Frischer Wind für Griechenland und Europa

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21.01.2015: In vier Tagen entscheiden die GriechInnen wie es in ihrem Land weitergehen soll. Ein Sieg der Linken gilt aber als so gut wie sicher. Die Frage ist: Bekommt SYRIZA die absolute Mehrheit oder wird Tsipras auf einen Koalitionspartner angewiesen sein? Inzwischen beweist Rena Dourou, im Mai gewählte Gouverneurin der Region Attica, dass auch auf regionaler Ebene Widerstand gegen die Troika-Politik möglich ist.

Erdrutschsieg für SYRIZA?

Nach einer am Montag veröffentlichten Erhebung für den Fernsehsender Skai konnte SYRIZA ihren Vorsprung ausbauen und würde am Sonntag 6,5 Prozentpunkte mehr als die regierenden Konservativen erhalten. SYRIZA liegt demnach nun bei 33,5% statt bisher 31,5%. Die Nea Dimokratia (ND) von Regierungschef Samaras kommt unverändert auf 27 Prozent. Die zweite Regierungspartei, die sozialdemokratische PASOk, kämpft um den Sprung über die 3-Prozent-Hürde. Allerdings sind gerade in Griechenland die Wahlprognosen mit Vorsicht zu genießen. 18 Parteien und vier Wahlbündnissen werden am 25. Januar kandidieren. Auf jeden Fall wird sich im neuen Parlament eine völlig neue politische Landschaft widerspiegeln: alte Parteien werden nicht mehr existieren, neue werden gespalten.

Das griechische Wahlrecht ist stark mehrheitsfördernd. Die stimmenstärkste Partei erhält einen Bonus von 50 Sitzen, die restlichen 250 werden anteilig vergeben. Eine absolute Mehrheit ist daher bereits mit 35 bis 38 Prozent der Stimmen möglich - je nachdem, wie viele Parteien an der 3-Prozent-Hürde scheitern. Sollte dennoch keine Partei die absolute Mehrheit erreichen, ist ein mehrtägiges Verfahren zur Bildung einer Koalitionsregierung vorgesehen. Der Staatspräsident beauftragt den Chef der stärksten Partei damit, die Bildung einer Koalitionsregierung auszuloten.

Den Parteien bleibt nicht viel Zeit, das Mandat gilt für drei Tage. Scheitert die erste Sondierung, erhält der Vorsitzende der zweitstärksten Partei das Mandat. Sollte auch diese Bemühung scheitern, ist die drittstärkste Partei am Zuge. Führt dies zu keinem Ergebnis, ruft der Präsident alle Parteivorsitzenden zu einer letzten Gesprächsrunde zusammen. Bleibt auch dies erfolglos, wird das Parlament aufgelöst, binnen 30 Tagen werden dann Neuwahlen angesetzt.

Frischer Wind für Griechenland und Europa

Inzwischen führt die im Mai in das Amt der Gouverneurin der Region Attica gewählte Rena Dourou vor, welche Politik von SYRIZA zu erwarten ist. Sie beweist in der Region, in der knapp die Hälfte aller Griechen und Griechinnen lebt, dass auch auf lokaler Ebene Widerstand gegen die Politik der Troika möglich ist: Als erstes hat sie die Sozialausgaben von 1,9 Mio. auf 13,5, Mio. Euro versiebenfacht. Sie hat Essensausgaben für Arme und Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Krankenversicherung eingeführt. Misshandelten Frauen – ein wachsendes Problem seit Beginn der Krise – wird Unterstützung geleistet. In Konfrontation mit der Regierung wurden 38.000 Haushalte, die vom Stromnetz abgetrennt waren, wieder angeschlossen. Privaten Müllfirmen wurden die Verträge gekündigt. Außerdem konfrontierte sie Regierung und Troika mit der Weigerung, die angeordneten pauschalen Massenentlassungen öffentlich Bediensteter – eine der zentralen Forderungen der EU und des IWF - umzusetzen.

Wie die Troika in Athen regiert

Das griechische Investigativ-Magazin Hot Doc hat vertrauliche e-mails zwischen diversen Ministerien, dem Büro von Premier Antonis Samaras und den Vertretern der Troika veröffentlicht. In diesen Dokumenten wird deutlich wie die Troika in Athen regiert: Gesetze werden als unzureichend abgelehnt, Minister in strengem Ton ermahnt, laufende Reformen oder Gesetzesvorhaben werden mit Randnotizen wie „wird abgelehnt", „reicht nicht aus" oder „reicht teilweise aus" bewertet.

Alexis Tsipras erklärte, dass bei einem Sieg von SYRIZA dieser antidemokratischen Politik und der Einmischung der Troika ein Ende gesetzt wird. Auch Rena Dourou bekräftigt: „Die Linke kann, und wird, frischen Wind nach Griechenland und Europa bringen.”

