Portugal: Sozialistische Partei stellt Regierung

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29.11.2015: Nach langen Querelen ist am 25. November eine Regierung unter Sozialistenchef Antonio Costa gebildet worden. Bis zuletzt hatte Staatspräsident Anibal Cavaco Silva versucht, dies zu verhindern. Die Minderheitsregierung der Sozialistischen Partei hat mit jeder der drei anderen Linksparteien ein separates Abkommen geschlossen, um im Parlament eine absolute Mehrheit zu garantieren. "Einen neue Phase in der nationalen Politik ist nun eröffnet", erklärte die Kommunistische Partei (PCP). Das Regierungsprogramm beinhaltet keine Transformation, begründet der Linksblock den Nichteintritt in die Regierung.

Bis zuletzt hatte Staatspräsident Anibal Cavaco Silva versucht, eine Regierungsbildung durch die Sozialisten zu verhindern. Er setzte darauf, dass die politische Linke in Portugal seit der Nelkenrevolution im Jahr 1974 tief gespalten ist. Doch nach der Wahl geschah das spektakuläre: Der Widerstand gegen die strikte Sparpolitik der Rechtsregierung unter Passos Coelhos führte die Linke zusammen. Seit Portugal 2011 ein Hilfspaket im Umfang von 78 Milliarden Euro erhalten hat, hielt sich die Rechtsregierung exakt an die Sparauflagen aus Brüssel – und verlor dann bei der Wahl im Oktober die Mehrheit im Parlament. (Wahl in Portugal)

Linke überwindet die Gräben
Für Catarina Martins, Vorsitzende des Linksblocks, sind zwei Tatsachen ausschlaggebend für das Zusammengehen: "Das eine ist, dass die Rechte jetzt eine sehr extreme Rechte ist, so dass die Sozialisten, die als Partei der Mitte normalerweise mit der Rechten koalieren, jetzt die Notwendigkeit empfinden – oder zumindest einige von ihnen finde es nötig – mit anderen Leuten zu sprechen. Denn die schnelle Zerstörung von Arbeiterrechten und des Sozialstaats ist etwas, was ein Alarmsignal in den Köpfen einiger Sozialisten auslöst. Eine andere sehr wichtige Sache ist das Ergebnis der Wahl. Eine Million Menschen stimmten für die Linke und wollen einen Wechsel – aber sie wollen nicht wieder die Sozialisten in der Regierung. Jetzt sind Linksblock und die Kommunistische Partei im Parlament stark genug, um eine Vereinbarung mit der Sozialistischen Partei zu treffen."

Am 10. November brachten die Abgeordneten der Sozialistische Partei PS, des marxistisch orientierten Linksblocks BE (Mitglied der Partei der Europäischen Linken), der Portugiesischen Kommunistischen Partei PCP, der Ökologisch-Grünen Partei PEV und der Partei für Tiere und Natur PAN die rechte Minderheitsregierung per Misstrauensvotum zu Fall. (siehe Linke Mehrheit stürzt Regierung und legt eigenes Regierungsprogramm vor

Silva stellt Bedingungen
Aber Staatspräsident Silva weigerte sich hartnäckig, den Sozialistenchef Antonio Costa mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Nach zwei Wochen des Zögerns gab er dann nach. Nicht ohne vorher noch Bedingungen zu stellen. Costa müsse eine "dauerhafte, glaubwürdige und stabile Regierung" bilden, forderte der Präsident in einem am Montag (23.11.2015) veröffentlichten Schreiben. Auch müssten Zweifel am Budget für 2016 und die Einhaltung der EU-Defizitregeln ausgeräumt werden. Erst nachdem Antonio Costa die Einhaltung eines strengen Sechs-Punkte-Plans zusagte, bekam er den Regierungsauftrag.

Für den kommunistischen Abgeordneten João Oliveira, eine weitere Verletzung der Verfassung durch den Staatspräsidenten, um die Rechtsparteien an der Regierung zu halten. Erst habe Anibal Cavaco Silva “eine politische Krise geschaffen, indem er die Rechtsregierung ernannt hat. Nun hat der Präsident bestätigt, dass er direkt bis zur letzten Minute versucht hat, den rechten Flügel in der Macht zu halten. Er hat dabei sogar in Betracht gezogen, die Rechtsparteien als ein Übergangskabinett und im Gegensatz zum Willen der portugiesischen Bevölkerung, wie er in den Wahlen ausgedrückt wurde, im Amt zu halten."

