Die Flüchtlingspolitik der in Frankreich regierenden 'Sozialisten' im Feuer der Kritik

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president hollande DonkeyHotey25.10.2013: Das hatten sich die französischen 'Sozialisten'so nicht gedacht: Innerhalb weniger Tage drohte sich die Ausweisung der Roma-Familie Dibrani und besonders ihrer 15-jährigen Tochter Leonarda zu einer politischen Krise auszuweiten, die das Regierungslager erschütterte. Deshalb sah sich Staatspräsident Hollande am letzten Samstag höchstpersönlich genötigt, mit einer TV-Rede und der Ankündigung einer scheinbar "salomonischen" Entscheidung die aufgewühlten Gemüter zu besänftigen. Ob dies allerdings Erfolg haben wird, war Anfang dieser Woche noch höchst unklar.

Was bei dem 'Fall Leonarda' das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war das besonders rüde Vorgehen der Polizei. Die 15-jährige Schülerin war am 9. Oktober während eines Schulausflugs unterwegs aus dem Bus geholt und gegen den Protest der Lehrer unter Polizeiaufsicht zum Flugplatz gebracht worden, um zusammen mit ihrer Mutter und fünf weiteren Geschwistern zwangsweise in das Kosovo abgeschoben zu werden. Der Vater hatte schon einen Tag vorher das gleiche Schicksal erlebt.

Dabei fehlten der schon seit Januar 2009 in dem Jura-Ort Levier im ostfranzösischen Département Doubs nahe der Schweizer Grenze lebenden Familie nur noch vier Monate, um vielleicht in den Genuss einer Ausnahmeregelung zu kommen, wonach Flüchtlinge in „irregulärer Situation“ in Frankreich nach fünf Jahren Aufenthalt ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen können.

Aber wohl gerade deshalb war die Ausweisung der Familie nun vorangetrieben worden. Das entsprach jedenfalls genau dem vom sozialdemokratischen Innenminister Valls praktizierten harten Kurs gegen Asylsuchende und besonders gegen Roma. Mehr als 18 000 Abschiebungen waren von Januar bis August dieses Jahres bereits vollzogen worden. Valls rechtfertigte dies, unter anderem gegen die Kritik seiner Kabinettskollegin Duflot von den Grünen, indem er erklärte, die Roma in Frankreich hätten seiner Ansicht nach grundsätzlich die „Berufung“, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden.

Linke Kritiker sahen darin ein Zeichen eines weiteren Zurückweichens der sozialdemokratisch geführten Regierung vor dem Druck der Rechten und vor dem rechtsextremistischen „Front National“ (FN), der mit ausländerfeindlicher Stimmungsmache gegen „Asylanten“ vor dem Hintergrund anhaltender wirtschaftlicher und sozialer Schwierigkeiten in Frankreich derzeit an Einfluss zu gewinnen scheint. In den fast fünf Jahren ihres Aufenthalts in Frankreich waren zwei Asylgesuche der Familie Dibrani abgelehnt worden, weil nach Ansicht der Behörden für sie im Kosovo keine Gefahr bestand. Dabei stammte nur der Vater ursprünglich von dort. Von den Kindern waren fünf in Italien geboren, darunter Leonarda.

Am 9. Oktober schritt die Präfektur zum Vollzug. Die Familie wurde zwangsweise nach Mitrovica im Norden des Kosovo abgeschoben, obwohl Frau und Kinder dort nie gelebt hatten und die Kinder seit mehreren Jahren eine Schulausbildung in Frankreich absolvierten und fließend französisch sprachen, aber keinerlei Sprachkenntnisse für die im Kosovo gängigen Sprachen hatten. Die Stadt Mitrovica ist durch scharfe ethnische Spannungen und gewalttätige Zusammenstöße zwischen serbischen und albanischen Bewohnern bekannt geworden.

Das rabiate Vorgehen der Behörden und der damit verbundene Abbruch der Schulausbildung der Kinder haben in der französischen Öffentlichkeit heftige Proteste hervorgerufen. Am 17. und 18. Oktober gingen in Paris und in mehreren anderen Städten zehntausende Schülerinnen und Schüler auf die Straße. Rund 50 Oberschulen wurden zeitweilig durch Sitzblockaden auf den Eingangstreppen blockiert. Unterstützt wurden die Schüleraktionen von den Schülerverbänden FIDL und UNL, von „SOS Rassismus“ und dem Netzwerk „Erziehung ohne Grenzen“ (RESF), von zahlreichen Elternvereinigungen, von der CGT und der Lehrergewerkschaft FSU sowie von den Linksparteien PCF und PG. Die Proteste richteten sich auch gegen die kurz zuvor vollzogene Zwangsabschiebung des Schülers Katchik Khatchatrian aus Paris, der an Händen und Füßen festgebunden in ein Flugzeug nach Armenien verfrachtet worden war. „Leonarda nicht im Unterricht – wir auch nicht!“ und „Nein zur Erziehung per Ausweisung“ lauteten einige Transparente.