Sofortprogramm einer Linksregierung

Eine SYRIZA-Regierung wird das 240 Milliarden Euro schwere Hilfsprogramm für Griechenland neu verhandeln, einen Teil-Erlass der immensen Staatsschulden erzwingen und Reformen zurücknehmen, die zu unzumutbaren sozialen Härten für die Bevölkerung geführt haben: Die Renten und Mindestlöhne sollen erhöht und Privatisierungen gestoppt werden, entlassene Staatsbedienstete sollen in ihren alten Job zurückkehren und die Gewerkschaften wieder Tarifverhandlungen führen können.

In einem ARD-Interview bekräftigte der Wirtschaftswissenschaftler und Berater von Alexis Tsipras, Theodoros Paraskevopoulos, dass SYRIZA Ernst machen werde mit den Veränderungen: So würden auch die Banken neu organisiert werden, mit neuer Schlüsselhoheit für den Staat. „Die griechischen Banken schulden dem Staat das Zehnfache ihres eigenen Börsenwertes", kritisiert Paraskevopoulos. Der griechische Staat werde seine Eigentumsrechte wahrnehmen - was er bislang nicht getan habe – und das Bankensystem umbauen. Steuerfahnder würden ermuntert - nicht wie bisher gebremst werden -, um die Reichen zur Kasse zu holen. Denn in der Krise, so Paraskevopoulos, seien die Reichen noch reicher geworden: ein Prozent der Griechen halten inzwischen 46 Prozent des Gesamtvermögens. Im Falle eines Syriza-Wahlsieges würde außerdem die Korruption effektiv bekämpft werden.

Das wichtigste Vorhaben von SYRIZA ist aber ein Schuldenschnitt, der auf einer internationalen Konferenz ausgehandelt werden soll. Verbunden ist dies mit einer Wachstumsklausel, nach der erst die Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden müssten, bevor der Schuldendienst wieder aufgenommen wird.

Der Chefökonom von SYRIZA, Jannis Milios, bekräftigt in einem Interview mit der Wiener Zeitung: „Die Schuldenproblematik ist kein griechisches Problem. Sie betrifft den gesamten Süden Europas - und nicht nur ihn. Daher fordern wir eine Europäische Schuldenkonferenz. Es kann technische Lösungen geben, die die Schuldentlastung aller Länder gewährleisten, ohne dass Kapitalüberweisungen zwischen den Ländern erfolgen und ohne die Steuerzahler zu belasten. Voraussetzung ist, dass die EZB eine aktive Rolle übernimmt.“

Unterstützung bekommt SYRIZA in der Frage des Schuldenschnitts inzwischen sogar vom ehemaligen Finanzminister Griechenlands. Panagiotis Roumeliotis (PASOK) war Finanzminister, griechischer Vertreter beim Internationalen Währungsfonds und ist heute Vizepräsident der Piräus Bank. Nach seinen Angaben müsste Griechenland allein im Jahr 2015 27% seines Budgets für den Schuldendienst aufwenden. Das ist ungefähr derselbe Anteil an den Staatsausgaben, wie Deutschland oder Österreich für Gesundheitssystem, Bildungssystem und Umweltschutz zusammen ausgeben (Quelle: Eurostat). Das sei schlicht unfinanzierbar. Die anderen Euro-Staaten sollten aufhören, davor die Augen zu verschließen. Sie sollten stattdessen darüber nachdenken, wie sie sich das Geld von denen zurückholen, an die die sogenannten „Rettungspakete" tatsächlich geflossen sind: also vom internationalen Finanzsektor und den dahinterstehenden Reichen.


¡Empezamos en Grecia - cambiamos Europa! Beginnen wir in Griechenland - Verändern wir Europa!

Zudem wird eine Linksregierung versuchen, eine enge Kooperation der Linken und eine Allianz der Südländer Europas zu schmieden, um der Sparpolitik der Union ein Ende zu bereiten und eine Neuordnung der EU einzuleiten. So blicken die SpanierInnen aufmerksam nach Griechenland, denn der dortige Urnengang dürfte zu einem Test für die Parlamentswahl in diesem Herbst in Spanien werden. In Spanien macht sich die Linkspartei PODEMOS (Wir können) bereit, nach einem Wahlsieg die Regierung zu übernehmen.  Ebenso wie SYRIZA steht PODEMOS - wie auch die Vereinigte Linke Spaniens (IU) - gegen die von den Konservativen und Sozialdemokraten durchgesetzten Kürzungen und »strukturellen Reformen« und strebt Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern über Abstriche bei den Staatsschulden an. „Griechenland ist nur der Anfang eines Wandels in ganz Südeuropa“, schrieb Alexis Tsipras in einem Artikel für die Madrider Zeitung »El País«. „Bald werden wir erleben, dass dieser Wandel auch nach Spanien gelangen wird.“

De-Legitimierungskampagne gegen SYRIZA von links

Aber SYRIZA hat starke Feinde – die oppositionellen Kräfte in Griechenland, die konservativen und sozialdemokratischen Regierungen der Mitgliedsländer der Europäischen Union, die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank, den Internationalen Währungsfond, die internationalen Finanzmärkte. die Medien. Die Kampagne mit Drohungen und Erpressungen hat bereits begonnen.

