Diese Thesen führen zu einer Schwächung kommunistischer Kräfte und unserer Partei (Andreas Grünwald)

E-Mail Drucken

Mehrfach habe ich nun diese Thesen des Sekretariats des Parteivorstandes gelesen. Anerkennend muss ich sagen: Eine Menge schöner Worte, in manchen Passagen ist der Text fast schon dichterisch! Doch inhaltlich, wie methodisch sind die Thesen eine Katastrophe! Dazu die folgenden Anmerkungen:

  1. Um was handelt es sich bei den Thesen?
    Zunächst ist zu klären: Um was handelt es sich bei diesen Thesen? Ist es ein Aufsatz einzelner Genossinnen und Genossen? Ist es der Entwurf eines Aktionsprogramms oder einer Entschließung für den nächsten Parteitag? Ist es ein Papier, das im Parteivorstand oder in irgendeiner Gliederung der Partei gründlich beraten wurde? Nein! Es sind Thesen des Sekretariats, die ohne gründliche Diskussion im Parteivorstand, ohne dass sich dieser für die Thesen positionierte, nunmehr der gesamten Partei, wie auch der Öffentlichkeit an den Kopf geworfen werden!
    Behandelt werden solche Kleinigkeiten, wie die Rolle und das Selbstverständnis Kommunistischen Parteien und der DKP im Besonderen, Fragen des Übergangs zum Sozialismus und der Revolution. Fragen der Macht und der Diktatur des Proletariats. Bewertet wird die Geschichte kommunistischer Bewegungen und der ersten Etappe realsozialistischer Gesellschaften. Bestrebt sind die Autoren die Widersprüche und auch die Bewegungsformen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft zu beschreiben, um daraus dann strategische und taktische Schlussfolgerungen für den Klassenkampf in Deutschland abzuleiten …
    Solche „Thesen“ gab es in der Geschichte der DKP schon einmal. Als Vorstufe für ein neues Parteiprogramm. Der Unterschied: Die damaligen Thesen, so weit ich mich erinnere, waren Thesen des Düsseldorfer Parteitags, zuvor nicht nur im Parteivorstand, sondern auch in Hunderten von Parteigliederungen über Monate hinweg gründlich diskutiert.
    Dass programmatische Thesen solcher Art hingegen durch ein führendes operatives Organ unserer Partei herausgegeben werden, ohne dass klar ist, worin der Sinn und Zweck der Angelegenheit eigentlich besteht, ohne dass Delegiertenkonferenzen oder Parteitage dazu Stellung nehmen sollen, das ist indes nicht nur für die Geschichte der DKP, sondern auch für die Geschichte der gesamten Kommunistischen Bewegung ein ziemlich einmaliger Vorgang. Ein undemokratisches Verfahren, das nun nicht nur dazu führt das gültige Parteiprogramm faktisch in Frage zu stellen, sondern auch die Gefahr einer dauerhafteren Fraktionierung hervorruft. Dass damit ganz nebenbei auch das äußere Erscheinungsbild unserer Partei etwas einseitig beeinflusst wird, sei nur der Vollständigkeit halber hier hinzugefügt. Methodisch ist das durchaus ähnlich, wie in der früheren PDS. Da gab es das Parteiprogramm, und daneben dann das Ingolstädter Manifest von Gregor Gysi. Gelesen wurde letzteres.
  2. Mit den Thesen werden zentrale Bestandteile unserer kommunistischen Identität in Frage gestellt
    Eingepackt in viele schöne Formulierungen werden mit diesen Thesen zentrale Bestandteile unserer kommunistischen Identität in Frage gestellt: Die historische Mission der Arbeiterklasse für die Entfaltung der Klassenkämpfe, beim Übergang und in der Gestaltung des Sozialismus, die besondere Bedeutung der Kommunistischen Partei als politisch und ideologisch führende Kraft, die Wirksamkeit imperialistischer Widersprüche für die Verfasstheit moderner kapitalistischer Gesellschaften, die Notwendigkeit mit revolutionärer Macht konterrevolutionären Bestrebungen entgegenzutreten und vieles andere mehr. Dies alles zu vernebeln, darunter vor allem auch die Staatsfrage, führt aber unweigerlich dazu, auch noch die vorhandene schwache Organisationsstruktur und kommunistische Identität weiter zu zersetzen. Besonders gefährlich scheinen mir in diesem Zusammenhang die mit den Thesen unternommene Unterscheidung zwischen einem demokratischen und einem nicht-demokratischen Weg zum Sozialismus. Dann auch die Negation des wissenschaftlichen Begriffs von der Klassendiktatur und das Gerede über einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Demokratisch ist demnach ein Kampf für den Sozialismus, bei dem sich die Kommunistische Partei in der Entwicklung und Festigung von antikapitalistischem und