Referat von Georg Fülberth auf dem Treffen des Netzwerk kommunistische Politik am 12.10.2024

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I.             Engpass oder Sackgasse des Kapitalismus?

Wenn der Kapitalismus sich neu sortieren muss, um in eine neue Phase überzugehen, finden sich Menschen, die sein Ende unmittelbar bevorstehen sehen. Seit dem Ausbruch der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise von 2007/2008 ist das wieder der Fall. Historisch Gebildete unter den Vertretern dieser Prognose zeigen sich zugleich reflektiert schüchtern: Ja, sie wüssten schon, dass das auch früher immer wieder einmal vorhergesagt wurde, aber es könne doch sein, dass es diesmal wirklich so weit sei.

Anlass für gegenwärtige Endzeit-Prophezeiungen ist häufig die gefährliche Erderwärmung. Manche sagen, innerhalb der Kapitalismus sei sie nicht zu stoppen, und befinden sich im Streit mit Anderen, die einen Ausweg in einer Kombination aus Markt und technischer Innovation für möglich halten. Auch die Abflachung der Wachstumsraten in den OECD-Staaten wird zuweilen als letztlich nicht mehr umzukehrende Tendenz hin zum allmählichen Erlöschen gesehen, flankiert mit der Erwartung, in den Staaten nachholender Entwicklung wie vor allem China werde das irgendwann auch noch kommen. In seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (1942) hat Joseph A. Schumpeter ein frühes Muster solcher Argumentation vorgelegt. Naomi Klein sieht in ihrer Schrift „Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima“ einen Antagonismus, der nur durch die Beseitigung der gegenwärtig herrschenden Produktionsweise aufgehoben werden könne. Ulrike Herrmann schlägt die Ersetzung der gegenwärtigen Form dieser Ausbeutungsordnung durch eine andere vor. Darüber ließe sich reden, nennte sie diesen Überging nicht forsch „Das Ende des Kapitalismus“. So heißt ihr Buch.

Marx sah das anders:

»Eine Gesellschaftsordnung geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind.«

Die Variante, dass eine Gesellschaftsordnung trübselig in sich zusammensinkt, fehlt hier. „Ende des Kapitalismus“ ist ja nun wirklich keine Verheißung. Es sei denn, etwas Neues entsteht. Ob es etwas Besseres ist, steht dahin. Gesagt wird nur, dass die „materiellen Existenzbedingungen“ schon „im Schoß der alten Gesellschaft ausgebrütet worden“ sind.

Wer sie gegenwärtig aufsucht, könnte auf das Eine oder Andere stoßen. Zum Beispiel die Allmende (Commons), die das Internet anbietet. Es ist aber in den Kapitalismus gut integrierbar und bietet Großeigentümern ein erweitertes Aktionsfeld. Die Leninsche Ansicht, in einer Revolution müssten die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen, lässt unter den aktuellen Umständen eine Umwälzung nicht erwarten. Amazon, Meta, Google und andere. sind in der Hand von Privateigentümern und können mit der Allmende gut umgehen. Und so lange ihre ärmere Kundschaft kostengünstig surfen kann, ist sie zumindest momentan nicht aufsässig. Die Frage nach dem subjektiven Faktor lassen wir also jetzt einmal.

Stattdessen empfiehlt es sich, die gegenwärtigen Misshelligkeiten als vierte jener Systemischen Krisen des Kapitalismus aufzufassen, in denen dieser bisher nie untergegangen, aber jeweils ein anderer geworden ist. Dadurch unterscheidet er sich von nur zyklischen Einbrüchen.