Aber auch im Regierungslager rumorte es mächtig. Neben den Grünen meldeten auch viele aus den Reihen der Sozialdemokraten Widerspruch an. Selbst Bildungsminister Peillon ließ Unzufriedenheit mit dem Vorgehen der Polizei erkennen. Und die sozialdemokratische Spitzenkandidatin für das Amt des Oberbürgermeisters in Paris bei der kommenden Kommunalwahl, Anne Hidalgo, erklärte, sie fordere „im Namen der Werte der Republik“ die Rückkehr der Ausgewiesenen.

Um die Wogen zu glätten, verkündete Staatschef Hollande am vergangenen Samstag im Namen der „Humanität“, dass Leonarda nach Frankreich zurückkehren könne, wenn sie ihre schulische Ausbildung in Frankreich fortsetzen wolle und einen entsprechenden Antrag stelle, aber nur „sie allein“, wie er ausdrücklich hinzufügte. Zum Fall Katchik äußerte er sich nicht. Doch eine neue Verordnung des Innenministeriums an die Präfekten soll künftig sicherstellen, dass das „schulische Leben“ vor Polizeieingriffen besser geschützt bleibt. Gleichzeitig stellte sich Hollande aber hinter seinen umstrittenen Innenminister, indem er betonte, dass auch künftig Recht und Gesetz „mit Festigkeit“ durchgesetzt werden sollen. Bei der Ausweisung der Familie Dibrani sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Es habe nur ein „Mangel an Bedacht“ gegeben beim Vorgehen der Polizei gegen die Schülerin während des Schulausflugs.

Zu Wochenanfang erhoben sich bereits erste Stimmen, die das scheinbare Entgegenkommen Hollandes als „Heuchelei“ kritisierten. Eine Lehrerin Leonardas sagte, dass die 15-Jährige damit vor eine „schreckliche Wahl“ gestellt werde zwischen ihrer Zukunft und ihrer Familie. Eine Sprecherin der „Linkspartei“ (PG) nannte dies einen „abartigen Vorschlag“. Eine der zwei Sprecherinnen der Grünen bezeichnete es als „inhumane und unbegreifliche Äußerung“. Es sei unglaublich, dass das Recht, in einer Familie zu leben, derart missachtet werde. Der Sprecher der Kommunisten (PCF) sprach von einem „Affront gegen die republikanischen Werte“ und von einer „unerträgliche(n) Verfehlung gegenüber der Internationalen Konvention der Rechte des Kindes“, die eine gewaltsame Trennung von Kindern und Eltern untersagt. Ob es nach den Herbstferien, die am Wochenende in Frankreich begonnen haben, zu neuen Schülerprotesten kommen wird, ist derzeit offen.

Leonarda selbst hat inzwischen aus dem Kosovo mitgeteilt, dass sie nicht allein nach Frankreich zurückkehren werde. Sie sei ja „nicht die einzige, die zur Schule gehen muss“. Da seien auch noch ihre Brüder und Schwestern. Mittlerweile wurde mitgeteilt, dass die Familie Dibrani bei einem ersten Stadtrundgang in Mitrovica am vergangenen Sonntag Opfer eines Angriffs von Unbekannten geworden sei, bei dem die Mutter geohrfeigt wurde und anschließend in einem Krankenhaus behandelt werden musste.

Man geht aber nicht fehl, wenn man den gesamten Vorfall und besonders das rasche Aufflammen der Unruhe bis weit ins Lager der Regierungsparteien hinein auch vor dem Hintergrund der Ansammlung zahlreicher anderer Konfliktstoffe und der massiven Enttäuschung vieler Wähler über Hollandes Regierungskurs vor allem im wirtschaftlichen und sozialen Bereich betrachtet. Die Popularitätskurve Hollandes ist seit Monaten auf einem Tiefpunkt, wie ihn noch kein anderer französischer Staatspräsident seit Gründung der V. Republik aufzuweisen hatte. Ob die darin sichtbar werdende Schwäche Hollandes aber in nächster Zeit noch mehr den Rechten und Rechtsextremisten in die Hände spielen wird, oder ob daraus ein neuer Aufschwung der Linkskräfte zu einem „Ausweg nach links“ werden kann, wie ihn die Kommunisten der PCF anstreben – das ist die große innenpolitische Frage, die derzeit in Frankreich auf der Tagesordnung steht.

Text: Pierre Poulain (aus UZ vom 25.10.13)  Bild: DonkeyHotey

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