Georg Polikeit - Erwiderung an Günter Pohl

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10.07.2015: Günter Pohl hat es für nötig befunden, auf das von mir zusammengestellte Faktenmaterial zur „Europäischen Linkspartei“ ELP) und meine persönlichen Anmerkungen dazu auf der Internetseite des DKP-Parteivorstands am 24.6. mit einem ziemlich polemischen Rundumschlag zu antworten.

Leider war news.dkp nicht bereit, den Lesern auch die Kenntnis des Faktenmaterials selbst zu ermöglichen, gegen das Günter P. polemisiert, obwohl ich es ihnen zugeschickt hatte. Es ist deshalb zusammen mit meinen Anmerkungen dazu nur bei „kommunisten.de“ unter dem Menüpunkt Parteien – DKP – DKP-Forum nachlesbar

Falsche Aufzählung?

Zum Faktenmaterial direkt bringt Günter allerdings nur einen einzigen konkreten Einwand vor. Er kritisiert, dass in der von mir zusammengestellten Liste der Parteien, die zum Spektrum der kommunistischen und Arbeiterparteien gerechnet werden und Mitglieder der ELP sind, neben der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) auch die Vereinigte Linke (Izquierda Unida – IU) sowie die Rifondazione Comunista von San Marino aufgeführt sind.

Die Erwähnung der IU ist seiner Ansicht nach eine Verdoppelung, weil PCE und IU in seinen Augen offenbar dasselbe sind. Ich habe mich an die „Solidnet“-Liste der kommunistischen und Arbeiterparteien gehalten. Dort sind beide Parteien getrennt aufgeführt. Soweit ich weiß, sind Mitgliederbestand und Zielsetzung beider Parteien auch nicht identisch. Die IU entstand zwar 1986 maßgeblich auf Initiative der PCE, ist aber eine Bündnisformation, in der die PCE mit anderen Linken zusammen zu Wahlen antritt und auch außerparlamentarische Aktivitäten entwickelt.

Was Rifondazione Comunista San Marino angeht, steht sie tatsächlich nicht in der Solidnet-Liste (warum, weiß ich nicht), wohl aber im Mitgliederverzeichnis der ELP. San Marino ist nicht Mitglied der EU, aber im Sinn des Völkerrechts ein selbständiger, wenn auch in vielen Bereichen eng mit Italien verkoppelter Staat. Günter hält die Rifondazione San Marino für zu Unrecht von mir aufgezählt, weil sie nur noch „eine Handvoll“ Mitglieder habe. Aber ist es Sache ausgerechnet der auch nicht gerade großen DKP, die zahlenmäßige Größe einer Partei zum Kriterium für die Anerkennung ihrer Existenz zu machen (noch dazu in einem so kleinen Staat wie San Marino)? In wie vielen Städten vergleichbarer Größe (knapp 33 000 Einwohner) hat die DKP mehr als „eine Handvoll“ Mitglieder?

Günter unterstellt, dass ich die zwei von ihm kritisierten Parteinamen in die Liste aufgenommen hätte, „um den recht bescheidenen KPen-Anteil in der ELP künstlich zu erhöhen“. Aber woher weiß er eigentlich, dass dies meine Absicht war? Sie war es natürlich nicht. Ich weiß zwar nicht, wieso das Verhältnis von 16 oder 14 Parteien aus dem KP-Spektrum zu 20 oder 22 anderen Linksformationen „recht bescheiden“ sein soll. Aber es ging mir gar nicht um den zahlenmäßigen Anteil der KPen. Ich wollte mit der Aufzählung der Parteien lediglich eine präzise Information liefern, wer tatsächlich in der ELP ist und wer nicht, (was sicher viele, auch in unserer Partei, nicht genau wissen dürften). Und es ging mir darum, damit den Bündnischarakters der ELP als einer Vereinigung, in der KPs mit anderen linken Parteien und Organisationen gleichberechtigt zusammenarbeiten, deutlich zu machen. Dafür ist es unerheblich, ob zwei Parteien mehr oder weniger aus dem KP-Spektrum dabei sind.

Kommentare statt Fakten?

Außerdem wendet Günter gegen das Faktenmaterial ein, dass die „weiteren Abschnitte“ entgegen meiner Ankündigung, mich an die reinen Fakten zu halten und auf persönliche Meinungsäußerungen dazu zu verzichten, doch persönliche Kommentare aufweisen. Leider spezifiziert er aber nicht, welche Stellen des Materials er damit meint.

Der Abschnitt über die politischen Grundlagen und Ziele der ELP kann nicht gemeint sein. Denn darin wird nur der Wortlaut der entsprechenden EL-Dokumente auszugsweise in Zitaten wiedergegeben.

Der folgende Abschnitt über das Verhältnis der ELP zur EU enthält tatsächlich zum Teil von mir zusammengefasste Darstellungen. Aber sie halten sich meiner Ansicht nach präzis an die belegbaren Fakten. Dass die ELP die EU vor allem als eine Ebene des politischen Kampfes für gesellschaftliche Veränderungen ansieht, steht wörtlich so in ihrem Programm. Und dass sich in keinem Dokument der ELP eine Zustimmung, Bejahung oder auch nur passive Akzeptanz der EU in ihrer derzeitigen Verfasstheit, Struktur und neoliberalen Ausrichtung findet, ist ebenfalls eine nachprüfbare Tatsachenfeststellung.

Finanzierungsfrage

Ähnliches gilt für den Abschnitt über die Vorgaben der EU für „europäische Parteien“. Ich habe hier lediglich die einschlägigen Bestimmungen, wie sie die EU selbst schriftlich festgelegt hat, zitiert und im Interesse der Kürze und Verständlichkeit der manchmal sehr verklausulierten EU-Formulierungen teilweise zusammengefasst. In der einschlägigen EU-Verordnung steht nun einmal, dass nicht die Europäische Kommission oder eine andere zentrale EU-Instanz über die Anerkennung als „europäische Partei“ entscheiden, sondern allein das (immerhin gewählte) Europäische Parlament. Nirgends wird in darin als Bedingung für eine Beteiligung an der Parteienfinanzierung aus dem EU-die Anerkennung der bestehenden EU-Verträge (Maastricht-Vertrag, Lissabon-Verträge) verlangt. Wörtlich steht dort lediglich, dass die betreffende Partei „die Grundsätze, auf denen die Europäische Union beruht“, in ihrer Tätigkeit beachten muss, und was damit gemeint ist, wird noch im gleichen Satz präzisiert: „die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“. Ich wüsste nicht, wieso Kommunisten diese allgemein-demokratischen Grundsätze nicht anerkennen können.

Günter verweist darauf, dass eine Behauptung, die Finanzierung der ELP durch die EU sei an „politische Bedingungen“ gebunden, auch im Antragstext des PV an den Parteitag nicht zu finden sei. Das kann wohl als eine indirekte Bestätigung meiner Angaben dazu angesehen werden, dass es entgegen einer weitverbreiteten Ansicht solche inakzeptablen politischen Bedingungen tatsächlich nicht gibt.

