“

Es wäre besser gewesen, statt dieser Belehrungen, die weder der Kreis der Erstunterzeichner*innen noch meine Kolleg*innen nötig haben, konkret zu erklären, wie die Kommunist*innen in der DKP mitarbeiten wollen bei der Durchsetzung der Forderungen für ZeroCovid. Da kommt aber bis heute nix. Echt schade.

Erlangen, 30.01.2021

#ZeroCovid

Wir dokumentieren hier den Aufruf des breiten Bündnisses unter https://zero-covid.org/, den wir unterstützen.

Das Ziel heißt Null Infektionen!
Für einen solidarischen europäischen Shutdown

Nach einem Jahr Pandemie sind wir in ganz Europa in einer äußerst kritischen Situation. Tausende Menschen sterben jeden Tag und noch viel mehr erkranken. Das neue Coronavirus breitet sich rasend schnell aus, von Mutationen noch beschleunigt. Die Maßnahmen der Regierungen reichen nicht aus: Sie verlängern die Pandemie, statt sie zu beenden, und gefährden unser Leben. 

Die Strategie, die Pandemie zu kontrollieren, ist gescheitert („flatten the curve“). Sie hat das Leben dauerhaft eingeschränkt und dennoch Millionen Infektionen und Zehntausende Tote gebracht. Wir brauchen jetzt einen radikalen Strategiewechsel: kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung. Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein. 

Wir brauchen sofort eine gemeinsame Strategie in Europa, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen. Mit Impfungen allein ist der Wettlauf gegen die mutierte Virusvariante nicht zu gewinnen – erst recht nicht, wenn die Pandemiebekämpfung weiter aus aktionistischen Einschränkungen der Freizeit ohne Shutdown der Wirtschaft besteht. Wir setzen uns dafür ein, dass die Sars-CoV-2-Infektionen sofort so weit verringert werden, dass jede einzelne Ansteckung wieder nachvollziehbar ist. Das entschlossene Handeln etlicher Länder hat gezeigt, dass es möglich ist, die Verbreitung des Virus zu beenden. 

Wir orientieren uns am internationalen Aufruf für die konsequente Eindämmung der Covid-19 Pandemie in Europa, den Wissenschaftler*innen am 19. Dezember 2020 initiiert haben.1 Wir sind allerdings überzeugt, dass die Eindämmung des Sars-CoV-2 Virus nur gelingen kann, wenn alle Maßnahmen gesellschaftlich solidarisch gestaltet werden. Darum fordern wir diese unerlässlichen gesellschaftlichen Maßnahmen: 

1. Gemeinsam runter auf Null: Das erste Ziel ist, die Ansteckungen auf Null zu reduzieren. Um einen Ping-Pong-Effekt zwischen den Ländern und Regionen zu vermeiden, muss in allen europäischen Ländern schnell und gleichzeitig gehandelt werden. Wenn dieses Ziel erreicht ist, können in einem zweiten Schritt die Einschränkungen vorsichtig gelockert werden. Die niedrigen Fallzahlen müssen mit einer Kontrollstrategie stabil gehalten und lokale Ausbrüche sofort energisch eingedämmt werden. Wir brauchen drittens auch eine gemeinsame langfristige Vision – und auf deren Basis regionale und nationale Aktionspläne. Diese beinhalten Screening- und Impfstrategien, Schutz von Risikogruppen und Unterstützung der Menschen, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind. 

Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine solidarische Pause von einigen Wochen. Shutdown heißt: Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum ein – und zwar auch am Arbeitsplatz! Maßnahmen können nicht erfolgreich sein, wenn sie nur auf die Freizeit konzentriert sind, aber die Arbeitszeit ausnehmen. Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden. Diese Pause muss so lange dauern, bis die oben genannten Ziele erreicht sind. Wichtig ist, dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben selber gestalten und gemeinsam durchsetzen. Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren. 

2. Niemand darf zurückgelassen werden: Menschen können nur zu Hause bleiben, wenn sie finanziell abgesichert sind. Deshalb ist ein umfassendes Rettungspaket für alle nötig. Die Menschen, die von den Auswirkungen des Shutdowns besonders hart betroffen sind, werden besonders unterstützt – wie Menschen mit niedrigen Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen, in einem gewalttätigen Umfeld, Obdachlose. Sammelunterkünfte müssen aufgelöst, geflüchtete Menschen dezentral untergebracht werden. Menschen, die im Shutdown besonders viel Betreuungs- und Sorgearbeit leisten, sollen durch gemeinschaftliche Einrichtungen entlastet werden. Kinder erhalten Unterricht online, notfalls in Kleingruppen. 

3. Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur: Der gesamte Gesundheits- und Pflegebereich muss sofort und nachhaltig ausgebaut werden. Dies gilt auch für Gesundheitsämter und Behörden, die für das Verfolgen der Infektionsketten zuständig sind. Das Personal muss in diesem Bereich aufgestockt werden. Die Löhne sind deutlich anzuheben. Das Profitstreben im Gesundheits- und Pflegebereich gefährdet die kollektive Gesundheit. Wir verlangen die Rücknahme bisheriger Privatisierungen und Schließungen. Die Finanzierung von Krankenhäusern über Fallpauschalen sollte durch eine solidarische Finanzierung des Bedarfs ersetzt werden. 

4. Impfstoffe sind globales Gemeingut: Eine globale Pandemie lässt sich nur global besiegen. Öffentliche und private Unternehmen müssen umgehend die erforderliche Produktion von Impfstoffen vorbereiten und durchführen. Impfstoffe sollten der privaten Profiterzielung entzogen werden. Sie sind ein Ergebnis der kreativen Zusammenarbeit vieler Menschen, sie müssen der gesamten Menschheit gehören. 

5. Solidarische Finanzierung: Die notwendigen Maßnahmen kosten viel Geld. Die Gesellschaften in Europa haben enormen Reichtum angehäuft, den sich allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben. Mit diesem Reichtum sind die umfassende Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen problemlos finanzierbar. Darum verlangen wir die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen. 

Wir wollen die politische Lähmung in Bezug auf Corona überwinden. Wir wollen uns auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz für den nötigen solidarischen ZeroCovid-Strategiewechsel sammeln. Wie unsere Mitstreiter*innen in Großbritannien ( https://zerocovid.uk) wissen wir, dass wir den Schutz unserer Gesundheit gegen kurzfristige Profitinteressen und große Teile der Politik erkämpfen müssen. 

Es gibt keinen Gegensatz zwischen Gesundheitsschutz und Pandemiebekämpfung einerseits und der Verteidigung demokratischer Rechte und des Rechtsstaats andererseits. Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat. Die Einheit von beidem ist der entscheidende Schlüssel zu einer solidarischen ZeroCovid-Strategie. 

12. Januar 2021

Aktienkurse steigen mit den Todeszahlen – Vom Wert des Menschen im Kapitalismus

Ein Beitrag von Thomas Hagenhofer im Rahmen der "Wortmeldungen von links zu Corona" der DKP Saarland

Am 28.12.20 erreichte der deutsche Aktienindex DAX einen neuen Allzeit-Rekordwert. Getreu dem alten Börsenmotto: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern!“ laufen die Geschäfte prächtig. Der enthemmte Neoliberalismus lässt an den deutschen Finanzmärkten die Krise hinter sich auf Kosten von hunderten Menschenleben – jeden Tag. Statt eines konsequenten europaweiten Lockdowns, wie ihn 850 Wissenschaftler/innen fordern, werden in den Betrieben weiterhin nicht-lebensnotwendige Waren produziert und hohe Profite erzielt. Die Krisengewinner reiben sich die Hände und die Aktionäre schließen auf sie ihre Wetten ab, während immer mehr Menschen um Gesundheit und Zukunft bangen –  es sind barbarische Zustände.

Die Barbarei des real existierenden Kapitalismus wird auch sichtbar an den vollen Skipisten in Österreich, am Pflegenotstand und Arbeitsquarantäne im Gesundheitswesen, an den fehlenden Produktionskapazitäten für Impfstoffe oder fehlenden Testkapazitäten.

Hinter all diesen Problemen steckt immer wieder die Frage, wie viele Tote sich der kapitalistische Staat leisten will und kann. Es wird – sogar in öffentlichen Statements – austariert zwischen Wirtschaftsinteressen auf der einen Seite und den Zahlen von Intensivpatienten und Toten auf der anderen. Sind letztere zu hoch, werden die Maßnahmen wieder angezogen – aber immer nur soweit, wie es die Profite der Konzerne vertragen. Menschenleben werden den Kapitalinteressen geopfert.

Es ist überdeutlich: Dieses System tötet! Wo bleibt eigentlich der gesellschaftliche Aufschrei gegen diese einen Massenmord verursachende Clankriminalität von Superreichen in Deutschland? Linke und Gewerkschaften wehren sich richtigerweise gegen Einschränkungen demokratischer Rechte in der Pandemie und die bereits angekündigte Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitenden und von Arbeit ausgegrenzten Menschen. Aber wer kämpft konsequent für Menschenleben und Gesundheit? Wir können diese Aufgabe doch nicht den Herrschenden überlassen, die sich auch in der Krise immer an Kapitalinteressen orientieren. Die Zahlen aus den USA zeigen dabei deutlich: Die Reichen können sich schützen, die Pandemie trifft vor allem die Arbeiterklasse.

Wir sollen uns an das Sterben für das System gewöhnen. An die toten Geflüchteten im Mittelmeer und in Nordafrika, an die globalen Opfer unserer unbarmherzigen Exportwalze in Afrika, an die durch unsere Rüstungsexporte getöteten Menschen, an die Corona-Toten. Es geht darum, die Gesellschaft abzustumpfen, auch für neue Kriege. So wird den Menschen vorgegaukelt, diese Opfer müssten gebracht werden, um ihren Lebensstandard zu sichern, um Arbeitsplätze zu erhalten und in Zukunft um die lästige Konkurrenz auf dem Weltmarkt auch militärisch in Schach zu halten. Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, fordert in einem programmatischen Vortrag im November 2020, die deutschen Truppen müssten "durchsetzungsfähig, kriegsbereit und siegesfähig sein. Sie müssen in der Lage sein, Schläge einzustecken, sich neu zu formieren und zurückzuschlagen bis der Auftrag erfüllt ist“. Der Bevölkerung soll im Propagandakrieg gegen China und Russland die Kriegsmüdigkeit endlich ausgetrieben werden.

Die politische Linke muss bei diesen Herausforderungen durchdachte und kluge Forderungen entwickeln. Linkspopulistische Sprüche bringen niemanden weiter. Kommunistische und linke Parteien sollten sich auszeichnen durch die richtige Wahl ihrer Losungen zu den jeweils aktuellen Herausforderungen. Aktuelle Beispiele entwickeln diese Parteien z.B. in Belgien, Frankreich oder Luxemburg und stellen die heute entscheidende Aufgabe in den Mittelpunkt: Leben zu schützen statt Profite. Ebenfalls ein Beispiel ist der Aufruf „für solidarische Krisenlösungen - Gesundheit statt Profite“ eines breiten Personen-Bündnisses zur Mahnwache am 14. Dez. in Saarbrücken.

Saarbrücken, 29.12.20

Alternativen und Perspektiven der Arbeiterklasse und der sozialen Bewegungen

Veranstaltung mit Hans-Jürgen Urban dokumentiert

Auf den Seiten der Marx-Engels-Stiftung sind Vortrag und Vortragsfolien von Hans-Jürgen Urban online abrufbar.

Auf Grundlage des Vortrags erscheint auch ein Beitrag in den Marxistischen Blättern (Heft 2/2021).

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