Mit dem Vorwurf des Fraktionismus will sich der PV innerparteiliche Kritik und Kritiker vom Hals schaffen

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03.01.2018: Meiner Meinung muss ein Fraktionsverbots als Mittel letzter Instanz gesehen werden. Es darf nur zur Abwehr einer Schädigungsabsicht in Betracht kommen, nicht aber zur Abwehr missliebiger Positionen und Meinungen in der Partei. Der Kampf um die richtige Linie bei der Umsetzung des Programms ist dabei in jeder Partei ein wiederkehrender und auch notwendiger Gegenstand des Meinungsstreits, der in einer demokratischen Organisation nicht mit administrativen Mitteln „geklärt“ wird. Insbesondere in normalen Zeiten, in denen Meinungsfreiheit und Bürgerrechte gewährleistet sind, kann kein Fraktionsverbot einen Meinungsstreit beenden. Greift eine Parteileitung dennoch zum Mittel Fraktionsverbot, liegt der Verdacht der Meinungsunterdrückung und politischer Willkür nahe.

Fraktionsarbeit des Netzwerks?

Der Vorwurf der Fraktionsarbeit und die Ausschlussandrohung gegen das „Netzwerk kommunistische Politik in der DKP“ wird mit einer eigenen Disziplin, eigenen Strukturen und einer eigenen Plattform begründet. Die Teilnehmer des Netzwerks weisen das zurück. Sie berufen sich auf das Recht, „einzeln oder in Verbindung mit anderen Mitgliedern politische Positionen, Kritik und Vorschläge zu entwickeln.“ Von einer „eigenen Disziplin“ könne schon deshalb keine Rede sein, weil die Teilnehmer des Netzwerks sich durchweg aus dem aktiven Kern der DKP und ihren Vorständen rekrutieren. Eine eigene Plattform existiert in keiner Form, es sei denn, die Parteiführung meint die zahlreichen Beiträge und kritischen Kommentare zu Beschlüssen des Parteivorstands und der letzten beiden Parteitage. „Eigene Strukturen“ bestehen nur in Form unregelmäßiger Treffen mit unterschiedlichen Teilnehmern und in Form der Internetseite des Netzwerks, ohne die Kritik in der Parteiführung erfahrungsgemäß ignoriert würde. Der Vorwurf des Fraktionismus ist eine bewusste Übertreibung, um sich innerparteiliche Kritik und Kritiker vom Hals zu schaffen. Er richtet sich gegen die Wahrnehmung von Rechten, die das Statut nicht nur jedem Mitglied, sondern auch Gruppierungen in der DKP ausdrücklich einräumt. Rechte, die die „Ankläger“ selbst als vormalige Opposition weit freizügiger in Anspruch genommen hatten und die ihr auch von der vorigen Führung zugestanden wurden. (Patrik Köbele konnte schließlich als Exponent der 84er-Plattform und der Gruppe „Theorie & Praxis“ Sekretariatsmitglied sein) Inzwischen scheint aber für diese Parteiführung zu gelten, was 1924 auf dem Parteitag der KPD von der Vorsitzenden - und vorübergehendem Stalin-Protege‘- Ruth Fischer gesagt wurde: „Wir sind gegen Fraktionismus in jeder Form, nachdem wir die Mehrheit haben. Wir werden versuchen, aus der Partei eine einheitliche zu machen.“
 
Das Fraktionsverbot bei Lenin: Nur zur Rettung von Staat und Revolution

Der 10. Parteitag der KPR(B) 1921 verlief unter dramatischen Umständen. Kaum war der Bürgerkrieg beendet und die europäischen Interventionsmächte vertrieben, revoltierten die Bauern, die sich um ihren Anteil an der Revolution betrogen fühlten durch eine überzogene Ablieferungspolitik, die ihnen kaum genug zum Leben und zur Aussaat ließ. Nun sollte eine „Neue ökonomische Politik“ (NEP) teilweise marktwirtschaftliche Verhältnisse in Unternehmen und Landwirtschaft wiederherstellen und der danieder liegenden Wirtschaft auf die Füße helfen. Ein Schritt zurück in den Augen vieler Delegierter. Und die Zeit war knapp. Die Kronstädter Garnison rief zum Aufstand unter der Losung „Kommunismus ohne Kommunisten“ und über den Weg zur Festigung der neuen Staatlichkeit hatten wichtige Führer der Bolschewiki höchst unterschiedliche Vorstellungen. Die Delegierten des Parteitages trugen in diesen Stunden eine unerhörte Bürde auf ihren Schultern. Das war die Lage, in der Lenin ein ausdrückliches Fraktionsverbot in der KPR(B) durchsetzte.

Niemand kann bestreiten, dass Fraktionen in solchen zugespitzten Situationen die Handlungsfähigkeit einer revolutionären Partei schwächen. Unter Stalin wurden daraus aber ein immer gültiger Grundsatz und ein generelles Fraktionsverbot. „Dabei war Lenin überzeugt, dass in Phasen der Herausarbeitung einer erfolgversprechenden revolutionären Strategie innerhalb der Arbeiterbewegung der ideologische Kampf einzelner Richtungen, Plattformen und Fraktionen zulässig, ja manchmal notwendig ist. Genau auf diesem Weg hatte sich schließlich innerhalb der russischen Sozialdemokratie der bolschewistische Flügel zur Kommunistischen Partei entwickelt. Nur wer (wie Stalin) davon ausging, dass weitere Auseinandersetzungen um strategische Varianten des künftigen Weges nicht mehr notwendig waren, sondern nur mehr die Zusammenfassung aller Kräfte zur Durchsetzung der einmal gewählten Variante, konnte das von Lenin in dieser dramatischen Situation durchgesetzte Fraktionsverbot als immer gültig erklären“. (Hans Kalt/ in Stalins langem Schatten).

Lenin hatte bis dahin selbst in Situationen, in denen die Existenz von Land und Partei auf dem Spiel stand und Lenin sich schärfster Kritik ausgesetzt sah, wie während der Verhandlungen von Brest-Litowsk, oder wo immer er selbst sich zu schärfster Kritik veranlasst sah, niemals seine Kritik mit Parteimaßregelungen begleitet. Noch 1920 hatte das ZK durch Beschluss das Recht auf fraktionelle Plattformen als Element der Diskussionsfreiheit in der Partei bestätigt. Später nannte Lenin das einen erstaunlichen Luxus, den die Partei und er sich da erlaubt hatten, (man befand sich 1920 bereits in ähnlicher Bedrängnis wie während des 10. Parteitages 1921, als während der Tagung ein Teil der Delegierten an den Kämpfen in Kronstadt teilnahm.) Das zeigt aber, wie fast bedingungslos Lenin auf das Mittel der Überzeugung und der innerparteilichen Demokratie setzte.

Georg Fülberth sieht dennoch in diesem Fraktionsverbot eine verhängnisvolle Entscheidung: „Hier begann, wie im Nachhinein festgestellt werden kann, die innere Deformation der Kommunistischen Partei, von Lenin vehement vertreten, aber (nur) als Zugeständnis, solange sich die Revolution in Bedrängnis befand. Tatsächlich ist das Fraktionsverbot bis in die Achtzigerjahre nie aufgehoben worden.“ ( Fülberth, „Der große Versuch“)

Und Heinz Karl in den „Marxistischen Blättern“ 4-2017: Letztlich hat der „inkonsequente, einseitige Umgang mit den prinzipiellen Entscheidungen des X. Parteitags der KPR (B) …. nach Lenins Ausscheiden zur stalinistischen Verformung der KPdSU (B), zum Abgehen vom Lenin‘schen Kurs und zum Niedergang der Sowjetgesellschaft beigetragen“.

Wie wenig diese Stalin-Partei „neuen Typs“ für die nachrevolutionäre gesellschaftliche Weiterentwicklung brauchbar war, hat letztlich der klägliche Zusammenbruch dieses Parteityps erwiesen . Klarer konnte nicht demonstriert werden, dass ein falsches Prinzip in die Sackgasse geführt hatte. Mangelnde innerparteiliche Demokratie und die fehlende Kontrolle der Führung durch die Basis hatten die längst fälligen Erneuerungen an der Spitze verhindert, solange bis diese regelrecht abfaulte.

Das Fraktionsverbot in der DKP

wird von eben jenen Genoss*innen betrieben, die sich seit dem 20. Parteitag von zentralen Positionen des Parteiprogramms verabschiedet haben und in Anlehnung an die Praxis Stalins und der Kommunistischen Parteien des Ostblocks das Fraktionsverbot offenbar als ein für Kommunisten immer gültiges Mittel zur Reinhaltung der eigenen Reihen von lästiger Kritik betrachten. Aber wer Stalin rehabilitiert und ihn unter die sozialistischen Klassiker zählt, wer nicht begreift, dass damit jeder denkbare Bündnisansatz zunichte wird, wer u. a. Kritik am Realsozialismus tendenziell für prinzipienlos und revisionistisch hält, befindet sich auf dem Weg in die Vergangenheit und muss zwangsläufig auch die Revision unseres Parteiprogramms anstreben.

„Fraktionismus“ in der Vorbereitung auf den 22. Parteitag?

Auch notwendige Programmänderungen würden in jedem Fall die ausführliche Diskussion an der Parteibasis voraussetzen und dürfen nicht ausschließlich das Ergebnis von Entscheidungen von Führungszirkeln sein. Sie müssen sich auf politische Mehrheiten in der Partei stützen. Das setzt voraus, dass Entscheidungsgremien, insbesondere Parteitage, die realen politischen Positionen in der Partei repräsentieren. Die gegenwärtige Parteiführung aber setzt erneut darauf, kritische Meinungen bereits in der Vorbereitung des Parteitags auszusortieren. Ausdrücklich wird gefordert, Genoss*innen - unabhängig von ihren sonstigen Qualifikationen - nicht für den Parteivorstand zu nominieren, wenn sie „eine führende Rolle“ im Netzwerk kommunistische Politik ausüben. Dies kommt einem Aufruf zur politischen Filterung der Delegierten gleich und läuft unserem Statut absolut zuwider. An Stelle eines analyse- und entscheidungsfähigen Parteivorstands wird ein bloßes Akklamationsorgan angestrebt, das zu politischer Führung, zu Kritik und Kontrolle von vornherein ungeeignet ist. Ein solcher Parteivorstand wäre dann die institutionelle Garantie für die tatsächliche und endgültige Fraktionierung der DKP.

Rudi Christian, Hamburg