Frankreichs Wähler bekräftigten Verlangen nach neuer Politik

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france_elections_hollande_2012_p_donovan19.06.2012: Mit dem Ergebnis der französischen Parlamentswahlen vom 10. und 17. Juni hat die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler bekräftigt, dass die Ära Sarkozy zu Ende ist und die Mehrheit der Französinnen und Franzonen eine anderen apolitischen Kurs sowohl in der Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik wie in der EU- und Außenpolitik will. Das ist das Hauptergebnis dieser Wahl, mit der die Entscheidung bei der Präsidentenwahl im Mai bestätigt wird.

Ob die neue Staatsspitze unter dem im Mai gewählten sozialistischen (sozialdemokratischen) Präsidenten Hollande und seinem Regierungschef Ayrault diesem Willen entsprechen wird, ist allerdings als noch offen anzusehen.

Dies wird sicher nicht allein von den nun entstandenen parlamentarischen Kräfteverhältnissen und den mit einer massiven Mehrheit ausgestatteten Sozialisten allein abhängen. PCF-Nationalsekretär Pierre Laurent hat bereits in der Wahlnacht darauf hingewiesen, dass das Lager der Rechen „eine substanzielle Anzahl von Sitzen gerettet“ hat und alles daran setzen wird, „die Hindernisse für eine Wende in unserem Land zu vervielfachen“. Der Einzug der rechtsextremistischen „Front National“ in die Nationalversammlung sei „ein zusätzliches Alarmsignal“.

Es dürfte somit weiterhin entscheidend vom „Druck von links“, vom „Druck von unten“, von der Entwicklung der außerparlamentarischen Bewegungen und kämpferischen Aktivitäten der Gewerkschaften abhängen, ob die Chance für eine Kurswende in Frankreich, die die Wahlen eröffnet haben, in Realität verwandelt werden kann. Wird die Kraft der Bewegungen und der Linken links von der Sozialdemokratie ausreichen, um Hollande zur Einhaltung und Konkretisierung seiner wohlklingenden Ankündigungen zu drängen – oder wird er sich früher oder später dem vereinigten Druck des Unternehmerlagers, der Rechtsparteien und der dominanten neoliberalen Kreise in der EU beugen? Das ist die Frage, die sich erst in den nächsten Wochen und Monaten entscheiden wird.

Das gilt auch für die Frage, welche Auswirkungen sich aus diesem Wahlergebnis für die EU Politik ergeben. Immerhin hatte Springers „Welt“ kurz vor dem zweiten Wahlgang behauptet, Hollande bringe „das Fundament Europas ins Wanken“. Das ist sicherlich weit übertrieben. Aber sicher dürfte auf jeden Fall sein, dass es für Kanzlerin Merkel künftig schwieriger sein wird, den französischen Präsidenten so vor ihren Karren zu spannen, wie das mit Sarkozy der Fall war.

Noch nie in der Geschichte Frankreichs ist eine sozialdemokratisch geführte Staats- und Regierungsspitze mit soviel Vollmachten ausgestattet worden wie diesmal. Neben dem Präsidentenamt verfügt die „Sozialistische Partei“ (PS) mit ihren traditionell treuen Bündnispartnern in der Nationalversammlung jetzt über eine satte absolute Mehrheit von mehr als 300 Mandaten. Sie ist für die Regierungsbildung und die Beschlussfassung über Gesetze nicht auf die Unterstützung der „Grünen“ (17 Mandate), mit denen sie ein Wahlabkommen abgeschlossen hatte, oder gar der Kommunisten und der von ihnen initiierten „Linksfront“ angewiesen. Hinzu kommt, dass sie seit November letzten Jahres auch in der zweiten Kammer, dem Senat, die Mehrheit hat und außerdem die meisten Regionalparlamente und Kommunen der großen  Ballungsgebiete dominiert. Es gibt also keine „institutionellen Hindernisse“ mehr – Hollande kann zeigen, wie seine „sozialistische“ Politik originär tatsächlich aussieht und wie energisch er seinen Worten Taten folgen lässt.

Das Ausmaß des auch in den deutschen Medien zelebrierten „sozialistischen Wahlerfolgs“ verliert allerdings einiges von seinem Glanz, wenn es vor dem Hintergrund der außerordentlich niedrigen Wahlbeteiligung betrachtet wird. Eine Nichtwählerquote von fast 43 Prozent beim ersten und 44,6 Prozent beim zweiten Wahlgang (5 Prozent mehr als 2007) macht deutlich, dass fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler weder den „Sozialisten“ noch dem Rechtslager Vertrauen schenken mochten und das etablierte Parteiensystem mit seiner Tendenz zur „Bipolarisierung“ (Herausbildung von zwei einander ablösenden großen „Parteiblöcken“) für viele unglaubwürdig geworden ist.

