Vor einem entscheidenden Jahr für Palästina und Israel

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07.01.2015: Palästina werde spätestens im März Mitglied des in Den Haag ansässigen Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) sein, sagte der palästinensische Chefunterhändler Saeb am 2. Januar in einem Interview mit einem libanesischen Sender. Am gleichen Tag übergab die Palästinensische Beobachtermission bei der UNO einen entsprechenden Antrag bei dem für Rechtsfragen zuständigen stellvertretenden UNO-Generalsekretär.

 Palästinenser-Präsident Abbas hatte am 31. Dezember rund zwanzig internationale Abkommen unterzeichnet, darunter das Statut von Rom über das Internationale Kriegsverbrechertribunal, den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, die Konvention über das Verbot bestimmter konventioneller Waffen, die UNO-Seerechtskonvention, die Konvention über die politischen Rechte der Frau und die Konvention über biologische Vielfalt.

Damit will die palästinensische Autonomiebehörde und die von ihr im vergangenen Jahr von PLO und Hamas gemeinsam gebildete Regierung der Nationalen Einheit einen neuen Abschnitt im Ringen um die Anerkennung Palästinas als Subjekt und Akteur des Völkerrechts einleiten. So sollen nach dem Scheitern der Direktverhandlungen mit Israel im letzten Jahr die Bedingungen für das Erreichen einer dauerhaften Zwei-Staaten-Friedensregelung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und der Anerkennung Ost-Jerusalems als Hauptstadt Palästinas gemäß den diversen UNO-Resolutionen verbessert werden.

Erekat erklärte in dem erwähnten Interview, niemand werde Palästina hindern können, den unterzeichneten Abkommen beizutreten, weil dabei internationale Vereinbarungen und Organisationen ausgewählt wurden, bei denen eine Abstimmung über derartige Beitrittserklärungen nicht vorgesehen ist. Er betonte, jegliche neue Verhandlungen oder Gespräche mit Israel sollten auf der Grundlage eines Beschlusses des UNO-Sicherheitsrats stattfinden, der gewisse Standards für eine Friedensregelung und einen Zeitplan festlegt, um eine Wiederholung von endlosen Gesprächen ohne Ergebnisse, wie sie letztes Jahr gescheitert sind, zu verhindern. Damit entwickelte der palästinensische Sprecher offensichtlich eine Gegenposition zu dem insbesondere von den USA, aber auch von Merkel und Steinmeier vertretenen Standpunkt, dass zunächst Direktverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zu einem zweiseitig vereinbarten Abkommen führen müssten, ehe eine Anerkennung des Staates Palästina in Frage komme.

Genau eine solche Rahmenfestlegung des UNO-Sicherheitsrats hatten die USA am 30. Dezember blockiert. Ein von der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgearbeiteter, von Jordanien eingereichter und von den Staaten der Arabischen Liga einmütig unterstützter Resolutionsentwurf hatte vorgesehen, eine Frist von zwölf Monaten für ein Friedensabkommen zwischen Israel und Palästina auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und eine Frist von zwei Jahren für den endgültigen Abzug aller israelischen Besatzungstruppen aus den besetzten palästinensischen Gebieten festzulegen. Dieser Vorschlag bekam in dem 15 köpfigen Weltsicherheitsrat zwar die Zustimmung einer Mehrheit von acht Staaten (Russland, China, Frankreich, Luxemburg, Jordanien, Tschad, Argentinien und Chile), für seine Annahme wären nach dem Reglement jedoch neun Stimmen erforderlich gewesen. Allerdings hatten nur die USA und Australien mit Nein gestimmt. Großbritannien, Litauen, Südkorea, Ruanda und Nigeria hatten sich der Stimme enthalten. Aus internen Kreisen verlautete, dass Nigeria ursprünglich zugesagt habe, mit Ja zu stimmen, aber auf Drängen der USA im letzten Augenblick davon abgerückt sei.

Es war allerdings kein Zufall, dass die Abstimmung über diesen Resolutionsentwurf noch kurz vor Jahresende ohne das übliche Bemühen um Kompromißformulierungen durchgezogen wurde. Mit dem 1. Januar 2015 ändert sich nämlich die Zusammensetzung des Sicherheitsrates. Die nicht-ständigen Mitglieder Argentinien, Australien, Luxemburg, Südkorea und Ruanda werden durch Angola, Malaysia, Neuseeland, Spanien und Venezuela ersetzt. Bei dieser Zusammensetzung wäre die Abstimmung über den Resolutionsentwurf möglicherweise anders ausgegangen.

Die noch amtierende israelische Rechtsregierung hat auf die diplomatische Offensive der Palästinenser mit wütenden Gegenattacken reagiert. Netanjahu verfügte am 3. Januar den sofortigen Stopp der Überweisung der Steuereinnahmen, die laut dem Abkommen von Oslo aus dem Jahr 1993 in den besetzten  Palästinenser-Gebieten von der israelischen Besatzungsmacht erhoben und monatlich an die Palästinenser-Behörde überwiesen werden, um deren Arbeit zu finanzieren (ca. 106 Millionen €). Damit soll es der Autonomiebehörde unmöglich gemacht werden, ihre Angestellten zu bezahlen. Außerdem verkündete der israelische Regierungschef selbstherrlich, er werde nicht erlauben, dass israelische Offiziere und Soldaten wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden - was bedeutet, dass das israelische Militär außerhalb der internationalen Rechtsnormen agieren dürfen soll. Ferner ließ er ankündigen, Israel werde Palästinenserpräsident Abbas und andere palästinensische Amtspersonen vor Gerichten in den USA wegen Unterstützung von „Terroristen“ anklagen (obwohl beispielsweise der Europäische Gerichtshof erst kürzlich in einem Urteil festgestellt hat, dass die Hamas infolge von Verfahrensfehlern zu Unrecht auf der Terrorismus-Liste der EU steht).

Dabei ist die Netanjahu-Regierung eigentlich nur noch vorübergehend im Amt. Nachdem Netanjahu Ende November die einzigen zwei liberalen Minister aus seiner Regierungskoalition hinausgeworfen und damit den Bruch dieser Koalition provoziert hatte, beschloss das israelische Parlament am 3. Dezember eine vorgezogene Neuwahl des Parlaments am 17. März. Viele befürchten jetzt, dass Netanjahu mit dem anstehenden Wahlkampf die Achse der israelischen Politik noch weiter nach rechts verschieben und durch massive Stimmungsmache gegen die Palästinenser die Rechten, Rechtsextremisten und radikalen Ultraorthodoxen enger zusammenführen will, um so erneut einen Wahlsieg zu erreichen.

Um so mehr ist es gerade jetzt entscheidend, dass von internationaler Seite die Voraussetzungen für eine stabile Zwei-Staaten-Friedensregelung im Nahen Osten verbessert werden und die Solidarität mit der Forderung nach der Anerkennung Palästinas als souveräner Staat neben dem Staat Israel, die auch von den friedensorientierten Kräften in Israel verfochten wird, verstärkt wird.

Der Artikel wird auch in der UZ vom 9.1.2015 erscheinen