Erstmals geschah dies in der Großen Depression der Jahrzehnte 1873 bis 1896. Der Kapitalismus der freien Konkurrenz ging in den Organisierten Kapitalismus und den Imperialismus über, dessen internationale Konflikte sich in zwei Weltkriegen entluden. Der zweite Einschnitt war die Weltwirtschaftskrise ab 1929. Sie wurde überwunden durch eine Kombination von Zivil- und Kriegskeynesianismus. Roosevelts New Deal konnte die Massenarbeitslosigkeit dämpfen. Aber erst 1942, nach Beginn des Krieges mit Japan, sank sie unter fünf Prozent. In Deutschland prägten weit mehr als Wohnungs- und Autobahnbau Rüstungsinvestitionen die Konjunkturentwicklung. Reichsarbeitsdienst und die Einführung der Wehrpflicht senkten zusätzlich de Erwerbslosigkeit. Nach 1945 entfaltete sich im Westen ein ziviler Wohlfahrts-Keynesianismus, ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre abgelöst (nach der so genannten „kleinen“ Weltwirtschaftskrise von 1975) durch einen neuen Marktradikalismus („Neoliberalismus“).

Mit dem Einbruch 2008/2009 begann die vierte innerkapitalistische Transformationskrise. Sie ist bis heute nicht überwunden und durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

1. Überakkumulation von Kapital,

2. extreme Ungleichheit,

3. die Biosphärenkrise,

4. Kriegsgefahr wie vor 1914, jetzt verbunden mit

Gefahr der Selbstauslöschung der Menschheit (oder großer Teile von ihr) im Atomkrieg.

Zu Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts wurden in den USA und der EU riesige auch industriepolitische Vorhaben zwecks Bekämpfung der menschengemachten Erderwärmung angekündigt. Denkbar ist, dass dadurch auch Überakkumulation abgebaut werden könnte. Seit spätestens 2022 tritt ein neuer weltweiter Rüstungs-Keynesianismus hinzu, der den zivilen überlagern oder ersetzen könnte.

Es besteht die Gefahr, dass am Ende der gegenwärtigen Transformationskrise ein neuer großer Krieg steht. Selbst falls er vermieden werden sollte, wird wiederum der Kapitalismus danach ein anderer sein als vorher.

Dessen Umrisse sind gegenwärtig noch nicht recht sichtbar. Erschwert wird eine Vorhersage dadurch, dass die gegenwärtige Systemische Krise von einer weiteren, säkularen (ja, mehr als das) überlagert werden könnte. Möglicherweise geht gegenwärtig jener Typ dieser Produktionsweise zu Ende, der mit dem Industriekapitalismus (ab ca. 1780) einsetzte, jetzt aber tiefgreifend modifiziert wird. Nennen wir ihn: Kapitalismus 1.0. Er beruhte auf der Nutzung fossiler Energien und der Ausbeutung lebendiger Arbeitskraft. Erklärtes Ziel von Weltklimakonferenzen ist heute, den CO2 -Ausstoß dadurch zu senken, dass nicht mehr karbonisierte, sondern erneuerbare Energieträger genutzt werden. (Strittig bleibt die Verwendung von Kernkraft.) Schon seit der Ersten Industriellen Revolution begannen Maschinen in wachsendem Maß körperliche Arbeitsleistung zu ersetzen. Der Einsatz der Letzteren nimmt relativ ab, in absoluten Zahlen aber zu: aufgrund steigender Nachfrage nach ihr infolge rascher Ausbreitung des Kapitalismus im 19. und 20. Jahrhundert. In der Geschichte des ökonomischen Denkens drückte sich die wachsende Bedeutung der vergegenständlichten Arbeit im Verhältnis zur lebendigen darin aus, dass ab ca. 1870 die Arbeitswertlehre von Adam Smith, David Ricardo, Karl Marx weitgehend durch andere Theorien verdrängt worden ist, in denen auch das Sachkapital als Quelle des Reichtums der Gesellschaften betrachtet wird. Ende des 20. Jahrhunderts und im ersten Viertel des 21. erfasst die Digitalisierung einschließlich Künstlicher Intelligenz auch die geistige Arbeit.

Seit Beginn des Patriarchats und der Zivilisation im Neolithikum wurde die männliche Arbeitskraft als die allein produktive gesellschaftlich über die weibliche gestellt. Im Krieg hatten die Männer das Monopol auf bewaffnete Gewalttätigkeit, die Frauen waren Opfer, Begleitpersonen und Pflegerinnen. Im neuen Kapitalismus, in dem der Anteil von Männern verrichteter Arbeit bei der stofflichen Warenproduktion und -zirkulation sinkt und die Waffentechnik den nahezu ausschließlichen maskulinen Kriegseinsatz nicht mehr nahelegt, ist diese binäre Geschlechterordnung, von der das Monopol des weiblichen Gebärvermögens bleibt, in einer Krise. Die Gender-Diskurse vom Ende des 20. und Anfang des 20. Jahrhunderts spiegeln diese Transformationen.

Vorstellbar ist, dass ein Kapitalismus 2.0 natürliche Ressourcen mehr schont als derjenige in den Jahrhunderten seit der Ersten Industriellen Revolution und dass in ihm das Patriarchat endet. So lange er weiterbesteht, bleiben auch unter diesen veränderten Bedingungen: Profitmaximierung, periodisch auftretende Überakkumulation, Krisen und Kriege.

 

 II.            Die Wahlen von 2024, AfD und BSW

Vermeidungskoalitionen

Die drei ostdeutschen Landtagswahlen – der Verlauf der Wahlkämpfe und die Auswertungen danach – hatten und haben zwei Themen:

Zweitens das absehbare Ende der Ampel.

Jetzt der Reihe nach:

Spätestens nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt offen zutage, dass das deutsche Parteiensystem sich in einem Umbruch befindet. Nimmt man die deutschen Ergebnisse bei der Europawahl und die in diesem Punkt immer gleichen Resultate der Umfragen für den Bundestag hinzu, zeigt sich: Die Parteien, die ihrer Selbstdefinition nach sich als die (rechte oder linke) Mitte darstellen, brächten nach jetzigem Stand alleine keine Regierung mehr in den bisher auf Bundesebene praktizierten Kombinationen (Union/FDP etc., sozialliberal, Rot-Grün, Große Koalitionen, Ampel) zustande. Im Osten sind sie auf Unterstützung quasi von außen angewiesen. Man verhandelt (und kooperiert in Thüringen schon) mit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Zweck ist, die „Alternative für Deutschland“ (AfD) draußen zu halten. Es handelt sich um Negativbündnisse, Vermeidungskoalitionen. Wird durch Isolierung der AfD der Korridor, in dem die verbleibenden Fraktionen zusammenrücken müssen, immer enger, nimmt deren inhaltliche Politikfähigkeit ab: Sie können nur noch dort agieren, wo Schnittflächen zwischen ihnen bestehen. Damit schleift sich ihr Profil ab, an ihren Rändern entsteht Dissidenz, bisherige Wähler(innen) orientieren sich woandershin. So profitiert sogar das BSW vom Aufwuchs der AfD. Die von Sahra Wagenknecht 2018 gegründete Bewegung „Aufstehen“ war noch ein Fehlschlag. Auf das BSW richteten sich in den Landtagswahlen von 2024 Hoffnungen der rechten oder linken „Mitte“ und der dieser zugeneigten Medien, es werde der AfD Stimmen wegnehmen. Sie erwiesen sich inzwischen allerdings als trügerisch: Wichtiger waren Gewinne zu Lasten der SPD und der Partei „Die Linke“. Schon als das BSW-Projekt sich noch im Embryonalzustand befand, ahnten einige Freunde der bedrohten Mitte, es könne für Vermeidungskoalitionen gebraucht werden. Der Umgang mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht war sehr schonend, oft sogar wohlwollend. Die Welle, die so entstand, trug es ins Europaparlament und drei ostdeutsche Landtage. Ohne AfD-Panik wäre das wohl schwieriger gewesen.

Für einen historischen Moment wurde die „Alternative für Deutschland“ durch diese Entwicklungen insofern zum wichtigsten Machtfaktor zumindest im parlamentarischen und medialen Getriebe, als alle anderen sich nach ihr richten. Seit 2015 – der so genannten Flüchtlingskrise – besetzt sie ein massenwirksames Thema der politischen Agenda: die Migrationsfrage, und der Druck, der davon ausgeht, macht sichtbar, dass Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und SPD sich hier nicht mehr fundamental von ihr unterscheiden. Ursache und Wirkung sollten dabei auseinandergehalten werden: Bereits 1993 hat die Erosion des ursprünglichen Artikels 16 des Grundgesetzes begonnen, mit dem Asylkompromiss zwischen Union, FDP und SPD. Die AfD aber gibt es erst seit 2013.

Diese Langfrist-Betrachtung empfiehlt sich auch, wenn die Frage behandelt werden soll, wann die 2021 gegründete Ampelregierung enden wird: 2025 oder noch in diesem Jahr. Vorläufige Antwort: Sie war ohnehin nicht das wegweisende Zukunftsprojekt, als das sie sich in ihrem Koalitionsvertrag vorstellte. Es hat in der Realität nie bestanden. Die Ampel hatte also von Anfang an ihre Zukunft schon hinter sich. [1]

Was jetzt geschieht, macht diese Tatsache nur sichtbar.

Es empfiehlt sich deshalb, die Oberfläche der aktuellen Aufgeregtheiten zu verlassen und nach darunter liegenden systemischen Ursachen zu fragen.

Damit sind wir wieder beim Begriff der Systemischen Krise, über die ich vorhin gesprochen habe. Das muss ich nicht wiederholen. An einer Stelle muss es aber ergänzen. Die jetzige Krise ist nicht nur eine systemische krise, sie ist auch eine suspendierte Krise. Was ist da?

Antwort: Sie ist noch nicht an ihr Ende gekommenen, sie ist keine sogenannte reinigungskrise, nach der es wieder mit einem aufschwung weitergehen könnte. Die neue Form des Kapitalismus ist noch nnicht da. Deshalb der Eindruck einer lan dauenden Stagnation.

Es gibt noch keinen Ausweg aus der ständigen Zunahme der Ungleichheit.

In seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (frz. 2013, dt. 2014) konstatierte Thomas Piketty, dass die Ungleichheit zwischen Eigentümern enormer Vermögen sowie Beziehern riesiger Einkommen einerseits und den Unterklassen andererseits jetzt wieder so groß sei wie unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, der sie auf wenngleich katastrophale Weise verringerte, bevor die Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs ab 1933 in Deutschland und der Eintritt der USA in diesen 1941 die Große Depression überwanden. Eine solche Rosskur hält der Autor angesichts der atomaren Waffenarsenale nicht für tunlich und warnt vor einer Zerstörung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Diese Befürchtung muss etwas untersucht werden. Wenn die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, folgt daraus nicht notwendig politische Zerklüftung, und zwar dann nicht, wenn zugleich das Sozialprodukt so steigt, dass sich die Lage der Unterklassen hebt, auch wenn deren Vermögen (falls überhaupt vorhanden) und Einkommen hinter dem der Oberklassen zunehmend zurückbleibt. Versperren Stagnation oder Schrumpfung diesen Ausweg, ist der gesellschaftliche Zusammenhalt tatsächlich in Gefahr. In den eineinhalb Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg sank in Deutschland die Lohnquote, und die Klassenauseinandersetzungen verschärften sich. Fehlt – anders als damals – eine sozialistische Perspektive, entlädt populäre Unzufriedenheit sich nach rechts.

Dies gilt umso mehr, wenn Ungleichheit nicht nur im nationalen Rahmen betrachtet wird, sondern gegenwärtig im Verhältnis der OECD-Staaten zu den armen Gesellschaften an deren Peripherien. Hier führt deren Zunahme zu Massenmigration. Drängt diese in die mittlerweile stagnierenden Zentren, löst sie dort Abwehrressentiments aus, die innerhalb von deren traditionellen Parteiensystemen nicht mehr verarbeitetet werden können. Dies öffnet Chancen für den so genannten Rechtspopulismus, der auch faschistischen Kadern Wirkungsmöglichkeiten bietet.

