Frankreich: Heiße Phase des Präsidentenwahlkampfs

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pcf_front_de_gauche_wahlen_201215.01.2012: Vor einer Wochen wurden in Frankreich die letzten 100 Tage zur Präsidentenwahl 2012 eingeläutet. Der erste Wahlgang ist für den 22. April, die Stichwahl auf den 6. Mai festgesetzt. Nach den jüngsten Umfragen zeichnet sich nach wie vor eine Niederlage für den derzeitigen Staatschef Sarkozy (UMP) ab. Er liegt seit Monaten bei nur 23 - 26 Prozent, deutlich hinter dem „Sozialisten“ (Sozialdemokraten) François Hollande mit 27-29 Prozent. Allerdings hat sich der Abstand zwischen beiden in den letzten Wochen verringert.

Die Herabstufung der Bonitätsnote Frankreichs durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s am vergangenen Freitag, passend zum Beginn des 100 Tage-Wahlkampfs und vor dem EU Sondergipfel am Monatsende bekanntgegeben, dürfte Sarkozys Aussichten mindestens zunächst nicht verbessern. Schließlich hatte er die Verhinderung dieser Herabstufung selbst zum wichtigsten Ziel in der letzten Phase seiner Amtszeit erklärt und in dessen Namen von den Französinnen und Franzosen massive weitere „Sparopfer“ verlangt.

Angefangen mit der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters im vergangenen Herbst – de facto eine reine Rentenkürzung – über den massiven Stellenabbau im öffentlichen Dienst bis zur jüngsten Ankündigung der eventuellen Einführung einer „sozialen Mehrwertsteuer“. Letzteres bedeutet, dass die Mehrwertsteuer von derzeit 19,6 % um möglicherweise 5 Prozent erhöht werden soll, um damit die Einnahmen der Sozialversicherungen (Kranken- und Rentenkassen) von den Betrieben weitestgehend auf die Verbraucher generell zu verlagern. Angeblich würde durch die so vollzogene Senkung der „Lohnnebenkosten“ die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen gestärkt und der Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Frankreich ins billigere Ausland entgegengewirkt.

Mit dem Ziel, Frankreichs AAA-Bonität zu erhalten, ist Sarkozy nun gescheitert. Die Folge ist eine Erhöhung der Zinsen für den französischen Staat, für den es teurer wird, benötigtes Geld auf den Finanzmärkten zu besorgen, was seinerseits wiederum das Staatsdefizit vergrößern wird. Längerfristig könnte die Rating-Herabstufung für Sarkozy allerdings doch von Vorteil sein, weil sie seiner Wahlkampfstrategie entgegenkommt. Zu deren Kern gehört nämlich die Schürung von Angst in der Bevölkerung vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Einerseits um die Menschen damit für die verlangten „Sparopfer“ gefügiger zu machen, und andererseits, um sich selbst als der strahlende „Retter der Nation“ vor dem Absturz in die Katastrophe präsentieren zu können.

Die Umfragewerte des „Sozialisten“ Hollande sind in den letzten Wochen gesunken. Im vergangenen Herbst unmittelbar nach seiner Nominierung lagen sie noch bei 32 –35 %. Das dürfte damit zu tun haben, dass er sich einerseits bisher nicht sonderlich bemüht hat, seine Vorstellungen vom künftigen politischen Kurs überhaupt deutlich bekannt zu machen und eine klare Alternative zu Sarkozy zu verkünden. Zugleich erklärte jedoch auch er „Sparmaßnahmen“ angesichts des Staatsdefizits für unausweichlich, wenn auch vielleicht etwas gemäßigter und anders verteilt als bei Sarkozy. Dennoch reichen Hollands Quoten in den Meinungsumfragen derzeit immer noch aus, um einen Sieg im zweiten Wahlgang für möglich zu halten.

Besorgniserregend bleibt, dass es der Rechtsextremistin Marine Le Pen immer noch gelingt, sich mit 17,5 – 21,5 % in den Umfragen auf dem dritten Platz zu halten. Sie präsentiert sich mit einer raffinierten, offensichtlich bei vielen enttäuschten Wählern wirksamen Mischung aus Fremdenfeindlichkeit, nationalistischen Parolen und laut tönender sozialer Demagogie sowie dem Anschein einer „Modernisierung“ und „gemäßigteren Tonart“ ihrer Partei, des „Front National“ (FN).

Auf dem vierten Platz in den Umfragen liegt der Liberale François Bayrou mit 11 – 13 %. Er möchte sich als dritte Kraft „jenseits von rechts und links“ präsentieren. Seine politischen Vorstellungen orientieren sich jedoch ganz am neoliberalen Kurs von „Sparmaßnahmen“ und Sozialabbau wie bei Sarkozy.

Der Linkssozialist Jean-Luc Melenchon, Spitzenkandidat der „Linksfront“, in der sich die Kommunisten, Linkssozialisten, ein Teil der Anhänger früherer trotzkistischer Organisationen und andere Kräfte links von der Sozialdemokratie zusammengeschlossen haben, liegt in den letzten Umfragen mit 6,5 – 8 Prozent unverändert auf Platz 5. In seiner Neujahrsrede hat er unlängst erklärt, alle seine Wünsche für das neue Jahr konzentrierten sich auf den einen Wunsch, dass Frankreich 2012 „die Seite des Systems Sarkozy umschlägt“. Grundlage dafür müsse aber ein von der großen Mehrheit geteiltes klares politisch-inhaltliches Alternativ-Programm sein, wie es die Linksfront in ihrem Wahlprogramm „Der Mensch zuerst“ vorgeschlagen hat. Das Land dürfe nicht länger dem „Krieg der Finanzmächte gegen Frankreich“ ausgeliefert werden, wie es Sarkozy tut. Alle anderen Parteien seien für Austeritätspolitik (Sparzwang), die das Land aber letztlich wirtschaftlich in die Katastrophe führen werde. „Wir sind die Linke, die auf keine Weise eine Politik des Sparzwangs mitmachen wird. Wir sind die Linke, die für die Rente mit 60 ohne Abstriche eintritt“. Zu den Grundforderungen der Linksfront gehört ferner die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 1700 € und eine aktive Politik der Beschäftigungsförderung und „Reindustrialisierung“ des Landes. 2012 müsse das „Jahr des Alles-Umstülpens“ werden, es gebe „keine Linke ohne Bruch mit diesem System“, betonte Melenchon.

Von den restlichen neun Präsidentschafts-KandidatInnen, die in den Umfragen getestet wurden, liegen die Grünen („Europe Ecologie“) zwischen 4 und 6 Prozent auf Platz 6 und der frühere Premierminister Villepin, bürgerlicher Intimfeind von Sarkozy, bei 2 Prozent. Aller übrigen bleiben unter 1 Prozent. Rund 55 Prozent der Befragten erklärten, daß ihre Wahlentscheidung bereits fest stehe, 45 % dagegen hielten eine Änderung ihrer Meinung noch für möglich.

Der Wahlausgang scheint damit zu Jahresbeginn offener als vor einigen Wochen. Zumal ungewiß ist, wieviel Stimmen Sakrozy bei einer Stichwahl im 2. Wahlgang von den Rechtsextremisten und von den Anhängern Bayrous auf sich ziehen könnte. Alles wird davon abhängen, ob es den Linkskräften in den nächsten Wochen gelingen wird, eine zunehmende Dynamik in der öffentlichen Meinung nicht nur für einen personallen Wechsel an der Spitze, sondern für einen wirklichen inhaltlichen politischen Kurswechsel zu entwickeln.

Text: Pierre Poulain  Karikatur: PCF/Front de gauche