Aber auch im linken Spektrum wird bereits an der De-Legitimierung einer SYRIZA-geführten Regierung gearbeitet. Für die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) besteht kein Unterschied zwischen einer von den Konservativen oder SYRIZA geführten Regierung. In der Zeitung der DKP, »unsere zeit«, äußert Giorgos Marinos, Mitglied des Politbüros der KKE, dass „SYRIZA und ND darum konkurrieren, wer das Profitstreben des Kapitals, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, die Schuldenrückzahlung besser stärken wird.“ Die KKE werde deshalb in Opposition zu jeder Regierung stehen. (UZ, 9.1.2015)

Der Sekretär für Internationale Beziehungen der DKP, Günter Pohl, behauptet, SYRIZA habe die „ursprünglich angekündigten radikalen Maßnahmen in den letzten Monaten Stück für Stück zurückgezogen … (SYRIZA spricht nicht mehr von Austritt aus EU oder Euro)" und reduziere sich auf „rein sozialdemokratische Forderungen“. (UZ, 16.1.2015)

Selbst bei oberflächlicher Befassung mit der Politik von SYRIZA kann man wissen, dass SYRIZA im Unterschied zur KKE nie eine Politik des EU- oder Euro-Austritts verfolgt hat. Walter Listl, Sprecher der DKP Südbayern, dazu: „Es sind vielmehr die Gegner SYRIZAs, die diese Maßnahmen als Schreckgespenst im Falle eines Wahlsiegs von SYRIZA an die Wand malen. Daran sollte man sich auch aus eventueller Unwissenheit nicht beteiligen. Ein starkes Stück ist die Behauptung, das bei der Beratung vorgetragene SYRIZA-Programm bestehe aus ‚rein sozialdemokratischen Forderungen‘. Seit wann gehört die Erhöhung der Renten, die stärkere Besteuerung der Reichen zugunsten der Armen, die Streichung von Schulden und das Ende der Austeritätspolitik zum Repertoire von Sozialdemokraten? SYRIZA geht es um die Abwendung der humanitären Katastrophe in Griechenland. Wäre die Abwendung humanitärer Katastrophen sozialdemokratische Politik, gäbe es u.a. keinen Flüchtlingsmassenfriedhof im Mittelmeer. Pohls Definition von ‚reiner sozialdemokratischer Politik‘ hat die SPD einfach nicht verdient.“

Tatsächlich hat Tsipras bereits im Jahr 2013 bei einem Vortrag an der Universität Texas deutlich gesagt, dass seine Partei den Austritt Griechenlands aus der EU und dem Euro ausdrücklich ablehnt. Diese Position wurde mit überwältigender Mehrheit von den Delegierten des SYRIZA-Kongresses Ende Juli 2013 bekräftigt. (siehe Bericht vom SYRIZA Kongress)

Jannis Milios erklärte kürzlich zu dieser Frage noch einmal: „Klipp und klar: Wir wollen auf keinen Fall den Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone. Wir wollen keinen Grexit. SYRIZA kämpft mit der Europäischen Linken vielmehr für das Ende der Austerität, für ein soziales Europa - und dies eindeutig mit dem Euro.“

Ziel: Aufbau des Sozialismus

Das Regierungsprogramm erscheint tatsächlich sehr gemäßigt. (mehr Details können im Bericht über die Mitgliederversammlung der marxistischen linken nachgelesen werden) Was die Radikalität des Programms von SYRIZA ausmacht, ist der erklärte Wille, mit dem neoliberalen Regime in der EU zu brechen. Klar ist, dass eine Linksregierung in Griechenland diese Politik nur verfolgen wird können, wenn sie die aktive Unterstützung der eigenen Bevölkerung und der Bewegungen erhält, und wenn europaweit die Solidarität mit dieser Politik organisiert wird.

Giorgos Chondros von der Europaabteilung von SYRIZA und der Verantwortliche von Solidarity4All für Österreich und Deutschland betont, das „strategische Ziel" von SYRIZA sei der Sozialismus und nicht eine „sozialdemokratische Agenda". Die Linkspartei wolle aber nicht die Sprengung der Eurozone und das Ende der Marktwirtschaft herbeiführen, sondern einen sozialeren Kurs in der Krise. „Wir sind eine Partei der radikalen Linken, wir sind aber gleichzeitig eine Partei, die die Aufgabe hat, in Griechenland die soziale Krise zu stoppen", sagt Chondros. So müssten die allerersten Maßnahmen nach einem SYRIZA-Wahlsieg notleidenden Menschen helfen, zum Beispiel den etwa drei Millionen Griechen ohne Krankenversicherung. Dazu sei SYRIZA zur Zusammenarbeit mit allen linken Parteien in Griechenland bereit. „Wenn wir es dann später schaffen, den Sozialismus aufzubauen, dann haben wir Zeit genug, darüber zu streiten, über welchen Weg wir dahinkommen."


Fakten zur Wahl:
(übernommen von „Griechenland entscheidet

Am 25.1. wählen 9,8 Millionen Wahlberechtigte die 300 Abgeordneten des griechischen Parlaments. Über 500.000 Griech_innen bleiben jedoch ausgeschlossen. Details dazu und die anderen wichtigsten Punkte haben wir hier zusammengestellt: