Relikte aus der Vergangenheit der kommunistischen Bewegung?!

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12.10.2017: Der Parteivorstand der DKP fasste auf seiner 9. Tagung im Juni 2017 zwei Beschlüsse bezüglich der Parteiauseinandersetzungen. „Er beschloss“, so schrieb Patrik Köbele in der Zeitung Unsere Zeit vom 18. August 2017, „den Bezirk Südbayern aufzulösen, sowie einen Antrag an den 22. Parteitag, der im März 2018 stattfindet, zur Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der DKP mit der Mitgliedschaft im sogenannten Netzwerk“ einzubringen.

Nicht nur die genannten Beschlüsse, nein, auch dieser Artikel „Verantwortung wahrgenommen“ lösen großes Unverständnis und Unbehagen bei mir aus. Schon die Überschrift zu diesem Artikel ist der blanker Zynismus. Dann frage ich mich: Wofür und für wen hat der Parteivorstand „Verantwortung wahrgenommen“?

Zum anderen erinnern diese Beschlüsse des PV und die Darlegungen vom Genossen Köbele an die finstersten Kapitel der deutschen kommunistischen Bewegung. Ich will auf einige Formulierungen aus dem genannten Artikel eingehen, die mich besonders entsetzen.

Im 4. Absatz ist zu lesen: „Die Auflösung des Bezirkes Südbayern bedeutet, dass der Bezirksvorstand und seine Gremien ihre Arbeit beendet haben“. Nein, nicht der Bezirksvorstand und seine Gremien haben ihre Arbeit beendet, sie mussten ihre verantwortungsvolle Tätigkeit beenden. Der Parteivorstand hat entsprechend des ‚demokratischen Zentralismus‘ gehandelt und mit einem Beschluss die Jahrzehnte dauernde, bewährte und konstruktive Arbeit eines Bezirksvorstandes abgewickelt. Das übersteigt nach meinem Geschichtsverständnis noch die Querelen, die sich in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts in der KPD abspielten.

Demokratischer Zentralismus = Anachronismus!

Am Ende des 4. Absatz heißt es dann: „Die Grundgliederungen in Südbayern sind nun direkt an den Parteivorstand angebunden“. Richtiger müsste es heißen: dem Parteivorstand unterstellt.

Auf einen Punkt gebracht, wurden die Genossen des Bezirksvorstandes Südbayern mit der Auflösung des Bezirksvorstandes diszipliniert. Und die Genossen der Grundgliederungen werden nun vom Parteivorstand kontrolliert und bevormundet. Demokratischer Zentralismus pur. Ein Anachronismus!

Disziplinierung kritischer und andersdenkender Genossen, Auflösung gewählter Gremien und verschärfte Kontrolle über die Genossen in den Grundorganisationen, tragen nicht zur Vertrauensbildung und zur Festigung der Reihen der Kommunisten bei.

Das wäre aber bitter nötig in einer Zeit, in der die Herrschenden gnadenlos immer mehr, einst erkämpfte soziale Leistungen und politische Rechte beschneiden und zerstören. Rechtspopulisten und Rechte sind im Aufwind.

Anstatt solidarisch die Partei Die Linke im Bundeswahlkampf zu unterstützen, muss die DKP unbedingt einen eigenen Wahlkampf mit eigenen Kandidaten führen. Und die Genossen in den Gruppen und Kreisen haben den Beschluss des PV bedingungslos zu erfüllen. M.E. fehlt es den Genossen des PV an einer klaren Analyse der konkret-historischen Situation.

Auffallend im Artikel vom 18. August 2017 ist weiterhin: Genosse Köbele spricht – wie von abstrakten Kategorien – vom Bezirksvorstand Südbayern und seinen„Gremien“, von „Grundgliederungen“ sowie dem „Netzwerk“ oder der „Partei“. Er spricht nicht von Genossen, Kommunisten oder Mitgliedern der Partei, nicht von Menschen.

Das entspricht m.E. dem sowjetischen Parteien- und Sozialismus-Bild und -Model. Hier wurde nicht der Mensch in den Mittelpunkt gestellt. Das Modell überbewertete die Rolle des Kollektives und Individuelles wurde verachtet. Es darf nicht vergessen werden: Jede Partei wird von Menschen getragen, deren unterschiedlichen Charakteren, Neigungen, Interessen, deren Bewusstsein, Bildungsstand etc. Das macht den subjektiven Faktor in sozialistischen und kommunistischen Bewegungen aus.