Bleiben wir bei unserem Axiom (man darf es auch gern eine fixe Idee nennen), dass eine aktuell nicht mehr beherrschbare Überakkumulation von Kapital die Ursache Grund für die aktuelle systemische Krise ist, dann muss neben der Zunahme krasser Ungleichheit die Bedrohung der Biosphäre, am meisten thematisiert als drohende Klimakatastrophe, zu den Folgen gerechnet werden.

»Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ›ungeheure Warensammlung‹, die einzelne Ware als seine Elementarform.«(MEW 23: 49) Dieser erste Satz des Marxschen „Kapital“ liefert einen Einblick in die Problematik des Mensch-Naturverhältnisses, die sich gegenwärtig zuspitzt. Die Produktion der „ungeheuren Warensammlung“ plündert Ressourcen und belastet zusammen mit der Entsorgung Senken. Ob dies innerhalb des Kapitalismus vermeidbar sein wird, ist strittig und wird, falls überhaupt realisierbar, zumindest vorerst mit einem Investitionsaufwand verbunden sein, bei dessen Aufbringung sich die konfliktträchtige Frage stellt, wer die Hauptlast zu tragen hat. Wird der Druck von oben nach unten weitergegeben und fehlt eine handlungsfähige Linke, gibt es Morgenluft rechtsaußen und dicke Luft nach oben.

Ein weiteres Merkmal systemischer Übergangskrisen ist die Zunahme internationaler Konflikte mit Kriegsgefahr. Der Übergang in den Imperialismus ab ca. 1970 führte 1914 in den Ersten Weltkrieg, die Große Depression 1929 ff. in den Zweiten. Gegenwärtig kollidieren die Interessen der großen Mächte nicht nur im von den USA ausgerufenen Zweiten Kalten Krieg, sondern auch zwischen Verbündeten. Die Kappung kostengünstiger Energielieferungen aus Russland unter dem Druck der Vereinigten Staaten ist eine der Ursachen für wirtschaftspolitische Positionsverluste der Bundesrepublik. Das Nein der „Alternative für Deutschland“ zur antirussischen Politik von Ampel und Union, als Friedenspolitik deklariert, speist sich nicht nur aus Kriegsangst, sondern auch aus der Erfahrung von Wohlfahrtseinbußen und der Furcht vor ihnen. AfD und BSW haben hier eine Repräsentationslücke besetzt.

So stellt sich die Frage:

Wagenburg oder Durchbruch nach rechts?

In der Auseinandersetzung mit der Klimakrise ist an einen alten Begriff erinnert worden: New Deal. Heute heißt er Green. Er kennzeichnete nach 1933 u.a. die enormen Investitionsanstrengungen Franklin D. Roosevelts zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise. „Deal“ meinte aber zugleich, dass die Karten neu gemischt werden sollten. Das ist auch eine Art Umverteilung. Die fehlt bei Joseph Biden. Immerhin aber kündigte er zu Beginn seiner Amtszeit eine Investitionsoffensive an, ebenfalls Ursula von der Leyen zwecks Rettung des Klimas. Das war die Konstellation, auf die sich die Versprechen der Ampel 2021 gründeten. Der Nachteil solcher Unternehmungen besteht darin, dass ihre Umsetzung allenfalls langfristig wirkt und aktuelle Erwartungen nicht schnell erfüllt. Schon 2022 erfolgte die Umorientierung auf Kriegswirtschaft. Die versprochenen großen Investitionen sollen dorthin gelenkt werden. Das Klima-Thema tritt hinter die Sicherheitspolitik und Förderung der je nationalen Wettbewerbsfähigkeit zurück. Das ist die Agenda für eine nunmehr von den Leitmedien propagierte neue Koalition der Mitte, die nach der Bundestagswahl von 2017 kurzfristig möglich schien und 2018 scheiterte: ein schwarzgrünes Bündnis oder – unter Einbeziehung der FDP – Jamaika. Robert Habeck treibt den Umbau seiner Partei in dieser Richtung voran. Lässt die Union sich darauf ein, wird ihre offene Flanke hin zur AfD noch größer.