Günter bringt aber das Argument vor, dass es bei der ELP dennoch eine Art „Ladehemmung“ bei der Bekämpfung der EU-Politik aus Rücksicht auf die EU-Finanzierung geben könnte. Nun ist gegen die staatliche Parteienfinanzierung im Kapitalismus sicherlich eine Menge einzuwenden. Aber wenn die systemtragenden Parteien nun einmal eine derartige Parteienfinanzierung eingeführt haben, müssen Kommunisten und Linke dann wirklich das staatliche Geld allein den Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen usw. überlassen und auf den Anspruch auf Beteiligung daran verzichten, obwohl das Geld auch ihnen nach den geltenden Regeln zustehen würde? Das halte ich für eine überspitzte Position. Dann müssten wir am Ende vielleicht auch auf Bescheinigungen für Steuerermäßigungen für Parteibeiträge und Spenden oder auf Sitzungsgelder für Kommunalabgeordnete verzichten, weil sie ja ebenfalls aus den staatlichen Haushalten finanziert werden. Ich bin nicht der Meinung, dass die Inanspruchnahme von rechtlich einem zustehenden Geldern zwangsläufig zu einer „Zähmung“ im Kampf gegen die herrschende Politik führen muss. Deshalb bleibt Günter in seiner Argumentation auch bei einer pauschalten Vermutung. Konkrete Fälle, wo tatsächlich nachweisbar wäre, dass die ELP aus Rücksicht auf die EU-Gelder ihre Opposition gegen die EU Politik abgeschwächt hätte, werden von ihm nicht erwähnt.

Schließlich wendet G. gegen meine Faktendarstellung noch ein, dass meine Ankündigung, mich an die reine Tatsachenwiedergabe zu halten, „ein mit marxistischer Methodik gar nicht zu vereinbarender Anspruch an Unabhängigkeit und Wahrheit“ sei. Was das heißen soll, bleibt dunkel. Vielleicht wäre hier ein längerer philosophischer Exkurs über marxistische Methodik und Erkenntnistheorie, Parteilichkeit, Wahrheit und Objektivität vonnöten. Ich glaube jedenfalls nicht, dass die Kenntnisnahme und Darstellung von objektiv nachweisbaren Tatsachen im Widerspruch zur „marxistischen Methodik“ stehen könnte.

Keine Beleidigung

In den restlichen Teilen seines Artikels befasst sich Günter mit einigen in meinen persönlichen Anmerkungen zum Faktenmaterial enthaltenen Äußerungen – und mit einer Reihe weiterer Kritikpunkte, die er offenbar bei dieser Gelegenheit an meiner Arbeit und an meinen UZ-Artikeln loswerden wollte.

Günter fühlt sich anscheinend beleidigt, weil ich in den Anmerkungen u.a. von „mangelnder Sachkenntnis“ sprach und vor „Zurechtbiegen der Realität“ und „Realitätsverweigerung“ warnte. Es tut mir leid, wenn G. dies als Beleidigung auffasst, aber ich wollte ihn keineswegs persönlich treffen und auch sonst niemanden damit beleidigen.

Wie soll man es nennen, wenn in einem Leserbrief in der UZ am 5.6. steht, jede europäische Partei müsse „ein klares Bekenntnis zur EU, so wie sie eben ist“, abgeben, sonst würde sie von den „europäischen Fleischtöpfen abgetrennt“? Und wenn es in einer weiteren Leserzuschrift in der gleichen Ausgabe heißt, die ELP habe sich „in ihrem Statut verpflichtet“, das institutionelle System der EU und seine Ziele zu akzeptieren?

Günter wird zugestehen müssen, dass beides nachweisbar falsch ist. Es steht weder im Statut der ELP noch in irgendeinem anderen ihrer Dokumente. Ist es da zu weit hergeholt, dies auf „mangelnde Sachkenntnis“ zurückzuführen? Vielleicht haben die Leserbriefschreiber Statut und Programm der ELP einfach noch nie gelesen und kennen sie auch die einschlägigen EU-Bestimmungen zur Parteienfinanzierung nicht genau. Das ist kein ehrenrühriger Vorwurf. Auch ich weiß sicherlich auf vielen Gebieten nicht genau genug Bescheid, habe da also „mangelnde Sachkenntnis“. „Mangelnde Sachkenntnis“ ist da einfach die Beschreibung eines Sachverhalts.

Wenn wörtlich geschrieben wird: „Die ELP ist keine Bündnisorganisation“, kann es dafür eigentlich nur zwei Gründe geben. Entweder man weiß es nicht besser – oder man will es nicht wissen. Das erste ist „mangelnde Sachkenntnis“, das zweite würde ich für „Realitätsverweigerung“ halten.

Wer die reale Zusammensetzung des Mitgliederbestands der ELP kennt und weiß, dass sie sich in ihrem Statut selbst als eine „flexible dezentralisierte Vereinigung von unabhängigen und souveränen europäischen linken Parteien und politischen Organisationen“ definiert, „die auf der Grundlage des Konsenses arbeitet“, aber trotzdem behauptet, die ELP sei „keine Bündnisorganisation“, der weigert sich einfach, eine Tatsache zur Kenntnis zu nehmen. Leider steht die falsche Behauptung aber wörtlich so im Antrag des PV an den Parteitag, und auch Günter schrieb in seinem UZ-Artikel zur ELP (15.5.) wörtlich, die ELP sei „keine Bündnisorganisation“.

Meine Bemerkung, dass wir uns in der Vergangenheit leider häufiger die Realität so zurecht gebogen haben, wie es in vorgefasste Ansichten passte, war übrigens im vollen Sinn selbstkritisch gemeint (auch wenn G. mir vorwirft, dass ich mich selbst davon ausnehmen wolle). Es gab diese schädliche Praxis in der Vergangenheit der kommunistischen Bewegung wiederholt, sie gehört zu den Ursachen für die Niederlage von 1989/90. Und ich schließe mich persönlich keineswegs aus, dabei mitgemacht und diese falsche Verhaltensweise auch selbst praktiziert zu haben. Umso mehr sollten wir aber heute gewarnt sein und uns vor solchem Fehlverhalten hüten und Behauptungen korrigieren, wenn sie  bei Überprüfung der Fakten nicht aufrechtzuerhalten sind. Auch wenn das zunächst vielleicht unangenehm und unbequemer sein mag.

Konsenssuche oder taktische Annäherung?

Günter beschwert sich, dass ich sein Bestreben in dem UZ-Artikel „Nicht nur gut und nicht nur schlecht“ zur ELP (15.5.), „die Schärfe aus der Debatte zu nehmen und einen Weg aus der Konfrontation zu suchen“, nicht zur Kenntnis genommen und wie auch Volker Metzroth mit seinem Leserbrief zur ELP das „Angebot zur Debatte“ nicht angenommen hätte. Stattdessen hätten wir, schreibt er, „eilig einen Schritt nach rechts“ gemacht.

Na schön, was rechts und links ist, entscheidet hier offenbar allein Günter Pohl. Wenn er mich, nun zur  „Rechtsopposition“ rechnet (oder vielleicht gleich des „Rechtsopportunismus“ beschuldigen wollte?), muss ich wohl damit leben. Ich will mich auf dieses Niveau der Auseinandersetzung, wo das Aufkleben von Etiketten und die Verteilung von „Bannflüchen“ wie „Rechtsabweichung“ die Debatte über Inhalte und Tatsachen verdrängen soll, nicht einlassen. Auch das hat es in der Vergangenheit der kommunistischen Bewegung oft genug gegeben, sehr zu unserem Nachteil, wie die Geschichte zeigt.

Weil mich Günter in seinem Text aber in eine angeblich von der „Marxistischen Linken gestartete Konfrontationskampagne zum kommenden Parteitag eingruppiert (was ich für Verschwörungstheorie halte), möchte ich einfach klarstellen: Ich bin weder Mitglied der Marxistischen Linken noch verfasse ich meine Texte in deren Auftrag oder in vorheriger Absprache mit ihren Mitgliedern.

Günter hält es in seinem UZ-Artikel „Nicht nur gut und nicht nur schlecht“ offenbar für „entschärfend“ zu erwähnen, dass an unserer (beobachtenden) ELP-Mitgliedschaft nicht alles schlecht war und die Teilnahme von DKP-Vertretern an ELP-Tagungen manchmal auch eine positive, nämlich informative Seite hatte. Das war wohl als Zugeständnis an jene gedacht, die in der ELP-Frage nach wie vor anderer Meinung sind. Aber läuft sein „konsensorientierter“ Artikel am Ende nicht doch darauf hinaus, dass man sich seiner Meinung anschließen und für den Rückzug der DKP aus der ELP sein muss?

Bemühen um Konsens braucht keine taktischen Zugeständnisse. Suche nach Konsens hätte in der konkreten Frage der ELP-Mitgliedschaft in erster Linie zur Voraussetzung, dass man der Debatte ein objektives, durch Fakten belegtes Bild von Struktur, Mitgliedschaft, Grundsätzen und Zielen der ELP zugrunde legt. Also nicht mit falschen Behauptungen und dem Popanz von einer „Über-Partei“ operiert, der man sich angeblich unterordnen müsste.

Schreibtisch-Täter

Ein weiteres Argument von Günter bezieht neben dem Faktenmaterial dann gleich auch noch meine sonstigen UZ-Artikel ein. Er wendet dagegen ein, dass ich meine Texte „allein vom Schreibtisch aus“ verfasse und deshalb kaum mehr als „Verlautbarungsjournalismus“ zustande brächte.

Nun ist es wirklich wahr: ich komme heute, vor allem aus Altersgründen, tatsächlich nicht mehr so viel und so weit in der Welt herum wie er. Und ich verfasse meine Texte in der Tat „am Schreibtisch“, wenn auch auf der Grundlage manchmal intensiver Internet-Recherchen. Aber ich hätte nie gedacht, dass daraus ein Argument zur Abqualifizierung meiner Texte als „Berichterstattung nach Aktenlage“ gemacht werden kann.

Vielleicht darf ich dann doch darauf verweisen, dass ich in meinen mehr als 69 Jahren Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei, davon mindestens 60 Jahre legal und illegal mit den verschiedensten Parteiaufträgen unterwegs, auch auf nationalen und internationalen Konferenzen und Seminaren etwas herumgekommen bin und dabei gewisse politische Erfahrungen sammeln konnte, die mir heute noch nützlich sind.

Dazu gehört unter anderem auch die Erfahrung, dass in Debatten auf Konferenzen und Seminaren und in den Fluren solcher Zusammenkünfte tatsächlich manches zu erfahren ist. Aber zumeist handelt es sich dabei doch um subjektive, individuelle Meinungsäußerungen. Das kann die genaue Kenntnis dessen, was Parteien oder Organisationen als kollektiven Standpunkt in schriftlicher Form festhalten, nicht ersetzen. Wozu gäbe es sonst Parteitage und Kongresse, Programme und Resolutionen oder gemeinsame Erklärungen von internationalen Treffen? Gespräche „auf den Fluren“ sind sicher keine wichtigere Informationsquelle als die Kenntnis kollektiv beschlossener Texte.

Günter beschwert sich, ich würde meine UZ-Artikel „ohne Rückkopplung mit der Internationalen Kommission“ verfassen (wenn immer er konkret damit meint). Mir ist neu, dass es einen solchen Anspruch gibt. Mit der UZ Redaktion jedenfalls waren meine Artikel in der Regel zumindest thematisch abgestimmt, und zwar konkret mit dem für die außenpolitischen Seiten verantwortlichen Redakteur (der meines Wissens auch Mitglied der IK war). Übrigens habe ich die Artikel für die UZ nicht verfasst, um mein journalistisches Selbstdarstellungsbedürfnis zu befriedigen. Sie waren als konkrete Hilfe für eine Redaktion gedacht, die personell unterbesetzt ist und daher viele Themengebiete nicht abdecken kann.

Ich verzichte hier aus Platzgründen darauf, auf eine Reihe weiterer Argumente einzugehen. Das betrifft u. a. auch Günters Behauptung, in den Texten der ELP sei keine „antikapitalistische Haltung“ zu finden. Wer die Originaltexte der ELP liest, kann sich darüber ein eigenes Urteil bilden. Wobei sicherlich zu berücksichtigen ist, dass linke Kapitalismuskritik nicht immer hundertprozentig mit kommunistischer Kapitalismuskritik, also mit den Erkenntnissen der marxistischen Theorie über dieses System identisch ist. Wer die Übernahme der marxistischen Kapitalismuskritik zur Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit anderen Linkskräften machen will, braucht von Bündnispolitik nicht mehr zu reden.

Ähnliches gilt auch für Günters summarische Kritik an der Haltung der ELP zu Ukraine, Mali, Syrien usw. Mag sein, dass ELP-Texte zu diesen Themen aus kommunistischer Sicht nicht immer klar genug formuliert sind oder sogar Mängel aufweisen. Eine Zustimmung der ELP zur imperialistischen EU-Politik, wie sie von den EU-Oberen praktiziert wird, wird sich daraus dennoch nirgends ablesen lassen.

Kernfragen, um die es gehen müsste

Bedauerlich ist, dass Günter in seinen Texten eigentlich nirgends genau begründet, warum wir gerade jetzt aus der ELP ausscheiden müssen. Welche Nachteile drohen uns eigentlich, wenn wir darin bleiben würden? Warum muss jetzt ein „Bruch“ vollzogen werden?

Auf Kernfragen, die für die ELP-Debatte eigentlich entscheidend sein müssten, gehen Günters Darlegungen kaum ein. Deshalb will ich sie hier noch einmal kurz skizzieren:

Ist mit der EU (die wir nicht wollten) nun doch eine neue, nämlich europäische Ebene des Klassenkampfs und der politischen Auseinandersetzung entstanden, die wir nicht einfach ignorieren können? Von den herrschenden Kreisen wird das Instrument der EU jedenfalls intensiv zur Durchsetzung ihrer Interessen genutzt. Müssen wir also als Teil der Gegenkräfte angesichts dessen nicht doch überlegen, wie wir dazu beitragen können (mit unseren bescheidenen Kräften), auch auf europäischer Ebene Widerstand zu entwickeln und Bewegungen für eine andere europäische Politik zu fördern?

In unserem Parteiprogramm steht, was im anstehenden nächsten Kampfabschnitt aus der EU wird, hänge davon ab, „inwieweit es der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung, der globalisierungskritischen Bewegung, den demokratischen Kräften gelingt, im gemeinsamen Handeln die Beherrschung der EU-Institutionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese zu demokratisieren und selbst Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen“. Gilt diese Orientierung noch - oder soll sie revidiert werden?

Wenn wir den Kampf auf europäischer Ebene nicht „links liegen lassen“ können, werden wir ihn jedoch kaum allein erfolgreich führen können. Zumal zahlreiche andere linke Kräfte real vorhanden sind, mit denen es, was die nächstliegenden Forderungen und Ziele angeht, Gemeinsamkeiten gibt. Ist Bündnispolitik auf europäischer Ebene also nicht doch eine unausweichliche Notwendigkeit? Und in welcher Form kann und soll sie dann stattfinden? Braucht es dafür nicht Instrumente, Plattformen, regelmäßige Treffpunkte, in deren Rahmen wir uns am Meinungsaustausch, an der Vereinbarung gemeinsamer Standpunkte und Forderungen, an der Verabredung gemeinsamer Aktionen beteiligen können?

Sicher, die ELP muss nicht der einzige Rahmen dafür sein. Aber könnte sie nicht mindestens ein Ansatz sein, um solche Bündnisse auf europäischer Ebene zu fördern und zu stärken? Erst aus einer Debatte über diese Fragen könnte meines Erachtens eine „konsensorientierte Debatte“ entstehen.

Georg Polikeit

Anlagen:
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