Frankreich: Regierung Valls 2 – Stoßtrupp des Neoliberalismus

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Manuel Valls 201306.09.2014: Die Rentrée, der Wiederbeginn des Alltags nach den Sommerferien, steht dieses Jahr in Frankreich im Zeichen heftiger innenpolitischer Debatten. Am 25. August war die sozialdemokratische Regierung Valls unerwartet auseinandergebrochen. Nur 146 Tage, nicht einmal ganz fünf Monate war sie im Amt, nachdem die Vorgänger-Regierung Ayrault am 1. April wegen der schlechten Wahlergebnissen für die „Sozialisten“ bei den Kommunal- und Europawahlen in die Wüste geschickt worden war. Valls reichte den kollektiven Rücktritt der Regierung ein und wurde von Staatspräsident Hollande umgehend mit der Bildung einer neuen beauftragt. Schon einen Tag später wurde sie installiert, deutlich noch stärker unternehmerfreundlich und auf den neoliberalen Sparzwang festgelegt, aber auch mit deutlich geschrumpfter politischer Basis.

Auslöser der Regierungskrise war die Kritik des sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Montebourg an dem von Hollande vorgegebenen Sparkurs. Unter Verweis auf das Nullwachstum der französischen Wirtschaft hatte Montebourg in einem Interview gesagt, „die dogmatische Reduzierung des Defizits, die uns zur Sparpolitik und zu einem fortgesetzten Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat“, müsse auf den zweiten Platz gestellt werden. Vorrang hätten Maßnahmen für einen Ausweg aus der Krise. En passant kritisierte er dabei auch den von der deutschen Kanzlerin inspirierten Sparkurs in der EU, dem sich Hollande unterordnet. Bildungsminister Hamon schloss sich mit ähnlichen Äußerungen Montebourgs Kritik an.

Das war für Regierungschef Valls und Staatspräsident Hollande offensichtlich zu viel. Sie verständigten sich auf ein scharfes Durchgreifen. Das sollte „Stärke“ demonstrieren, war aber in Wahrheit nur ein Symptom für die politischen Schwäche dieses Kurses. Die ergibt sich daraus, dass die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung seit langem verloren gegangen ist. Seit Valls Regierungsantritt vor fünf Monaten hat die Kritik deutlich zugenommen. Nicht zuletzt in den eigenen Reihen der regierenden „Sozialistischen Partei“ (PS) und sogar in der eigenen Parlamentsfraktion. Die Zahl der „Frondeure“, die dem Hollande-Kurs die weitere Zustimmung zu verweigern drohten, wuchs. Das scharfe „Durchgreifen“ war daher nicht zuletzt ein Akt der Disziplinierung gegenüber den restlichen PS-Abgeordneten.

Ein Rothschild-Banker als Wirtschaftsminister

Das charakteristische Merkmal der neuen Regierung Valls 2 ist die Ernennung des 36 jährigen Emmanuel Macron zum Wirtschaftsminister. Dieser Mann kommt aus dem Management des einflussreichen französischen Privatbankhauses Rothschild und verfügt daher über beste „Beziehungen“ in die Finanzwelt, die von Hollande vor zweieinhalb Jahren im Präsidentenwahlkampf noch als Hauptfeind angeprangert worden war. Macron gehört zum rechtesten Flügel der „Sozialistischen Partei“. Zuletzt als wirtschaftspolitischer Berater Hollandes im Präsidentenamt tätig, war er wohl der eigentliche Erfinder des von Hollande vertretenen Wirtschaftskurses, der im Widerspruch zu seinen früheren linken Wahlaussagen beflissen den Wünschen und Forderungen der führenden Unternehmerkreise nachgibt.

Mit der neuen Regierung sei eine „zusätzliche Etappe in der Ersetzung der ursprünglichen sozialdemokratischen Linie durch eine entschieden sozialliberale Position durchquert“ worden, schrieb die großbürgerliche Tageszeitung „Le Monde“. Tatsächlich wird diese Regierung nun fast nur noch vom rechten Parteiflügel der PS getragen. Zwei Minister und zwei Staatssekretäre der „Radikalen Partei“ (früher „Radikalsozialisten“) sind die einzig übrig gebliebenen „Partner“. Versuche Valls‘, bei der Regierungsbildung die Grünen oder andere Linke bis hin zum ehemaligen KP-Vorsitzenden Hue, der inzwischen zum aktiven Unterstützer Hollands mutiert ist, in die Regierung einzubinden, sind gescheitert. Die Kritiker bezeichneten die neue Regierung deshalb sicher nicht zu Unrecht als „liberales Schockkommando“ und als „Söldnertruppe für den Sparzwang“, eine „Regierung der Patrons“.

Symptomatisch für diese Regierung und ihren künftigen Kurs war auch der direkt am Tag nach der Regierungsbildung folgende Auftritt des alten und neuen Premiers vor der „Sommeruniversität“ des Unternehmer-Dachverbands MEDEF. Valls wurde dort laut „Le Monde“ mit „standing ovations“ empfangen. MEDEF-Chef Gattaz zeigte sich über die jüngste Wendung in der französischen Innenpolitik „hochzufrieden“. Valls seinerseits revanchierte sich mit einer wahren Liebeserklärung an die versammelten Unternehmer. Frankreich brauche seine Unternehmen, und zwar alle, schmeichelte er den Firmenbossen, mit denen in den letzten Monaten zwar kein Wirtschafsaufschwung und keine neuen Arbeitsplätze geschaffen wurden, dafür aber die Dividenden an die Aktienbesitzer im vergangenen Jahr um 30 Prozent erhöht hatten. Ohne ein kritisches Wort an ihre Adresse verkündete er wörtlich: „Ich selbst, ich liebe die Unternehmen“.