Am Dienstag (24.11.2015) wurde dann Costa mit der Regierungsbildung beauftragt, der umgehend seine Ministerliste vorstellte: 17 Minister, darunter lediglich vier Frauen. (Bild links: Vereidigung der Regierung)

Bei der Vereidigung der Regierung am Donnerstag forderte Staatspräsident Silva die neue Regierung noch einmal in provokativer Weise auf, Portugals Verpflichtungen gegenüber der EU und den Finanzmärkten einzuhalten. Wenn Portugal neue Schulden anhäufe, werde das dem Vertrauen in die Wirtschaft des Landes Schaden zufügen. Auch seien seine Bedenken hinsichtlich der Stabilität der neuen Regierung nicht ausgeräumt worden, beklagte der Präsident.

Antonio Costa: gemäßigte Linie
Der neue Regierungschef betonte bei seinem Amtsantritt, seine Regierung werde keine radikale, sondern eine gemäßigte Linie verfolgen. Er betonte aber auch, dass der wichtigste Ansprechpartner der Regierung nicht der Präsident sei, sondern das Parlament.

"Die Priorität ist wirtschaftliches Wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Reduzierung der Ungleichheit“, sagte der sozialistische Politiker bei seiner Amtseinführung. Diese Maßnahmen würden es erlauben, "auf gesunder Grundlage die öffentlichen Haushalte auszugleichen“. Zugleich kündigte er ein "moderates“ Programm an, das die europäischen Haushaltsvorgaben respektieren werde.

Vereinbarungen mit den Parteien der radikalen Linken
Die sozialistische Minderheitsregierung hat mit jeder der drei Linksparteien ein separates Abkommen geschlossen, um im Parlament eine absolute Mehrheit zu garantieren. Die Vereinbarungen halten fest, dass die Gehaltskürzungen und Sondersteuern der vergangenen Jahre schrittweise zurück genommen und Niedrigrenten erhöht werden sollen. Diese Maßnahmen sollen keine negativen Auswirkungen auf den Staatshaushalt haben, weil die Mehrausgaben bzw. Mindereinnahmen durch Steuersenkungen für niedrige Einkommen durch andere politische Maßnahmen ausgeglichen werden: An anderer Stelle werden Kürzungen vorgenommen, die Steuereinnahmen werden durch eine progressive Besteuerung von Einkommen erhöht; zudem fördert die Steigerung des verfügbaren Hinkommens der Arbeiterhaushalte den Konsum, schafft dadurch mehr Wachstum und trägt somit zu höheren Staatseinnahmen bei. (siehe Linke Mehrheit stürzt Regierung und legt eigenes Regierungsprogramm vor)

PCP: "neue Phase der nationalen Politik"
Für Jerónimo de Sousa, den Generalsekretär der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP), ist nun "eine neue Phase in der nationalen Politik eröffnet, die in der Lage ist, viele der drängenden Probleme der Arbeiter und des portugiesischen Volkes zu beantworten“. Mit der Regierungsbildung durch die Sozialistische Partei eröffnet sich die "Möglichkeit, begrenzte, aber dennoch wichtige Schritte zu unternehmen", um den Kurs der zurückliegenden Jahre umzukehren. Diese Möglichkeiten "kann und darf nicht vertan werden", so die Kommunisten. Jerónimo de Sousa bekräftigt aber auch, "dass damit das wesentliche Ziel eines Bruchs mit der Politik der Rechten und der Einführung einer patriotischen und linksorientierten Politik nicht wegfällt, sondern im Gegenteil erforderlich ist". (In Portugal beginnt eine neue Phase der nationalen Politik)


Linksblock: Frage der Verschuldung auf die Tagesordnung setzen
Catarina Martins
erläutert, dass die Vereinbarung des Linksblocks mit der Sozialistischen Partei auf drei zentralen Punkten beruht:

  1. Stopp der Lohn- und Rentenkürzungen und schrittweise Zurücknahme dieser Kürzungen. So werden zwar zum Jahresbeginn aufgrund eines Gesetzes der alten Regierung die Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt, im ersten Quartal werden allerdings dann 25% der Kürzungen zurückgenommen, 50% im zweiten, 75% im dritten, und in den letzten drei Monaten des Jahres 2016 werden die Gehälter wieder voll hergestellt sein.
  2. Schutz des Sozialstaates und Stopp der Privatisierung der strategischen Wirtschaftssektoren.
  3. Wiederherstellung der Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte, wie z.B. des uneingeschränkten Rechts auf Tarifverhandlungen und Kollektivverträge.

Martins ist optimistisch, dass diese Politik durchgesetzt werden kann, denn institutionell gibt es eine "klare Mehrheit im Parlament zu Unterstützung der Regierung der Sozialistischen Partei". Das sei allerdings nur die eine Seite, meint die Vorsitzende des Linksblocks. Denn es gebe auch eine "externe Ebene". Und da bestehe sowohl Hoffnung wie auch Sorge. "Wir haben Hoffnung wegen der Bevölkerung, die sich darauf freut, dass wir dabei sind dieses Land zu verändern. Wir haben aber auch Sorge wegen des Finanzsektors, der Europäischen Union."

