Spanien: Regierung für den IBEX-35. Gescheitert!

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update 06.03.2016: Erwartungsgemäß ist Pedro Sánchez am Freitag auch in der zweiten Abstimmung für das Amt des Ministerpräsidenten gescheitert. Der parlamentarische Sprecher der Izquierda Unida-Unidad Popular, Alberto Garzón, forderte Sánchez auf, ab Montag wieder an den 'Tisch der Vier' zurückzukehren, um über eine linksorientierte Regierung zu verhandeln. König Felipe VI erklärte, er werde erst dann einen Kandidaten benennen, wenn dieser eine sichere Mehrheit im Parlament habe.

Wie erwartet, hat das spanische Parlament am Freitagabend mit großer Mehrheit die Kandidatur des Sozialistenführers Pedro Sánchez für das Amt des Ministerpräsidenten abgelehnt. Er erhielt nur 131 der 350 Abgeordnetenstimmen. 219 Parlamentarier stimmten gegen die geplante Regierungskoalition aus Sozialistischer Partei (PSOE) und den neoliberalen Ciudadanos (Cs).

Jetzt dreht sich das Verhandlungskarussell weiter. Wenn bis zum 2. Mai kein neuer Ministerpräsident gewählt wird, werden am 26. Juni Neuwahlen fällig.

König Felipe VI ließ erklären, dass er erst dann einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten benennen werde, wenn siecher sei, dass dieser eine ausreichende Mehrheit im Parlament finden wird. Der König hatte Sánchez nach Gesprächen mit Pablo Iglesias (Podemos) und Alberto Garzón (Izquierda Unida-Unidad Popular) als Kandidat vorgeschlagen, als sich die Möglichkeit einer Regierungskoalition dieser Kräfte abzeichnete. Zuvor hatte der rechtskonservative amtierende Regierungschef Mariano Rajoy auf eine Kandidatur für eine weitere Amtszeit verzichtet, weil er keine Koalitionspartner gefunden hatte.

Die möglichen Konstellationen für eine Regierungsbildung sind nach dem Scheitern von PSOE-Cs nicht wesentlich verändert. Sánchez schloss in der Debatte eine "große Koalition" mit Mariano Rajoy und seiner Volkspartei (PP) weiterhin kategorisch aus. Diese Koalition hätte zwar eine ausreichende Mehrheit, würde aber, so die Befürchtung der PSOE, diese in den Abgrund reißen.

Die Differenzen zwischen Rajoy und Albert Rivera, dem Führer der Cs, haben sich in dieser Woche vertieft. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die PP die Cs zu einer gemeinsamen Regierung bewegen könnte.

PSOE: für die Interessen der popularen Klassen oder die des IBEX-35?

Geht es nach den Vorstellungen von Pedro Sánchez, dann sollen die Verhandlungen zwischen PSOE, Cs und Podemos geführt werden. Im Unterschied zur vorhergehenden Woche erklärt Cs jetzt, dass sie sich einer Verhandlung mit Podemos nicht versperren würden, aber nur, wenn Podemos "die verfassungsmäßigen Fundamente respektiert".

Der Sprecher der Parlamentsfraktion von Podemos, Íñigo Errejón, beschuldigte über Twitter den Führer von Ciudadanos, Albert Rivera, "die PSOE auf ihr Terrain zu schleppen, um der PP unter die Arme zu greifen". Die Entscheidung von PSOE und Cs, in den Verhandlungen zusammen weiterzumachen, ist für Errejón, "der erste Schritt zur großen Restauration". "Dies ist nicht der Wechsel", schließt er seine Nachricht.

Gárzon: Die IU-UP wird "nicht das Handtuch werfen"

Alberto Garzón von der Vereinigten Linken (Izquierda Unida-Unidad Popular, IU-UP) appelliert an die Sozialisten, dass sie verstehen müssten, dass sie "nach diesem Misserfolg wieder bei Null beginnen müssen". Der Weg, mit Hilfe der Cs ins Regierungsamt zu kommen, sei gescheitert; eine Wiederaufnahme von bilateralen Verhandlungen werde von IU-UP abgelehnt. Trotzdem wird die IU-UP "nicht das Handtuch werfen", sagte Garzón. Sein Vorschlag: "Man muss beim 'Tisch der Vier' einen anderen Weg finden, aber mit einer Richtung nach links." Dies schließe einen Pakt mit der "neuen Rechten" aus.

