Kommt ein Linker an die Spitze der Labour-Party?

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18.08.2015: Das Labour-Establishment in hellem Entsetzen über die Gefahr einer Linksentwicklung. Die britische Labour Party hat ein Problem und das heißt Jeremy Corbyn. Die „Frankfurter Rundschau“ vermeldete am 14. August: „Der radikale Linke Jeremy Corbyn hat gute Chancen, der nächste Chef der britischen Labour-Partei zu werden. Er will aus der Nato austreten und mag auch die Monarchie nicht besonders. Ex-Premier Tony Blair fürchtet um sein Erbe.“


Die Aufregung in der britischen Presse und in den oberen Rängen der Labour-Party ist groß. Da geht offenbar die nackte Angst um: Nach aktuellen Umfragen droht der 66 jährige Sozialist Jeremy Corbyn bei der seit dem 14. August laufenden Basis-Abstimmung in der Labour Party der nächste Parteivorsitzende zu werden. Er lag bei der letzten Umfrage von YouGov nicht nur vorn – sein Vorsprung schien mit 53 Prozent und 32 Prozent Abstand zum nächsten Konkurrenten Andrew Burnham (Ex-Minister und Wunschkandidat der bisherigen Parteispitze) fast uneinholbar. Zwei weitere Mitbewerberinnen, Yvette Cooper und Elisabeth Kendall, die sich in den letzten Wochen zwar verbal vom bisherigen Kurs abzusetzen versuchten, aber wie Burnham die neoliberale Grundorientierung als alternativlos ansehen, schnitten noch schlechter ab.

Die Neuwahl des Labour-Vorsitzenden wurde notwendig, weil der bisherige Parteichef Milliband nach dem schlechten Ergebnis bei der Parlamentswahl im Mai 2015 zum Rücktritt gezwungen war. Er hatte mit seinem Kurs, der kaum Unterschiede zu den regierenden Konservativen unter Cameron erkennen ließ, das drittschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei eingefahren. Danach beschloss die Parteiführung, nicht nur die Mitglieder, sondern auch alle, die sich gegen eine Gebühr von 3 Pfund (ca. 4.20 €) als Sympathisanten registrieren ließen, per Urwahl über den nächsten Parteichef entscheiden zu lassen. Die Abstimmung per Internet oder Brief läuft noch bis zum 12. September.

Die rechtssozialdemokratischen Führer haben inzwischen eine wilde Kampagne gegen Corbyn losgetreten. Er wird als „radikaler Sozialist“ und Nostalgiker vergangener Zeiten, als „Kommunist“ und „Putin-Freund“ sowie als Freund der islamistischen Hamas und Hisbollah präsentiert. Ex-Labourchef Tony Blair verkündete, wenn Corbyn an die Spitze gelange, sei nicht nur die nächste Wahlniederlage sicher. Es drohe dann auch der „Untergang“ der traditionsreichen Labour-Party insgesamt.

Natürlich ist Corbyn nicht tatsächlich ein „Linksradikaler“. Seit 1983, also seit mithin 32 Jahren hat er in seinem Wahlkreis Islington North im Londoner Norden immer wieder die meisten Wählerstimmen hinter sich gebracht und damit nach dem englischen Mehrheitswahlrecht ein Abgeordnetenmandat für das britische Unterhaus errungen. Er gehört aber offenbar zu der wachsenden Zahl britischer Sozialdemokraten, die es nach den Erfahrungen der letzten Jahre, in denen Labour gegen die Konservativen nicht aufkam, für geboten halten, eine Alternative sowohl zum neoliberalen Wirtschaftskurs der Konservativen als auch zum damit gleichlaufenden Kurs der bisherigen Labour-Führung zu verfechten. Sie betrachten die 1995 von Tony Blair eingeleitete „New-Labour“-Politik als gescheitert, weil sie in den letzten Jahren nicht in der Lage war Labour zu neuen Erfolgen zu verhelfen. In diesem Rahmen haben Corbyn und seine Befürworter keine Hemmungen, auch an gewissen Elementen des alten Labourprogramms („Old Labour“) wieder anzuknüpfen.

So präsentiert sich Corbyn selbst als „Anti-Armuts-Aktivist“. Er fordert die Rücknahme der von den Konservativen vorgenommenen Sozialkürzungen und einen Mindestlohn von umgerechnet 10 Euro pro Stunde für alle. Gleichzeitig knüpft er an alten Verstaatlichungsvorstellungen von „Old Labour“ an, indem er sich für die Wiederverstaatlichung der privatisierten britischen Eisenbahn sowie der Wasser-, Strom- und Gasversorgung des Landes ausspricht. Er befürwortet neue staatlichen Wohnungsbau-, Technologie-, Umwelt-, Infrastruktur- und Verkehrsprojekte - auch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit -, die durch höhere Steuern für Unternehmen und Superreiche finanziert werden. Damit hat er sich offenbar auch eine beträchtliche Unterstützung in den Gewerkschaften erworben. Einige Generalsekretäre von Branchengewerkschaften haben ihre Unterstützung für ihn öffentlich verkündet.

Zugleich tritt Corbyn als entschiedener Kriegsgegner auf, zum Beispiel gegen den antirussischen Kurs der britischen Politik in Sachen Ukraine. Er wagte es sogar, einen Prozess gegen Tony Blair vor dem Internationalen Gerichtshof wegen der im Irak begangenen Kriegsverbrechen zu befürworten. Er sprach sich für die Abschaffung der britischen Atomwaffen und für die Loslösung des Landes aus der NATO sowie für die entschiedene Solidarität mit den Palästinensern gegen die Verewigung des israelischen Besatzungsregimes aus.

Sicher werden die etablierten Kreise Großbritanniens in den nächsten Wochen noch alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zu verhindern, dass dieser Mann an die Spitze von Labour gelangt. Doch wie immer es ausgeht, eine Sache sei gewiss, meinte der Internetdienst „Fox World“ vor kurzem: „Jeremy Corbyn stellt die größte ideologische Gefahr für das Labour-Establishment und darüber hinaus für den Mainstream-Konsens in der britischen Politik in den letzten 20 Jahren dar“.

Das verdient Beachtung, auch im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Debatten unter den europäischen Linken um Griechenland und die Perspektiven des Kampfes um eine Alternative in Europa. Wenn selbst in einem als sehr „konservativ“ geltenden Land wie Großbritannien vor dem Hintergrund der anhaltenden Wirtschaftskrise, der Krise des Neoliberalismus und der Krise des rechtssozialdemokratischen Politikmodells solche Entwicklungen möglich sind, läßt sich zumindest feststellen, daß Kräfte für eine linke Alternative in Europa offensichtlich nicht nur nach wie vor vorhanden, sondern auch im Wachsen sind. Auch wenn es in den alltäglichen Abläufen des europäischen Politikbetriebs oft noch wie „bleierne Unbeweglichkeit“ aussieht.

txt: G. Polikeit

 

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