Bundesverwaltungsgericht stärkt Verteidiger des freien Sonntags
13.06.2017: „Kein verkaufsoffener Sonntag ohne Sachgrund“, urteilte das Bundesverwaltungsgericht am 17. Mai und verwarf die Vorentscheidungen. Geklagt hatte ver.di Rheinland-Pfalz wegen einer Sonntagsöffnung am 29. Dezember 2013 in Worms.
Die vom Bundesverfassungsgericht und vom BVerwG gesetzten Kriterien hierfür sind im Ladenöffnungsgesetz von RLP nicht ausdrücklich benannt. Daher glauben viele Kommunen, alleine die Forderung von Handelskonzernen und örtlichen Zusammenschlüssen reiche, um bis zu viermal jährlich die Sonntagsruhe dem Umsatz- und Erwerbsinteresse und dem angeblichen Shoppinginteresse der Kundschaft unterordnen zu dürfen. Bedenken von Gewerkschaften und Kirchen landen regelmäßig im Papierkorb. Auch im Mai starteten Karstadt und Kaufhof sowie der Handelsverband Deutschland (HDE) die Kampagne „Selbstbestimmter Sonntag“ für eine generelle Sonntagsöffnung. Entgegen der verfassungsrechtlichen Situation wollen sie sonntags die Geschäfte öffnen. Unterstützt werden sie dabei von der FDP.
Die Rheinland-Pfälzische Sonntagsallianz wies alle Kommunen schriftlich darauf hin, daß u.a. ein Anlaß gegeben sein muß, der alleine mehr Menschen anzieht als die Ladenöffnung. Unter diesem und anderen Kriterien können sie viermal jährlich genehmigen, müssen es aber nicht. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf. Beispiele für zusätzliche Rücksichtslosigkeit gegenüber den Beschäftigten, überwiegend Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, lieferten die SPD-regierten Städte Worms und Mainz. Statt wie viele andere ein wenig mehr „Luft“ zu haben „zwischen den Jahren“, mußte das Wormser Personal nach stressigem Weihnachtsgeschäft zwei Tage nach den Feiertagen sonntags wieder an Kassen sitzen usw. Der 1. Mai 2017 fiel auf Montag. Der Kalender bescherte vielen Beschäftigten im Handel zwei planbare Tage frei hintereinander. Nicht aber in Mainz, wo am 30. April die Geschäfte öffneten.
In Bad Kreuznach hat die lokale Sonntagsallianz die politisch Verantwortlichen der Stadt aufgefordert, nach dem Urteil zu Worms erlassene Genehmigungen zurückzuziehen und keine neuen zu erteilen, die nicht der Rechtslage entsprechen. Ob das hilft oder hier wie anderswo erst reagiert wird, wenn geklagt wird, bleibt abzuwarten. Bis dato konnte in der SPD-geführten Stadt erreicht werden, daß für keinen Adventssonntag mehr Shoppingrummel genehmigt wird.
Reagiert haben auch Handelskonzerne und der HDE. Sie starten eine Kampagne für den „Selbstbestimmten Sonntag“. Der Name allein klingt wie Hohn auf die Verhältnisse im Handel, wo vor allem Frauen mit dem Wunsch nach existenzsichernder längerer Teil- oder gar Vollzeit von ein bißchen mehr Selbstbestimmung nur träumen können. Ebenso Hunderttausende, die nur auf Abruf arbeiten dürfen, was jede persönliche Lebensplanung vereitelt. Nein, die Konzerne wollen alleine bestimmen, wann und wie oft sie auch sonntags ihre Geschäfte öffnen dürfen und ihre Angestellten arbeiten müssen. Um ihre Interessen durchzusetzen, behaupten sie sogar, das Einkaufen sei mittlerweile ein Freizeitvergnügen wie andere auch. Deshalb müßten ihre Läden wie Cafés, Kinos, Theater, Sportstätten usw. sonntags offen sein. Sie zeichnen das Zerrbild von Menschen, die mit ihrer Freizeit nichts anderes mehr anzufangen wissen als zu shoppen.
Vor den Karren der Konzerne lassen sich viele lokale Einzelhändler spannen, wie im Rheinhessischen Alzey. Dort fordert der Verkehrsverein „Waffengleichheit“ gegen den Internethandel, dessen wichtigster Einkaufstag der Sonntag sei. Daß der Geschäftsführer des Kaufhofs im benachbarten Bad Kreuznach die Verdoppelung seines Internethandels im Weihnachtsgeschäft feierte, hält diese „Kämpfer“ ebenso wenig zurück, für Kaufhof und Co. ihr Personal sonntags in die Schlacht um die begrenzte Kaufkraft zu schicken, wie das Urteil bezüglich dieser Praxis im benachbarten Worms.
Reagiert auf die Kampagne hat auch Arbeitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) in Mainz. Sie wies das Ansinnen zurück und hält an den bisherigen Regelungen fest. Die in der Sonntagsallianz zusammengeschlossenen Kirchen und Gewerkschaft wehren sich gegen den Vorstoß von Warenhaus- und Einkaufszentrumsbetreibern. Nach Erfahrung der Sonntagsallianzen fehlt es aber fast komplett an Kontrollen durch die zuständigen Landesbehörden.
Das Urteil sollte der Landesregierung Anlaß sein, hier endlich den Arbeitsschutz und das Interesse der Menschen an gemeinsamer und planbarer Freizeit wieder über den Konkurrenzkampf im Handel zu stellen. Nicht nur für Rheinland-Pfalz sind die Kampfbedingungen für den freien Sonntag mit dem Urteil (BVerwG 8 CN 1.16) besser geworden.
txt: Volker Metzroth