Inzwischen wurde bekannt, dass Valls beabsichtigt, sich vom Parlament demnächst eine Art Ermächtigungsgesetz zu verschaffen. Damit soll ihm ermöglicht werden, künftig verschiedene Fragen des Arbeits- und Sozialrechts künftig per Regierungsdekret zu regeln, ohne dass darüber im Parlament beraten und beschlossen werden Muss. Einer Vertrauensabstimmung im Parlament will sich Valls frühestens im Oktober stellen.

Unter diesen Umständen sind die Kräfte links von PS, vor allem Kommunisten (PCF), Linkssozialisten (Parti de Gauche) und die in der „Linksfront“ vereinigten Kräfte mit der Frage konfrontiert, welcher Weg gefunden werden kann, um eine linke Alternative zu dieser Regierungspolitik durchzusetzen (siehe dazu Textauszug unten).

Text: Pierre Poulain (aus UZ vom 05.09.2014)   Foto: Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons

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Erklärung Pierre Laurent, Nationalsekretär der PCF, vom 26. August

„Der Rücktritt der Regierung Valls ist ein schrecklicher Befund des Scheiterns. Die seit fünf Monaten praktizierte Politik erreicht keinerlei Ergebnis. Frankreich versinkt in der Krise, weil es in der Sackgasse des Sparzwangs, der Senkung der Löhne und der Kaufkraft, der Geschenke ohne Gegenleistung an die Dividenden und das Kapital versinkt. Unfähig, die Franzosen, die Linke und auch nur die Sozialisten hinter dieser Politik zu sammeln, bekommt Manuel Valls jedoch das Mandat des Präsidenten der Republik, darauf zu beharren mit einer ihm ergebenen und noch rechteren Mannschaft. Autoritarismus und die Flucht nach vorn sind also die einzige Leitlinie der Exekutive. Das Scheitern, ein weiteres Mal, steht bevor.

Es ist nicht möglich, das einfach geschehen zu lassen. Denn der für das Land zu bezahlende Preis ist schon hoch und wird noch höher werden. Angesichts von soviel Dogmatismus und Leichtfertigkeit, der Missachtung der Wähler genügen kritische Worte nicht mehr, so richtig sie sein mögen. Für alle diejenigen, die diesen selbstmörderischen Kurs ablehnen, ist die Zeit gekommen, in Aktion zu treten, gemeinsam zu debattieren und zu handeln, die Linke und das Volk zu sammeln, um eine andere Politik zu entwickeln, mit einer anderen Mannschaft, entschlossen, anzuknüpfen an den Erfordernissen der sozialen Wiederaufstiegs und der steuerlichen Gerechtigkeit, des Kampfes gegen die Verschwendungen des Finanzkapitals, der Schaffung von nützlichen Arbeitsplätzen in den öffentlichen Diensten, des Wohnungsbaus, der Industrie und des ökologischen Umbaus, der demokratischen Neubegründung der Republik. Ich rufe im ganzen Land auf zur Gemeinsamkeit und zur Mobilisierung gegen die üblen Schläge, die sich ankündigen, und zum Aufbau eines politischen Projekts der linken Alternative.“

In einem Interview in der „Humanité“ sagte Pierre Laurent am 29.8.:

„Wir müssen den Dialog mit den Grünen, mit den Sozialisten, mit den Aktiven der sozialen Bewegungen weit über die Linksfront hinaus annehmen, um die Franzosen aus der Sackgasse herauszubringen, in die man sie einschließen will… Die Kräfte der Sammlung existieren, aber sie stimmen ohne eine enorme politische Arbeit nicht überein bei kühnen alternativen Lösungen. Deshalb muss unsere Herbsttagung (die der Linksfront am 6.9., Red.) eine Tagung der Aktion und der Debatte sein. Deshalb habe ich mich entschieden, mich zu allen Sommeruniversitäten der Linken zu begeben, zu denen man mich einlud… Ich werde mich nach La Rochelle (zur Sommertagung der „Parti Socialiste“, Red.) begeben, um vor den Sozialisten, die vom Schauspiel dieses Wochenanfangs noch benommen sind, die Sprache der Wahrheit zu sprechen: Wenn ihr nicht die Zuschauer der Zerstörung eurer eigenen Partei sein wollt, ihr Sozialisten, der Niederlage der Gesamtheit der Linken, könnt ihr mit uns den Aufbau einer linken Alternative beginnen… Nach diesen Sommeruniversitäten wird das erste große Treffen (der Linken) das Fest der „Humanité“ (12. -14.9.) sein. Wir laden dorthin alle diejenigen ein, die sich in der Regierungspolitik in keiner Weise wiedererkennen, und diejenigen, die in allen Familien der Linken diese Debatte wünschen“.

 

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