sozialistischem Bewusstsein möglichst zurück hält, den revolutionären Bruch möglichst auch nicht dominiert. Sie vertrete mit ihren weltanschaulichen und programmatischen Vorstellungen ja eh nur eine spezifische „Komponente“ des Denkens, wobei dann noch zu prüfen wäre, ob dieser „Ansatz“ und in welcher Form in den Prozess revolutionärer Veränderung „gleichberechtigt“ einzubringen ist. Kommunistische oder sozialistische Hegemonie anzustreben sei hingegen schädlich und zudem irreal. So lese ich diese Thesen, in denen Reformbündnisse und revolutionäre Übergangsperiode auch nicht mehr unterschieden werden. Das Ergebnis gleicht dann dem bei einer Lotterie. Mal sehen, was dabei rauskommt. Doch dann umschleicht mich die Frage: Für was braucht man dann eigentlich noch eine Kommunistische Partei? Die Thesen geben mir darauf eine Antwort. Wenn im Klassenkampf „Lernprozesse“ gestaltet werden, diene eben diese Kommunistische Partei als eine „Brücke“ zwischen unterschiedlichen weltanschaulichen und politischen Formationen. Was hat das noch mit Lenin, mit Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg zu tun? Darauf geben mir diese Thesen leider keine Antwort!
    Ähnlich diffus sind manche Thesen, die sich auf die Wirtschaftskrise, auf den Verlauf der Klassenkämpfe in Deutschland, auf die imperialistischen Widersprüche innerhalb Europas (die tauchen gar nicht mehr auf), auf die (doppelte) Rolle der Gewerkschaften, auf die Sozialdemokratie und die Linkspartei beziehen. Nichts wird da wirklich erklärt. Es sind Axiome, die einfach gesetzt werden. So wie auch beim „Globalen Kapitalismus“ als „gesellschaftliches Verhältnis“ im neu justierten „Sechseck“ verschiedener Staaten oder gar ganzer Kontinente. Ökologisch-feministisch, globalisierungskritisch, pluralistisch und gleichberechtigt, das sind dann auf der anderen Seite jene Kräfte, die diesem Mischmasch noch gemischter irgendwie entgegenstehen. Wie? Das weiß man nicht. Kann man auch nicht wissen, so die Thesen.
  3. Partei als Denkfabrik
    Im Unterschied zu anderen habe ich keine Bedenken, die vorhandene (kommunistische) Organisation in ihrer gegenwärtigen (schlimmen) Verfasstheit eher als „Denkfabrik“ begreifen zu wollen. Inhalt und Methode dieser Thesen fordern das mit Sicherheit heraus! Vielleicht auch das Offensiv-Theoretische des so genannten 84er Papiers. Doch was wäre das Ziel einer solchen „Denkfabrik“? Das Ziel müsste doch darin bestehen, aus dem was ist (und weiterem), eine eingriffsfähige auf der Höhe der Zeit agierende Kommunistische Partei wieder herzustellen! Eine Partei, die in der Lage ist, Verlauf und Richtung der Klassenkämpfe in Deutschland wieder zu beeinflussen. Mir scheint: Gründliches Studium der Klassiker, ich meine wirklich die Klassiker und nicht Sekundärliteratur, wäre dafür heute ein erster wieder notwendiger Schritt. Von da aus gesehen kann man dann auch Gramsci lesen. Aber dann muss man ihn auch lesen, zum Beispiel die Gefängnishefte, und nicht nur das, was andere aus der einst „eurokommunistischen“ Richtung oder aus der Sozialdemokratie über ihn oder in seine Werke hineinschreiben. In Marxistischen Abendschulen, auf Parteiversammlungen sollte es spannende Diskussionen zu gesellschaftspolitischen, wie ökonomischen Entwicklungen geben. Mehr Erfahrungsaustausch der in Bewegungen und Betrieben tatsächlich noch Aktiven gehört dazu. Dann auch der Mut zu scharfer politischer Polemik und eine notwendige fundierte Kritik der Linkspartei. Insgesamt wünsche ich mir also durchaus weniger Parteigetue, weniger Diplomatie in einem schlechten, weil der realen Organisationsverfasstheit überhaupt nicht mehr entsprechenden Weise, auch weniger Wahlkämpfe für 0,1 Prozent, dafür mehr ausstrahlende und bildende Debatte! Gerade auch zur Organisationsfrage. Daraus dann abgeleitet konzentrierte gebündelte gemeinsame Aktion. Da teile ich sogar manches, was in diesen Thesen als Motiv nun herüberkommt. Doch solche Debatten können und sollten nicht voraussetzungslos erfolgen. Denn die historisch-dialektische Methode, sie verlangt doch nicht, dass wir nun auch noch in der geistigen und theoretischen Entwicklung des Sozialismus um 200 Jahre (also in das frühsozialistische utopische Stadium) zurückgehen und all das danach ausblenden. Das aber ist mein Eindruck, wenn ich manche Passagen dieser Thesen lese.

Andreas Grünwald