Am 'Verhandlungstisch der Vier' hatten auf Initiative von Garzón die PSOE, Podemos, IU-UP und Compromís über die Bildung einer progressiven Regierung verhandelt. Um die Unterstützung bzw. Tolerierung der Unabhängigkeitsparteien zu erhalten, müsste ein Referendum in Katalonien und im Baskenland in das Regierungsprogramm aufgenommen werden – bisher eine 'rote Linie' für die PSOE. Die PSOE hatte diese Verhandlungenbeendet und sich für den Pakt mit den Cs entschieden.

Die PSOE steht also nach wie vor vor der Entscheidung, "ob sie die Interessen der popularen Klassen verteidigt oder die des IBEX-35" (Alberto Garzón) [1]

[1] IBEX-35 ist dem DAX 30 in Deutschland vergleichbar

 


 

SP 2016-02-2016 229.02.206: Nach der Wahl vom 20. Dezember hat erstmals seit Ende der Diktatur keine Partei im spanischen Parlament eine ausreichend Mehrheit zur Regierungsbildung. Nach einem Verhandlungskarusell wollen jetzt die sozialdemokratische PSOE und die neoliberalen Ciudadanos am 1. März die Regierung bilden. Sie haben aber keine Mehrheit im Parlament und sind bereits jetzt mit Straßenprotesten konfrontiert.

Mit der Wahl vom 20. Dezember ist Spanien in eine Phase politischer Instabilität eingetreten. Erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur hat keine Partei eine ausreichende Mehrheit zur Regierungsbildung, ja nicht einmal genug Sitze, um mit einer zweiten Partei eine parlamentarische Mehrheit zu erreichen. Mindestens drei Fraktionen müssen unter einen Hut gebracht werden. Es sei denn, PP und PSOE würden eine große Koalition bilden. Die Vorschläge aus Brüssel und Berlin an PP und PSOE stießen jedoch auf geringe Resonanz. Vor allem die PSOE befürchtet, dann das Schicksal ihrer griechischen Schwesterpartei PASOK zu erleiden.

Nach der Wahl entstand die Situation, dass die bisher regierende Volkspartei PP (123 Mandate) keine Koalition eingeht, bei der nicht der alte Regierungschef Mariano Rajoy wieder ins Amt gebracht wird. Die sozialdemokratische Partei PSOE (90 Sitze) geht in keine Regierung mit Rajoy und der PP, akzeptiert aber auch nicht die Forderungen der Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien, Galizien und dem Baskenland. Sie will auch keine Koalition mit Podemos, sondern favorisiert eine PSOE-Minderheitsregierung, geduldet von Podemos und Ciudadanos. Podemos und Verbündete (69 Sitze) würden in eine Regierungskoalition mit der PSOE eintreten, aber nur ohne Beteiligung der Ciudadanos (40 Sitze). Die Ciudadanos wiederum schließen eine Koalition mit der PSOE nicht aus, sind aber für eine Koalition mit Podemos nicht zu haben.

Für die Regierungsbildung ist in der ersten Abstimmung die absolute Mehrheit von mindestens 176 Stimmen erforderlich. Im zweiten Wahlgang würde eine relative Mehrheit ausreichen.

Initiative von Podemos für Regierung des Wechsels
Als Mariano Rajoy am 22. Januar den Auftrag zur Regierungsbildung zurückgab, ergriff Pablo Igelsias von Podemos sofort die Initiative und schlug der PSOE eine "Regierung des Wechsels" vor, mit ihm als stellvertretenden Regierungschef. Seine Forderungen: ein Sozialprogramm für die ersten hundert Tage, das unter anderem die Rücknahme von Kürzungen, Sozialhilfe für mittellose Arbeitslose und ein Ende der Zwangsräumungen von Wohnungen beinhaltet. Die Kürzungen und Privatisierungen bei den öffentlichen Diensten müssten gestoppt, die Arbeitsreformen rückgängig gemacht und Impulse für die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze gegeben werden. In Bezug auf die Autonomiefrage stellte Iglesias klar: "Es ist selbstverständlich, dass wir das Referendum in Katalonien verteidigen." Eine Position, die von der PSOE nicht getragen wird. Allerdings relativierte Podemos diese Forderung und forderte die PSOE auf, einen besseren Vorschlag zu machen.

Der Vorschlag von Podemos beinhaltete auch, dass die Vereinigte Linke (Izquierda Unida – Unidad Popular, IU-UP) in die Regierung eintritt.

