Eine halbe Million Franzosen auf der Straße

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LoiTravailNonMerci 090316 pcf10.03.2016: Ein Jahr vor dem Ende der Amtszeit des sozialdemokratischen Staatschefs François Hollande könnte in Frankreich eine neue soziale Massenbewegung entstehen. Jedenfalls hatten die Protestaktionen am 9. März mit 450 000 – 500 000 Teilnehmern in rund 150 Städten (224 000 nach Angaben des Innenministeriums) und 100 000 Demonstranten allein in Paris ein ungewöhnliches und weithin nicht erwartetes Ausmaß. 22 Jugendorganisationen, an der Spitze der allgemeine Studentenverband UNEF und die zwei größten Schülerorganisationen FIDL und UNL hatten zu Schulstreiks und zu einem Protestmarsch vom Sitz des Unternehmerverbands MEDEF zum Place de la République in Paris aufgerufen. An rund 90 Oberschulen war seit dem frühen Morgen der Zugang durch protestierende Schüler versperrt.

Die Studenten und Schüler erhielten in vielen Orten die Unterstützung der regionalen Gewerkschaftsbünde von CGT, Force Ouvrière, FSU und Solidaires, die sich den Demonstrationen anschlossen. Auch die Repräsentanten und Mitglieder der Parteien links von den regierenden „Sozialisten“ (PS) gehörten zu den Teilnehmern, so die Kommunistische Partei (PCF), die Linkspartei (PG) und andere Vereinigungen der „Linksfront“. Ebenso Vertreter der Grünen (EELV), die französischen Jungsozialisten (Jugendorganisation der Regierungspartei) sowie ein gutes Dutzend Abgeordnete der regierenden „Sozialistischen Partei“ (PS) selbst, die gegen die Politik ihres Staats- und Regierungschefs opponieren.

Parallel dazu hatte im Großraum Paris seit dem Vorabend ein eintägiger Streik der Eisenbahner und Nahverkehrsbetriebe begonnen. Er richtete sich gegen dauernde Arbeitsüberlastung und schlechte Arbeitsbedingungen infolge Personalkürzungen und führte zu erheblichen Behinderungen des Verkehrs in der Region um die französische Hauptstadt.

Über zehntausend Demonstranten kamen auch in Toulouse zusammen, weitere tausende u. a. in Nantes, Rouen, Rennes, Bordeaux, Marseille, Lyon und Lille.

Ein von der Regierung gewolltes neues „Arbeitsgesetz“ stößt auf landesweiten massiven Widerstand

Die Protestaktionen der Jugendorganisationen und Gewerkschaften richteten sich gegen den Entwurf eines neuen „Arbeitsgesetzes“  den die Arbeitsministerin El Khomri vorgelegt hat. Mit ihn soll das geltende französische Arbeitsgesetzbuch in entscheidenden Teilen „reformiert“ und „vereinfacht“, das heißt zugunsten der Unternehmer und zu Lasten der Arbeitenden und der Gewerkschaften demontiert werden.

Das Regierungsvorhaben ist ein weiterer Beweis für den totalen Rechtsschwenk des sozialdemokratischen Staatschefs und seiner Regierung. Nachdem Hollande und seine Minister  seit nunmehr vier Jahren ohne jedes sichtbare Ergebnis versucht haben, die französische Wirtschaft „anzukurbeln“ und die Arbeitslosenquote zu senken, indem sie den Unternehmen milliardenschwere Steuergeschenke zuschanzten, soll jetzt eine „Lockerung“ des Arbeitsrechts die „Wettbewerbsfähigkeit“ der französischen Unternehmen verbessern und die Unternehmer zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ermuntern.

Zu den wichtigsten „Neuerungen“ in dem Gesetzentwurf gehört die Regelung, dass Arbeitszeiten und Überstundenregelungen, die in Gesetzen oder Branchentarifverträgen festgelegt sind, nicht mehr überall gelten, sondern durch betriebliche Vereinbarungen grundsätzlich „flexibel“ an die jeweilige Betriebssituation „angepasst“ werden können. Die formale Gültigkeit der in Frankreich gesetzlich vorgeschriebenen 35 Stunden-Woche,wird zwar nicht angetastet, aber künftig sollen grundsätzlich per Betriebsvereinbarung davon „Abweichungen“ bis zu 60 Stunden/Woche zulässig sein, wobei die zulässige tägliche Höchstarbeitszeit von bisher 10 auf 12 Stunden ausgeweitet werden kann. Natürlich nur, wenn das Unternehmen „außergewöhnliche Umstände“  geltend machen kann. Zwar werden dann ab der 36. Woche weiterhin Überstundenzuschläge fällig, aber auch diese können per Betriebsvereinbarung von 25 bis auf 10 % abgesenkt werden. War bisher für derartige „Abweichungen“ eine vorherige Genehmigung durch die staatlichen Arbeitsinspektoren nötig, soll es künftig genügen, sie nur noch zu „informieren“.

Auch Auszubildende unter 18 Jahren sollen künftig statt 8 bis zu 10 Stunden am Tag und bis zu 40 Stunden pro Woche zur Arbeit verpflichtet werden können, ohne dass wie bisher vorher die Zustimmung der Arbeitsinspektion und eines Mediziners eingeholt werden muss.

Schließlich enthält der Entwurf neue Regelungen, die die Entlassung von Beschäftigten aus betriebswirtschaftlichen Gründen weiter erleichtern. Von den Unternehmen zu zahlende Entschädigungen bei unrechtmäßigen Entlassungen, die von Arbeitsgerichten festgelegt werden, sollen auf 15 Monatslöhne „gedeckelt“ werden. Bisher galt, dass den Gekündigten pro Jahr der Betriebszugehörigkeit ein Monatslohn als Entschädigung zugesprochen werden kann, auch über 15 Monatslöhne hinaus.

Insgesamt werden die Unternehmer mit der Möglichkeit zur Verlängerung von Arbeitszeiten und zur Verbilligung von Überstunden sowie mit der Erleichterung des „Heuerns und Feuerns“ der Arbeitskräfte wohl kaum zur Neueinstellungen von Arbeitskräften veranlasst werden. In Wirklichkeit wird damit nur das System von schlecht bezahlen und befristeten Kurzzeitjobs gefördert, also bestenfalls der prekäre Niedriglohnsektor ausgeweitet. Davon sind nicht zuletzt gerade auch Studenten und Schüler betroffen, die mit solchen schlecht bezahlten und befristeten prekären Jobs ihr Studium zu finanzieren versuchen.

Zugleich richten sich die zulässig gemachten „Abweichungen“ von Gesetzen und Tarifverträgen per betrieblicher Vereinbarung auch deutlich gegen die Gewerkschaften. Denn damit wird ihre „Verhandlungsmacht“ auf Branchenebene geschwächt und ausgehebelt. Die gewählten Betriebsvertretungen der einzelnen Belegschaften werden so mit dem Druck der jeweiligen Unternehmensleitungen,  Ausnahmeregelungen aus Betriebsgründen zu genehmigen, allein gelassen. Sie werden sich also viel schlechter dagegen wehren können.

Der Gesetzentwurf hatte in der französischen Bevölkerung eine breite Front der Ablehnung entstehen lassen. Bei Umfragen erklärten sich bis zu 70 % gegen das Vorhaben. Eine in den sozialen Netzwerken und dem Internet gestartete Petition „Arbeitsgesetz – nein danke!“ bekam  innerhalb von drei Wochen schon weit über 1 Million Unterschriften.

Angesichts dieser breiten Ablehnung verlegte sich die Regierung Anfang März aufs Manövrieren. Regierungschef Valls verkündete, man werde mit den Gewerkschaften und Jugendorganisationen sprechen, „Verbesserungen“ am vorliegenden Entwurf seien nicht ausgeschlossen. Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Ministerrat, die ursprünglich am 9. März stattfinden sollte, wurde auf den 24. März vertagt.

Damit konnte die Regierung einen ersten Effekt erzielen, nämlich die Front der französischen Gewerkschaften spalten. Während alle großen Gewerkschaftsbünde Anfang März bei einer Zusammenkunft den Gesetzentwurf als unannehmbar erklärt hatten, sahen die sozialpartnerschaftlich orientierten „reformistischen“ Gewerkschaften unter Führung der CFDT in der Verschiebung der Beratung im Ministerrat ein erstes Zugeständnis, das angeblich neue Verhandlungsmöglichkeiten eröffnete, um Verbesserungen entsprechend den gewerkschaftlichen Forderungen zu erreichen. Demgegenüber forderten die „linksorientierten“ Gewerkschaften CGT, FO, FSU und Solidaire die vollständige Zurückziehung des Entwurfs, da er nicht wirklich verbesserungsfähig und daher unannehmbar sei. Es ist allerdings bereits jetzt absehbar, dass die Regierung höchstens in einzelnen Detail- und Nebenfragen zu Konzessionen bereit ist. Das Grundprinzip der Deregulierung des Arbeitsrechts und des Unterlaufen von Gesetzen und Tarifverträgen durch abweichende „betriebliche Reglungen“ soll auf jeden Fall erhalten bleiben.

Es kann sich erst in den nächsten Tagen zeigen, welche „Verbesserungen“ die Regierung und die Unternehmerverbände den „reformistischen“ Gewerkschaften tatsächlich zugestehen wollen, um den Widerstand gegen das neue „Gesetz zu dämpfen. Davon könnte aber wesentlich abhängen, ob die Protestbewegung gegen das „Loi El Khomri“ in der zweiten März-Hälfte weiteren Zulauf bekommt und sich zu einer großen sozialen Massenbewegung ausweiten kann. Unabhängig davon werden die „linksorientierten“ Gewerkschaften und die Jugendorganisationen jedoch ihre Aktionen in den kommenden Tagen fortsetzen. Der Studentenverband UNEF und die Schülerorganisationen FIDL und UNL haben für den 17. März zu weiteren Aktionen aufgerufen. Für den 22. und 23. März sind landesweite Aktionen der Beschäftigten der öffentlichen Dienste und der Post angekündigt. CGT, FO, FSU und Solidaire haben zusammen mit den Jugendorganisationen für den 31. März zu einem weiteren landesweiten Streik- und Aktionstag aufgerufen.

Text: G. Polikeit                   Foto: pcf

Video: https://www.facebook.com/cnpcf/videos/903686333078662/

 

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