Am Beginn des 6. Absatzes desselben Artikels äußert Genosse Köbele die Sorge des PV um den Erhalt der DKP als Kommunistische Partei. Das habe zu den genannten Beschlüssen geführt.

Auch mehrere Hundert Genossen des Kommunisten Netzwerkes sorgen sich um den Erhalt der DKP als Kommunistische Partei. Das brachten sie in ihrem offenen Brief an die Mitglieder der DKP vom 25.06.2016 zum Ausdruck. Vom Parteivorstand wird dieser Brief und damit die Sorge der Genossen abgestraft, als parteischädigend bezeichnet und das Kommunistische Netzwerk als „Fraktionierung“ gekennzeichnet. Welche Arroganz!

Kritik und Selbstkritik sind Bewegungsgesetze einer Partei. Genossen eines Parteivorstandes sollten damit umgehen können. Werden Kritik oder Selbstkritik von Genossen in führenden oder anderen Gremien vernachlässigt, dann entsteht Sektierertum und Stagnation bis zur Auflösung einer jeden Partei.

Die jüngste Vergangenheit, der Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft und die Auflösung oder Spaltung kommunistischer und Arbeiterparteien Ende des 20. Jahrhunderts stellen wohl das traurigste Kapitel in der Geschichte der Kommunistischen- und Arbeiterbewegung dar. Die einst erreichten Ergebnisse und die Erfahrungen der sozialistischen Staaten und der kommunistischen und Arbeiterparteien sollten allerdings nicht in Misskredit gebracht werden. Sie sind trotz alledem zu würdigen.

Ursprung dogmatischer Ansichten bei Kommunisten – die „Partei neuen Typs“: Der Weg in die Sackgasse?

Historiker und Gesellschaftswissenschaftler versuchen seit den Achtziger- und Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts Erklärungen für den Zusammenbruch der Sozialistischen Staatengemeinschaft und vor allem des Rückschlages der Kommunistischen Weltbewegung zu finden. Der Blick wird immer wieder gerichtet auf die Rolle der Kommunistischen Parteien, die Entwicklung einer „revolutionären marxistischen Partei“ zur „Partei neuen Typs“.

Entsprechend der konkreten historischen Bedingungen in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Illegalität, Wirken des zaristischen Polizeiapparates etc.– war der Zusammenschluss einer engen, zentralistischen und konspirativen Organisation von Berufsrevolutionären auf dem II. Parteitag der SDAPR im Jahr 1903 zwingend geboten. Auf diesem Parteitag waren 26 sozialdemokratische Organisationen vertreten. Sie sollten innerhalb der nächsten Jahre zu einer kampfstarken Partei vereint werden. Niemals hat Lenin diesen Parteityp als einen für alle Zeiten und alle Länder verbindlichen Typ verfochten.

Lenins Herangehen an das Problem der Parteiorganisation war niemals doktrinär, sondern entsprach immer den konkret historischen Bedingungen. Lenin ging von den objektiven Bedingungen und Erfordernissen aus und nicht von einem subjektiven Kalkül. Diese Gedanken Lenins sind in vielen seiner Schriften nachzuvollziehen.

Über Jahrzehnte haben sich Fehlinterpretationen leninscher Aussagen (geschichtsfälschende Behauptungen) über die „Partei neuen Typs“, vor allem von Stalin (und den nachfolgenden Generalsekretären der KPdSU) in die kommunistischen Parteien Ost- und Westeuropas hineingetragen, gehalten. Die Parteien in der sozialistischen Staatengemeinschaft konnten sich diesem Diktat nicht entziehen. Die führende Rolle der KPdSU war im Denken und Handeln der Kommunisten anderer Parteien fest verankert.

Unlängst fand ich in meinem privaten Archiv einen Artikel von Prof. Dr. Prokop vom 21. Januar 1993 im Neuen Deutschland. Unter der Überschrift „Partei neuen Typs – der Weg in die Sackgasse?“ schreibt er u.a.: „Entgegen der deutschen Parteitradition der revolutionären Massenarbeit richtete sich das Korsett der ‚Partei neuen Typs‘ an Kriterien aus, wie sie Lenin für die Bolschewiki, eine Partei von Berufsrevolutionären, erarbeitet hatte. Das Prinzip des ‚Demokratischen Zentralismus‘ war dafür ebenso typisch wie die eiserne Disziplin gegenüber den Parteibeschlüssen (…).“

Gemeint war die Übernahme des sowjetischen Modells und der Richtlinien der KPdSU durch die SED von 1948 bis 1952 und in den folgenden Jahren.

Prokop schreibt weiter: „Die Prinzipien einer Partei neuen Typs bedeuteten letztlich eine unüberwindbare Barriere für die gesellschaftliche Weiterentwicklung. Die SED gab ihre führende Rolle ganz unspektakulär in den Wochen der ‚Sprachlosigkeit‘ 1989 auf. Klarer konnte nicht demonstriert werden, dass ein falsches Prinzip in die Sackgasse geführt hatte. Mangelnde innerparteiliche Demokratie und die fehlende Kontrolle der Führung durch die Basis hatten die längst fälligen Erneuerungen an der Spitze verhindert, solange bis diese regelrecht abfaulte“. Soweit zur SED und DDR Geschichte.

Zurück zu Stalin. Zu beachten sind die Aussagen etwa in seiner Schrift „Über die Grundlagen des Leninismus“ vom April 1924 (im Einzelband „Fragen des Leninismus“ (Moskau 1947), S.9-100).

Schon drei Monate nach dem Tod Lenins, im Januar 1924, unterscheiden sich Stalins Aussagen erheblich von Lenins Ringen um die Einheit der Partei, der Arbeit der Gewerkschaften und anderer Massenorganisationen. Stalin bezeichnet sie als „simple Transmissionsriemen“ und erhebt einen Ausschließlichkeitsanspruch der Bolschewiki.

Letztlich hat der „inkonsequente, einseitige Umgang mit den prinzipiellen Entscheidungen des X. Parteitags der KPR (B) (1921, noch von Lenin geführt) nach Lenins Ausscheiden zur stalinistischen Verformung der KPdSU (B), zum Abgehen vom Lenin‘schen Kurs und zum Niedergang der Sowjetgesellschaft beigetragen“ (Heinz Karl in Marxistische Blätter (4-2017): „Lenins Partei neuen Typus im Widerstreit der An- und Draufsichten, S.100).

Die aktuelle Bedeutung historischer Erfahrungen

Nach Heinz Karl sind „Lenins Vorstellungen von der revolutionären marxistischen Partei, die Entwicklung dieser Vorstellungen und die Auseinandersetzungen um sie keineswegs nur von historischem Interesse. Ganz im Gegenteil: Sie vermitteln wichtige Lehren und Anregungen für die Gegenwart und Zukunft der sozialistischen und kommunistischen Bewegung und sind gründlicher als bisher zu untersuchen.“

In diesem Sinne habe ich vor, mit Blick auf den 100. Jahrestag der Gründung der KPD vom 30.12.1918 bis 01.01.1919 eine Bibliografie über die Etappen und Stationen der kommunistischen Bewegung in Deutschland zu erarbeiten. Das ist eine komplexe und umfassende Aufgabe.

Vor zwei Extremen will ich mich dabei hüten: zum einen, eine Glorifizierung der Werke von Marx, Engels und Lenin vorzunehmen. Alle Lehren und Schriften sind immer in Zeit und Raum, unter den jeweiligen Kräfteverhältnissen zu betrachten und zu verstehen. Ein differenziertes Herangehen ist erforderlich.

Zum anderen ist eine Verteufelung früherer sozialistischer Staaten wegen der Führungsrolle ihrer Parteien zu vermeiden. Eine generelle Verteufelung des Marxismus-Leninismus darf nicht zugelassen werden, weil unter seinem Banner, insbesondere in der Sowjetunion in den „Jahren des Misstrauens“ Verbrechen begangen wurden.

Relevante Literaturangaben will ich gerne auf kommnet.de veröffentlichen. Das soll mein Beitrag zur Arbeit des kommunistischen Netzwerkes sein.

Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und würde mich freuen, wenn sich Mitstreiter finden.

Monika Strauß, DKP Main-Taunus-Kreis, Hessen