Alberto Garzón begrüßte für die IU-UP diesen Vorschlag, machte aber deutlich, dass es nicht um Ministerien gehe, sondern um "konkrete Politik". Die Kommunistische Partei Spaniens (PCE), eine wesentliche Kraft der IU-UP, zeigte sich skeptisch gegenüber einem Regierungseintritt, signalisierte aber die Unterstützung einer Regierung, wenn deren Programm 16 Punkte beinhaltet, u.a. Erhöhung des Mindestlohns um 20%, progressive Steuerreform, Kampf gegen Steuerhinterziehung, Abschaffung der Repressionsgesetze, Rücknahme der Arbeitsmarktreformen der PP und PSOE-Regierungen, kommunale Autonomie. (siehe ausführlich in " Spanien: Rajoy wirft Handtuch – Iglesias schlägt 'Regierung des Wechsels' vor")

Die PSOE muss sich entscheiden
Pablo Igelsias hatte zwar die Initiative ergriffen und den ersten Zug im Verhandlungsschach eröffnet, aber Pedro Sánchez war mit seiner PSOE von Beginn an in der besseren Verhandlungsposition. Er saß in der Mitte des Verhandlungskarussels und konnte mit beiden Seiten der politischen Szene verhandeln. Dabei favorisierte Pedro Sánchez von Beginn an eine Koalition mit den Ciudadanos, einer relativ neuen, neoliberalen 'Protestpartei'; eine Koalition, die auch von den wirtschaftlichen Eliten gewünscht wurde.

Nach Verhandlungen zwischen PSOE, IU-UP und regionalen Parteien kam es auf Initiative von Alberto Garzón zu den "Vierer-Gesprächen" zwischen PSOE, Podemos, IU-UP und Compromís (ein Bündnis linker Parteien in der Region Valencia).

"Die PSOE muss sich in diesem ausschlaggebenden Moment entscheiden, ob sie die Interessen der popularen Klassen verteidigt oder die des IBEX-35", sagte Alberto Garzón. (Anm.: IBEX-35 ist dem DAX 30 in Deutschland vergleichbar)

Die PSOE sagt NEIN zu Podemos und IU-UP
Am 20. Februar entschied sich die PSOE und sagte NEIN zu den wesentlichen Forderungen von Podemos und der IU-UP. Die Erfüllung der sozialpolitischen Forderungen und die damit verbundene Steigerung der öffentlichen Ausgaben wären ein "Risiko für die beginnende und verwundbare wirtschaftliche Erholung" und eine "Gefahr für die Stabilität", erklärte die PSOE. Ebenso lehnen die Sozialdemokraten die Erhöhung der Steuereinnahmen durch Belastung der Reichen und Unternehmen ab. Und schließlich heißt es in der Erklärung der PSOE, es sei "nicht realistisch, zu denken, dass die Europäische Kommission eine so flagrante Nichterfüllung der Defizitziele … akzeptieren" würde.

Pakt mit den neoliberalen Ciudadanos
Da Sánchez parallel die Verhandlungen mit Ciudadanos geführt hat, konnte er schon am 24. Februar die Regierungsvereinbarung mit dieser rechtsliberalen Partei bekannt geben. Mit diesem Pakt haben die Sozialdemokraten ihre zentralen Wahlversprechen auf- und den neoliberalen Position von Albert Rivera und seinen Ciudadanos nachgegeben. Von der Rücknahme der neoliberalen Arbeitsmarktreformen, eine der großen Versprechungen im Wahlkampf, ist im Koalitionsprogramm nichts mehr zu lesen. Statt gesenkte Löhne wieder anzuheben, womit auch die Lohnsteuereinnahmen steigen würden, sollen niedrige Löhne nun auch noch staatlich subventioniert werden. Zwar soll eine Vermögenssteuer wieder eingeführt, aber hohe Einkommen sollen nicht über eine stärkere Progression zur Kasse gebeten werden. Die Vorschläge bezüglich der Autonomiebestrebungen sind wenig konkret und beinhalten nur die simple Erklärung, dass ein Übergang zu einem föderalen System vorgeschlagen werden soll, mit dem die territorialen Spannungen gelöst werden. Der PSOE geht es wie dem spanischen Nationalisten Albert Rivera darum, Regionen wie Katalonien eine Abstimmung über ihre Unabhängigkeit zu verbieten.

Für den Sozialistenführer Sánchez ist das Abkommen "transversal", dessen "Logik nicht links und nicht rechts, sondern die des Wechsels ist".

Diese Interpretation stößt aber nicht nur links von der PSOE auf Widerspruch. Die Vereinbarung sorgt auch beim linken Flügel der PSOE für Unruhe und Widerstand. Sie sehen, dass mit dieser Regierungskoalition am politischen Kurs von Mariano Rajoy festgehalten wird.