Zwar sei das Programm der Sozialistischen Partei kein Programm der Transformation, wie es das erste Regierungsprogramm von SYRIZA gewesen sei, sagt Martins, aber sie ist der Überzeugung, dass Portugal eine "andere Position in Europa benötigt", um die Gehälter und Renten wieder herzustellen und den Sozialstaat zu schützen. "Wir müssen das Problem der Verschuldung angehen", sagt sie. Deshalb sei ein wichtiger Punkt der Vereinbarung mit der Sozialistischen Partei, dass sich die PS-Regierung verpflichtet, die Auslandsschulden und die Zahlbarkeit dieser Schulden zu untersuchen. "Dies wird uns technische Informationen darüber geben, wieviel wir von diesen Schulden und wie wir dies bezahlen können", sagt Martins. Dies sei wichtig für die beginnende Debatte in der portugiesischen Gesellschaft über die Auslandsverschuldung, denn die Verschuldung ist riesig und muss angegangen werden.

Martins: "Deshalb können wir nicht in die Regierung eintreten"
Auf die Frage, warum sich der Linksblock nicht an der Regierung beteiligt, antwortet Martins: "Die Vereinbarung stoppt die Absenkung der Löhne und Renten und stoppt den Verarmungsprozess. Aber sie transformiert nicht die Wirtschaft. Wir haben immer gesagt, dass wir eine Restrukturierung der öffentlichen Schulden brauchen, um die Mittel zur Beantwortung der grundlegenden Fragen - wie z.B. dem Problem, dass es 700.000 arbeitslose Menschen gibt, die keinerlei Einkommen haben, oder die Erhöhung der Renten die unterhalb der Armutsgrenze liegen - zu bekommen. Diese Art von Fragen ist in der Vereinbarung nicht enthalten. Und deshalb unterstützen wir im Parlament eine Regierung der Sozialistischen Partei, aber es ist keine Koalitionsregierung; wir sind nicht in der Regierung. Die Vereinbarung schafft Bedingungen für Stabilität, weil sie die Verarmung stoppt und den Sozialstaat schützt, aber das geht nicht weit genug. Sie beinhaltet keine Transformation, für die wir stehen. Deshalb können wir nicht in die Regierung eintreten."

Bleibt nach Athen jetzt Lissabon alleine?
Auf die Linke in Portugal und ganz Europa kommen neue Herausforderungen zu. Mit der erforderlichen Rekapitalisierung der Banken sind große Unsicherheiten verbunden, wie die Europäische Union auf die Vereinbarung der Sozialistischen Partei mit den Parteien der radikalen Linken reagieren wird. Die Erpressung der Regierung in Athen hat jedermann deutlich vor Augen geführt, dass die Europäische Union im Bündnis mit dem Internationalen Währungsfond alle Mittel einsetzt, um eine Linksregierung in die Knie zu zwingen. Der Internationale Währungsfond hat bereits vor der Wahl seine Forderungen an die neue Regierung in Lissabon veröffentlicht. Portugal müsse sich "ambitionierte Ziele" setzen, damit die öffentliche Verschuldung bis 2019 auf 107% sinkt. (siehe Krimineller Akt gegen die Demokratie)

Je nach dem, wie die Antwort der portugiesischen Regierung ausfällt, wird dies Konsequenzen für die Zukunft der Vereinbarungen haben. Ebenso, wenn Portugal die Defizitobergrenze des Euroraums wieder reißen sollte. Dann wird der Druck der Eurogruppe auf die Sozialisten zunehmen, neue Sparmaßnahmen umzusetzen. Es ist nicht anzunehmen, dass Kommunisten und Linksblock eine Rückkehr zur Sparpolitik mitmachen würden.

"Deshalb noch einmal: Ich denke, dass uns die Existenz einer Gruppe zur Verhandlung über die Schulden mehr Instrumente in die Hand gibt, um mit dem Druck umzugehen, dem die Regierung unzweifelhaft von Seiten der Europäischen Union ausgesetzt sein wird", sagt Catarina Martins zum Schluss des Interviews.

Für die Linke in Europa stellt sich die Frage, ob sie aus der Niederlage der SYRIZA-Regierung gelernt hat oder auch jetzt wieder nur als Zuschauer und Kommentator das spannende Geschehen beobachtet.

txt: lm
fotos: Chris Dodds, Linksblock, PCP, PS /Flickr


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