Das Abschneiden der „Linksfront“ bei dieser Wahl bezeichnete PCF Chef Laurent in seiner Stellungnahme am Wahlabend schnörkellos als „kein gutes Ergebnis“. Sie erreichte im ersten Wahlgang zwar 6,9 Prozent der Stimmen (zum Unterschied von 11,1 % bei der Präsidentenwahl), konnte aber im zweiten Wahlgang nur in 10 Wahlkreisen die meisten Stimmen erringen und damit Abgeordnetensitze erobern (9 PCF, 1 Linkspartei) – gegenüber bisher 19 Sitzen (16 PCF, 3 Linkspartei). Wie wenig dieses dem geltenden Wahlsystem zu verdankende Ergebnis das tatsächliche Kräfteverhältnis im Land widerspiegelt, ist daran ersichtlich, dass zwar fast 7 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Linksfront die Stimme gaben (ca. 1,8 Millionen), ihr Anteil an der Gesamtzahl der 577 Parlamentssitze jedoch nur 1,7 Prozent beträgt. Da für die Bildung einer Fraktion in der Nationalversammlung bisher 15 Mandate erforderlich waren, ist die Bildung einer eigenen Linksfraktion in Frage gestellt. Die Linken haben zwar die Hoffnung, mit Hilfe von linken Abgeordneten aus den Überseegebieten (Martinique) und einigen weiteren Abgeordneten noch eine „technische Fraktion“ bilden zu können, andernfalls wollen sie eine Änderung der Geschäftsordnung und eine Herabsetzung der Quote für die Fraktionsbildung auf 10 Mandate beantragen, wie dies schon im Senat gilt.

Die Wahlhoffnungen der rechtsextremistischen „Front National“ sind in dem von ihr erhofften Ausmaß nicht aufgegangen. Vor allem musste FN Chefin Marine Le Pen selbst in ihrem Wahlkreis eine Niederlage gegen einen Sozialisten hinnehmen, nachdem der „Linksfront“-Kandidat Mélenchon im ersten Wahlgang hinter dem Sozialisten auf Platz 3 gelandet war und sich danach dafür entschieden hatte, trotz aller Bedenken für den 2. Wahlgang zur Wahl des Sozialisten aufzurufen. Dennoch kann der „Front National“ zum ersten Mal seit 1998 wieder mit zwei Abgeordneten in das zentrale französische Parlament einziehen. Die Enkelin des früheren FN-Chefs Jean-Marie Le Pen und Nichte der jetzigen FN-Chefin, Marion Marechal-Le Pen, erreichte in einem Wahlkreis im südfranzösischen Departement Vaucluse die meisten Stimmen, weil der dort kandidierende „Sozialist“ sich weigerte, in der Stichwahl zugunsten eines rechten UMP-Kandidaten auf seine Kandidatur zu verzichten. Ein zweites Mandat erlangte Gilbert Gollard, ein Anwalt, der sich erst kürzlich der FN angenähert hat, ohne deren Mitglied zu werden, in einem Wahlkreis im Departement Gard. Schließlich gelang auch dem früheren FN-Politiker Bompart, Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Orange, der sich allerdings vor einiger Zeit von der FN getrennt hat und seine eigene Partei „Liga Süd“ gründete, der Einzug ins Parlament.

PCF-Nationalsekretär Pierre Laurent erklärte, dass die Linksfront „mit ihrem Einfluss im Land, mit ihren beiden Gruppen im Parlament, mit ihren Abgeordneten vor Ort und im Europaparlament bestrebt sein wird, eine Kraft der Initiative und aktiver positiver Vorschläge für das Gelingen der Wende in unserem Land“ zu sein. Der Linkssozialist Mélenchon betonte: „Wir werden die Sprecher der Erwartungen der sozialen Bewegungen im Parlament sein“, und zwar „ohne Konzessionen, ohne Naivität und Ungeduld“.

Text: Pierre Poulain   Foto: P Donovan

Elections in France: Statement by Pierre Laurent, National secretary of the PCF

First estimates tonight confirm the swinging of the National Assembly on the left. Sarkozysm page in France is fully closed but the party of former president saves a substantial number of seats. There is no doubt that the right will use all tools to obstruct the change in our country. The entrance to the FN in the chamber remains thankfully limited, but it is an additional warning signal.

The Socialist Party succeeds in its objective to obtain an absolute majority. The Front de gauche will have less MPs, despite a gain in number of votes and percentage, but tonight seem ripe for the formation of a group in the Assembly. If confirmed, this is good news for democracy.

It is clear, however, that the voting system and the inversion of the electoral calendar misrepresent the importance of parliamentary elections and deform the landscape of the National Assembly in favor of bipartism. The legislative majority is thus distorted compared to the reality of the political left in the country. The PS represents 65% of the votes of the all left people in the presidential election, nearly 70% with its allies in the legislative, and gets over 90% of left MPs. The Front de gauche represents 25% of the votes of the left people in the presidential and 15% for the legislatives elections, but gets less than 5% of the left MPs. It is an anomaly caused by an implacable institutional logic that allowed the two largest formations monopolize 90% of seats in the National Assembly.

Despite this injustice, the Front de gauche with its influence in the country, with its 2 groups in Parliament, local elected and MEPs, aims to be a force of active initiatives, positive proposals and successful change in our country.

Pierre Laurent, National secretary of the PCF

Paris, June 17, 2012