Diese ist mittlerweile eine in der Gesellschaft fest verankerte Partei, gestützt auf breite rechtspopulistische (protektionistische und fremdenfeindliche) Strömungen, geführt und auch von außen beeinflusst von politischen und intellektuellen Kadern, zu denen Faschisten gehören. Ihre Stabilität zeigt sich daran, dass sie nicht von einer als unentbehrlich erscheinenden Person abhängig ist, deren Wegfall ihre Fortexistenz in Frage stellten würde.


Ganz anders das BSW, eine top-down zusammengestellte, nach seiner Urheberin, ohne die sie gegenwärtig nicht denkbar wäre, benannte Gruppe. Ihre Mitglieder werden derzeit noch durch Kooptation rekrutiert. Wie einst die WASG beschränkt die Kaderauswahl sich auf Personal aus dem gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Bestand, zu dem nunmehr auch Teile der Linkspartei gerechnet werden können. Robert Crumbach in Brandenburg, Katja Wolf in Thüringen und Sabine Zimmermann in Sachsen gehören dazu. Ob dieser Rahmen in Zukunft überschritten werden kann, ist noch unsicher. Stabilisiert sich das BSW in solchen Grenzen, wäre das Ergebnis eine Spaltung des insgesamt geschrumpften sozialdemokratischen Potentials, das sie sich mit der der SPD zu teilen hätte. Parallelen mit Frankreich und der Funktion von Jean-Luc Mélenchons „La France Insoumise“ liegen nahe.

Ob eine Wagenburg der Mitte im Bund gegen die AfD, ohne sich (anders als in Ostdeutschland) auf das BSW als Krücke stützen zu müssen, Chancen hat, hängt auf längere Sicht nicht von ihr selbst ab, sondern von den (am Gelingen oder Ausbleiben eines Aufschwungs messbaren) ökonomischen Realisierungschancen ihres Projekts. Rüstung und internationale Wettbewerbsfähigkeit haben Priorität. Biosphären- und Sozialpolitik sind ihnen untergeordnet, können aber aus Gründen der Systemstabilisierung nicht völlig aufgegeben werden.

Es muss nicht für alle Zeit Jamaika oder Schwarzgrün sein. Die Einbeziehung der SPD wird sich vielleicht schon 2025 nicht vermeiden lassen. Ein faschistoider Block rechtsaußen wird zur neuen Realität gehören. Ursula von der Leyen probiert in der EU bereits Arrangements mit ihm, in Ostdeutschland werden zumindest auf kommunaler Ebene auf Druck der Basis Löcher in der Brandmauer größer werden. Das Neben-, Mit- und Gegeneinander von ÖVP und FPÖ in Österreich könnte irgendwann in Deutschland eine Entsprechung finden.


Herbert Wehner hätte solche noch recht harmlosen Vorstellungen aufgrund seiner historischen Erfahrungen vielleicht als Wunschtraum von Milchreis mit Zucker und Zimt beargwöhnt. Er konnte sich jähe Durchbrüche nach rechts noch vorstellen, etwa, falls künftig Faschisten die AfD vollends übernehmen sollten und die Union hinterhertaumelt. 

Der Aufstieg des Rechtspopulismus und die Koalitionen, die gegen ihn versucht werden, haben eine gemeinsame Voraussetzung: die seit dem letzten Viertel des 20.Jahrhunderts durchgesetzten marktradikalen nationalen und internationalen Ungleichheitsverhältnisse. Wem deren Wirkungen nicht passen, sollte sich um ihre Ursache kümmern. Das Spektakel liberale Mitte gegen illiberale Rechte relativiert sich.

 III Was tun?

 Bis 1990 bekannte sich die DKP zu dem Thälmann-Wort, das Kriterium eines Kommunisten/einer Kommunistin sei deren Haltung zur Sowjetunion. Das ist ja nun entfallen und sollte nicht durch einen neuen Großen Bruder, zum Beispiel China, ersetzt werden.

Als zweiter Punkt kommunistischer Identität galt: die DKP sei Partei der Arbeiterklasse. Ob sie das wirklich ist, müsste die Arbeiterklasse entscheiden. Man kann sich nicht selbst dazu erkennen.

Fallen die Identitätspunkte 1 (Sowjetunion) und 2 (Partei der Arbeiterklasse) weg, was bleibt dann?

Man sollte nicht zum Kostümverleih gehen und sich anderer Leute Kleider anziehen. Obwohl Friedrich Engels ein früher Ökologe war, hat die DKP dieses Erbe spätestens dann geschädigt, als sie mit Rücksicht auf DDR und UdSSR sich gegenüber der Anti-AKW-Bewegung isolierte.

August Bebel und Clara Zetkin erarbeiteten einen marxistischen Feminismus. Während wir das Geschlechterverhältnis im Register „Nebenwiderspruch“ ablegten, wurde die Neue Frauenbewegung ab 1975 eine bürgerliche.

Glaubwürdig bleiben wir als Partei der Friedensbewegung.

Im Kapitalismus 2.0 (siehe oben) wird die alte Handarbeiterklasse nicht verschwinden, aber nicht die einzige progressive Kraft sein. Hier ist vielleicht Hans Jürgen Urbans Konzept einer „Mosaiklinken“ bedenkenswert. Gemeint ist ein Bündnis zwischen u.a. Arbeiterbewegung, Umweltbewegung, Friedensbewegung. Unser Platz wäre wohl am Scharnier zwischen Arbeiterbewegung und Friedensbewegung.

Vielleicht wird es Umschichtungen geben:

Habeck entsorgt gerade die Umweltbewegung. Funktionäre der Grünen Jugend haben ihre Partei verlassen und zeigen Nähe zur Partei „Die Linke“. Diese will eine linksliberale Bewegungspartei werden. Die Frage von Krieg und Frieden hat sie aus dem Katalog der von ihr vorrangig zu bearbeitenden Themen gestrichen. Dieses Problem sollte nicht AfD und BSW allein überlassen bleiben. Hier hat die DKP eine Aufgabe in der Gegenwart.

Wer engagiert sich gegenwärtig wo?

Ungleichheitsbekämpfung: Die Linke, Gewerkschaften, Sozialverbände.

Umweltbewegung: Nach der Absetzbewegung der Grünen ist sie außerparlamentarisch geworden. Friedensbewegung wurde schwächer, lebt aber.

Nötig ist eine Instanz, die Umweltbewegung, Bewegung gegen Ungleichheit und Friedensbewegung zusammenbringt. Wir, die DKP, sind diese Instanz nicht. Aber wir sollten uns an ihrer Herausbildung beteiligen. Zu den Qualifikationen, die wir uns in der Vergangenheit erarbeitet haben, gehört die Bündnisfähigkeit. Sollte sie mittlerweile Schaden genommen haben, sollte sie wiederhergestellt werden. Bilanzieren wir realistisch, wirken Kommunistinnen und Kommunisten derzeit dort am meisten, wo sie als Individuen in Bündnissen tätig sind. Die Partei sollte Ort des Erfahrungsaustauschs darüber sein, von dem dann auch Impulse nach außen gehen könnten.

Das sind kleine Brötchen. Größere gibt es gerade nicht.



[1]          Siehe: Neue Farben des Fortschritts? Umbrüche, Machtverschiebungen und ungelöste Krisen der Gegenwart. Köln: PapyRossa Verlag 2022.

 

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