Dennoch fordert Sánchez Unterstützung von "Rechts und Links". Denn nur bei Enthaltungen im zweiten Wahlgang am 5. März kann er Ministerpräsident werden. Sollte Podemos mit Nein stimmen, dann sei "Pablo Iglesias das Rettungsboot für Rajoy", sagte er in einer Pressekonferenz.

Podemos: NEIN
Bei den bevorstehenden Abstimmungen am 2. März und 5. März kann Sánchez trotzdem nicht mit den Stimmen von Podemos und der IU-UP rechnen. Der Sprecher der Parlamentsfraktion von Podemos, Iñigo Errejón, erklärte, dass die Vereinbarung "kein Pakt des Wechsels" ist, und die Abgeordneten von Podemos und der mit Podemos Verbündeten sowohl in der ersten wie in der zweiten Abstimmung gegen die Regierungsbildung votieren werden. Er forderte Sánchez nochmals auf, sich für eine "plurale, progressive Regierung des politischen Wechsels" zu entscheiden, um mit "Mariano Rajoy und seiner Politik zu brechen".

IU-UP: NEIN
"Die Vereinbarung zwischen Ciudadanos und PSOE ist sehr rückschrittlich und gegen die Interessen der popularen Klassen gerichtet. Das wirtschaftliche Projekt der Ciudadanos ist in einem unversöhnlichen Gegensatz zu unserem. Die spanischen Wähler verlangen eine Übereinkunft der Linken. Wenn die PSOE ein so rückschrittliches Programm zur Regierungsbildung präsentiert, dann können wir das nicht unterstützen", sagte Alberto Gárzon für die IU-UP. Angesicht dessen, dass Sánchez die Unterstützung der Rechten sucht, die die Interessen der Troika vertreten, "muss man die PSOE in Richtung einer Regierung des Widerstands drücken", setzte er hinzu.

PSOE-Mitglieder für Regierung mit Ciudadanos
Um sich der Unterstützung seiner Partei zu versichern, führte die PSOE am Samstag (27.2.2016) eine Mitgliederbefragung durch. Nach Informationen der PSOE hat sich gut die Hälfte der 190.000 Mitglieder beteiligt. Davon haben 79% der Vereinbarung und Regierungsbildung mit Ciudadanos zugestimmt.

SP 2016-02-2016 3Begleitet war die Mitgliederbefragung von massiven Protesten. Unter der Losung "Die Verhandlungen finden auf der Straße statt", haben in Madrid Tausende gegen den Pakt zwischen PSOE und Ciudadanos demonstriert. "Wir zahlen nicht mit dem Gesundheitswesen und der Bildung für die Schulden", "Wer auch immer regieren wird, die Rechte werden verteidigt", waren einige der Losungen. Die Demonstranten forderten die Rücknahme der repressiven Gesetze, mit denen der Protest erstickt werden soll. Aufgerufen hatten diverse Organisationen, die die Bürgerplattform bilden, die seit der Kommunalwahl im Mai 2015 die Bürgermeisterin von Madrid stellt.

Wie geht es weiter
Nach dem Bruch mit der Linken ist die PSOE auf Mariano Rajoys Volkspartei PP angewiesen. Aber die Generalsekretärin der PP, María Dolores de Cospedal, hat das Ansinnen der Ciudadanos, sich bei der Abstimmung zu enthalten, bereits zurückgewiesen. Die PP werde mit Nein stimmen und nach dem Scheitern von PSOE / Ciudadanos eine "große Koalition" unter Führung der PP und mit Unterstützung durch PSOE und Ciudadanos ins Gespräch bringen.

Pablo Iglesias wiederum gibt sich sicher, dass Pedro Sánchez nach dem Scheitern das Gespräch mit der Linken suchen wird, um eine linke Koalitionsregierung zu bilden. Auch Alberto Garzón meint, dass die PSOE sich dann "nach links drehen" und an den Verhandlungstisch mit der Linken zurückkehren wird. Die Vierergruppe PSOE, Podemos, Izquierda Unida-Unidad Popular und Compromís habe die besten Ausgangsbedingungen für eine echte Regierung des Wechsels, nicht zuletzt, weil sie sich schon von Beginn der Verhandlungen mit anderen Kräften auf 161 Abgeordnete stützen könnte. Auch für den Sprecher von Podemos Iñigo Errejón stellen die Vierergespräche eine "historische Chance" für die Bildung einer Regierung des Wechsels dar.

Auf jeden Fall wird ein Scheitern der Regierungsbildung in dieser Woche eine Periode von zwei Monaten eröffnen, in denen neu über mögliche Regierungskoalitionen verhandelt wird. Am Ende können aber auch Neuwahlen stehen.

txt: ts
fotos: Publico, comunistes.cat


 siehe auch: